Reisebücher:Wien, wesentlich

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Drei Bücher tauchen tief in die Stadt und ihre Geschichte ein - und jedes tut dies auf eine ganz spezielle Art. So kommt der Leser sogar bis an die Randlagen der Millionenstadt.

Von Stefan Fischer

Zwei alte Damen im Kaffeehaus, der Opernball, ein Fiaker: Die ersten Fotografien in dem Band "Wien. Porträt einer Stadt" lassen erst gar keine Zweifel aufkommen, was dem Betrachter präsentiert werden soll. Die Herausgeber Christian Brandstätter, Andreas J. Hirsch und Hans-Michael Koetzle haben ein viereinhalb Kilogramm schweres fotografisches Kondensat der Hauptstadt Österreichs erstellt. Sie zeigen das Wesentliche, also auch das Bekannte, das Ikonische, die über alle Maßen strapazierten Bilder und Motive dieser Stadt. Auf 180 Jahre Stadtgeschichte blickt der Band zurück - mutmaßlich 1840 wurde in Wien das erste fotografische Bildnis aufgenommen, eine Daguerreotypie. Beim Blättern sieht man, wie sich die Stadtlandschaft über die Jahrzehnte verändert, vor allem aber begegnet man prägenden Bewohnern Wiens, darunter vielen Künstler, und zentralen historischen Ereignissen - dem Besuch des US-Präsidenten Kennedy 1961, Hitlers Rede auf dem Heldenplatz am 15. März 1938 nach dem Anschluss Österreichs, dem Protest gegen die Inauguration Kurt Waldheims als Bundespräsident im Juli 1986. Man sieht, dass die 1920er-Jahre nicht nur in Berlin frivol waren.

Die Fotografien sind akribisch beschriftet, sodass man einordnen kann, was man sieht. Und nicht zuletzt ist der Band auch eine Hommage an die großen Fotografen der Stadt, an Erich Lessing etwa, Franz Hubmann und Barbara Pflaum. In dieser klugen und umfassenden Kombination ist auch das Typische, das schon einmal Gesehene nicht ermüdend, vielmehr ergibt sich ein detailreiches Bild Wiens, das zentrale Facetten wiedergibt.

Tief in die Stadt und ihre Geschichte taucht auch Norbert Philipp ein - in "Die Adern Wiens", wie er sein Buch über Straßen der Stadt betitelt. Der erste Teil ist ein launiger Essay, ein Feuilleton über die Straße an sich und speziell in Wien. Im zweiten Teil porträtiert Philipp zehn prägende Straßen, beginnend mit der vergleichsweise kurzen Josefstädter Straße. Ein "bürgerlicher Canyon", wie der Autor schreibt, eine "Dorfstraße im Weltformat". Heinz Fischer hat sein Domizil dort nicht einmal dann verlassen, als er Staatspräsident geworden ist. Unter derselben Adresse hat Jahrzehnte zuvor Gustav Klimt gewohnt. Ringstraße, Porzellangasse, Prater- wie Währinger Straße - jede steht auf ihre Weise für die Stadt. Zuletzt nimmt Philipp die Höhenstraße, die aus der Stadt hinausführt.

Damit betritt man das Revier, das Oskar Aichinger in seinem Buch "Fast hätt ich die Stadt verlassen" durchstreift. Die Randlagen Wiens sind untypisch für eine Millionenstadt, die Zahl städtebaulicher Sünden hält sich dort in Grenzen, vielmehr haben sich dörfliche, gar ländliche Strukturen erhalten. Das politische Wien ist weit weg, auch die Hochkultur mit Burgtheater und Albertina, der Stephansdom im Häusermeer kaum auszumachen. Abgesehen von manchen Heurigenlokalen porträtiert Aichinger eine Seite der Stadt, die Touristen kaum je zu sehen bekommen. So verlieren sich alle drei Bücher auf das Schönste in der Stadt, und die Leser in ihnen.

Oskar Aichinger : Fast hätt ich die Stadt verlassen. Vom Gehen und Verweilen an den Rändern von Wien. Picus Verlag, Wien 2020. 192 Seiten, 20 Euro.

Christian Brandstätter, Andreas J. Hirsch, Hans-Michael Koetzle : Wien. Porträt einer Stadt. Taschen Verlag, Köln 2019. 532 Seiten, 50 Euro.

Norbert Philipp : Die Adern Wiens. Den Wiener Straßen auf der Spur. Braumüller Verlag, Wien 2019. 224 Seiten, 21 Euro.

© SZ vom 12.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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