Reisebuch:Unter Glücksrittern

Moden ändern sich, Sehnsüchte nicht: In Jay Wolkes historischen Fotografien aus den späten 1980er- und den frühen 1990er-Jahren, entstanden in Las Vegas, Reno und Atlantic City, entdeckt man doch erstaunlich viel Gegenwart.

Von Stefan Fischer

Die Träume von damals suchen uns nach wie vor heim. Das suggeriert der Titel von Jay Wolkes Bildband "Same Dream Another Time". Wolke zeigt Fotografien aus den späten 1980er- und den frühen 1990er-Jahren, aufgenommen in Las Vegas, Reno und Atlantic City. Das waren zu der Zeit in den USA die einzigen drei Städte, in denen Glücksspiel erlaubt war. Und vor allem Las Vegas begann erst damals zu sein, was es heute ist. Vor dreißig Jahren war es die am schnellsten wachsende Stadt der USA. Sie zog unglaublich viele Menschen an. Glückssucher, nicht nur an den Spielautomaten; viele Menschen fanden Arbeit in der Wüstenstadt, sei es auf dem Bau, in Bars und Hotels, als Dienstleister jeglicher legalen und illegalen Art. Sie vor allem und weniger die Touristen rückt Jay Wolke in den Fokus seiner Aufnahmen, vor städtischen Kulissen, die bereits in dieser Wachstumsphase oftmals nach Verfall aussehen. Am deutlichsten zeigt sich das in Atlantic City, wo viel und billig gebaut worden ist, nachdem das Glücksspiel dort 1976 legalisiert worden war und die Investoren nur daran interessiert waren, eine möglichst hohe Rendite zu erzielen, ohne dabei an den mondänen Ruf anzuknüpfen, den die Stadt sich in den 1920er-Jahren während der Prohibition erworben hatte.

Es ist eine Gratwanderung. Denn Jay Wolke möchte die Menschen auf seinen Fotografien nicht brüskieren. Dabei wäre es leicht, in diesen drei Städten Leute an ihrem Tiefpunkt zu porträtieren - im Moment des Bankrotts, des Zusammenbruchs, der größtmöglichen Demütigung. Es geht ihm viel mehr um typische Tage im Leben dieser Durchschnittsamerikaner. Das kann auch bedeuten: typisch unglücklich, linkisch, hilflos oder großspurig. Aber eines wird klar: Die Moden haben sich geändert, die Accessoires. Aber die Sehnsucht ist darüber dieselbe geblieben, bis heute - nach dem großen Gewinn oder zumindest einem kleinen Glück. "Same Dream Another Time" zeigt Menschen in Augenblicken der Vorfreude, aber auch der Erschöpfung, der Müdigkeit. Las Vegas, Reno, Atlantic City zehren an den Kräften, der Erwartungsdruck ist enorm. Diese Städte würden die ultimative Unmäßigkeit des amerikanischen Konsumdenkens abbilden, schreibt James McManus im Vorwort, es offenbare sich ein Verlangen nach Risiko, das gepaart sei mit einer als rechtmäßig empfundenen Erwartung, belohnt zu werden.

Jay Wolke: Same Dream Another Time. Kehrer Verlag, Heidelberg und Berlin 2017. 136 Seiten, 45 Euro.

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