Reisebuch:Wie bei Mutti

Ein Bildband zeigt Speisekarten von Flug-, Kreuzfahrt- und Luftschiffreisen vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg. Die gesammelten Karten dokumentieren auch das Heimweh der Urlauber, die in jener Zeit unterwegs waren.

Von Stefan Fischer

Selbst die Frage: "Süß oder salzig?" bekommt man als Flugpassagier kaum noch gestellt - weil es einfach gar nichts mehr zu essen oder auch nur zu knabbern gibt an Bord eines Flugzeuges. Das war früher anders - und diese nostalgische Erinnerung bedient Leif Karpe mit seinem Band "Weltfahrt". Er zeigt darin alte Speisekarten und auch Werbeprospekte von Zug-, Kreuzfahrt- und Luftschiffreisen vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg. Aus all diesen Dokumenten spricht, wie viel Stil eine Urlaubsfahrt damals hatte - insbesondere bei den Mahlzeiten.

Karpe schwelgt durchaus in diesen Wohlgenüssen. Aber er relativiert sie auch. 1928 etwa setzte die Deutsche Reichsbahn den Rheingold ein. Der Zug verkehrte zwischen Nordsee und Alpen, brauchte dafür nur zwölf Stunden, Speisen und Getränke wurden von versierten Kellnern an den Platz serviert - das konnte sich aber schon damals kaum jemand leisten. Und der Zug fuhr überdies direkt in die Weltwirtschaftskrise hinein. Was die Zahl der potenziellen Passagiere noch einmal dezimierte.

Auch schildert Karpe - und da ist man dann entschieden näher am Durchschnittsreisenden dran als im Salonwagen des Rheingold -, wie schwierig es anfangs war, Zugreisende überhaupt zu verpflegen: Speisewagen wurden erst allmählich eingeführt, anfangs wurde an Bord nichts zu essen angeboten. Und die neuen Bahnhofsgaststätten waren logistisch oft nicht in der Lage, alle Passagiere eines Zugs während eines dafür vorgesehenen Haltes rechtzeitig zu versorgen.

Spannend ist auch, was serviert worden ist. Selbst die weltgewandten Reisenden, die sich auf fremde Kontinente vorwagten, blieben kulinarisch am liebsten beim Gewohnten - warum brasilianischen Bohneneintopf, wenn man auch Leipziger Allerlei haben kann? Anlässlich einer Äquator-Überquerung mit einem Zeppelin im Sommer 1931 wurden getrüffelte Haifischflossen serviert und Seelöwenkeulen. Das ist das einzige exotische Menü, das sich auf den zumeist kunstvoll gestalteten Speisekarten in diesem Band findet. Ansonsten dominieren Kraftbrühen mit Einlage, Butt und Forelle, Lendenstücke sowie heimisches Geflügel. Der Luxus bestand darin, dass es jeden Tag Fleisch gab und die Tische mit Stoffen, Silberbesteck und Porzellan eingedeckt waren. Das kann man heute auch noch alles haben - wenn man, wie damals, vermögend ist.

Leif Karpe: Weltfahrt. Speisen auf den guten Reisen. Edition Braus, Berlin 2016. 128 Seiten, 24,95 Euro.

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