Reisebuch "Sylt zum Verweilen":Besondere Tage

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(Foto: N/A)

Karla Paul versammelt in einer Anthologie Texte, die das spezielle Sylt-Gefühl hervorrufen. Dazu gehören auch kritische Stimmen.

Von Stefan Fischer

Sylt hat auch finstere Seiten. Siegfried Jacobsohn, der Theaterkritiker, Journalist und Herausgeber der Weltbühne - einer Zeitschrift, die die Weimarer Republik geprägt hat -, schildert solche in seinem Text "Erste Tage". Er beschreibt ein nächtliches Unwetter auf der Insel. Donnerschläge grollen durch die Dunkelheit, Blitze zucken über den Himmel. Und immer ist da die Furcht, dass er nicht nur ein Gewitter sieht und hört, sondern Sylt gegen jede Erwartung doch Kampfplatz des Ersten Weltkrieges geworden ist: "Ist es zu glauben, dass die fremden Schiffshaubitzen unser Dorf erreichen, ins Strohdach eines Friesenhauses schlagen?"

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Nein, so schlimm ist es nicht gekommen in dieser Nacht. Keine Kanonen wurde abgefeuert. Auf die Geborgenheit, die die Insel ausstrahlt, ist Verlass, selbst in solchen Zeiten. Jedenfalls ist das die Summe aller literarischen Eindrücke, die die Herausgeberin Karla Paul in dem kleinen Band "Sylt zum Verweilen" zusammengetragen hat. Der Publizist Fritz J. Raddatz, der Schriftsteller Benjamin Lebert, der Maler Emil Nolde sind präzise Beobachter, sie beschreiben Orte und Stimmungen. Raddatz schätzt an der Insel, dass es trotz "südlichem Glast" auch eine "nördliche Störrischkeit" gibt, dass sie sich nicht in einer Weichheit wie jener in der Provence erschöpfe. Nolde schnappt beinahe über aufgrund der Fülle der Motive, die sich ihm zum Malen anbieten.

Ein Immobiliengeschäft auf der Insel ist über alle Zweifel erhaben

Karla Paul, die Herausgeberin, ordnet die Texte ein und weist sie bestimmten Orten auf der Insel zu. Sie verheimlicht also nicht, dass Nolde ein Rassist und Antisemit war. Und das "Maskottchen des Syltgefühls", der rote Hummer des Gastronomen Gosch, wird umgedeutet zum Fanal des schlechten Geschmacks und grenzwertiger Geschäftspraktiken.

So wandert man, geleitet von Karla Paul, von Nord nach Süd, schlendert durch die Orte, stromert durch die Dünen, blickt hinaus aufs Meer und zurück in die Vergangenheit, als die Insel noch ihren Bewohnern gehört hat. Die auf Sylt geborene Autorin Susanne Matthiessen beklagt in "Ozelot und Friesennerz" den Ausverkauf ihrer Heimat - und übt Selbstkritik: "Diese Entwicklung haben wir uns selbst zuzuschreiben. Wir haben einfach alles aus der Hand gegeben."

Ein Immobiliengeschäft jedoch ist über alle Zweifel erhaben: Durch seine Heirat mit Annemarie Seidl kam der Verleger Peter Suhrkamp zu einem Haus im Hobookenweg in Kampen - schon damals eine noble Adresse. 1953 verkaufte Suhrkamp das Haus, um mit dem Erlös die deutschen Rechte am Werk von Marcel Proust zu erwerben.

Karla Paul (Hrsg.): Sylt zum Verweilen. Philipp Reclam jun. Verlag, Ditzingen 2021. 112 Seiten, 10 Euro.

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