Süddeutsche Zeitung

Reisebuch:Selbst ist der Tourist

Die neue Städtereiseführer-Reihe des Michael Müller Verlags "Stadtabenteuer" wendet sich an Urlauber, die sich für Angebote interessieren, die nicht allein für Touristen ersonnen wurden. Das Besichtigungsprogramm rückt in den Hintergrund.

Von Stefan Fischer

In den Städten verändert sich der Tourismus merklich. Zwar verlieren die Sehenswürdigkeiten nicht an Attraktivität, wer in Barcelona ist, schaut sich die Gaudí-Architektur an, und wer Rom bereist, lässt das Kolosseum nicht aus. Zunehmend ist es Touristen jedoch vor allem wichtig, dass sie besondere Erlebnisse haben während der paar Tage in einer fremden Stadt. Darauf reagiert nun der Michael Müller Verlag mit einer neuen Reiseführerreihe.

Acht dieser "Stadtabenteuer" gibt es zum Auftakt zu sieben europäischen Zielen, darunter zwei deutschen - Berlin und Hamburg, hinzu kommt New York. Standards der klassischen Besichtigungsprogramme rücken in den Hintergrund, sie werden verräumt entweder in der Rubrik "Wenn man schon mal hier ist" oder tauchen am Ende der nach Stadtvierteln sortierten Kapitel auf, wo sich auch Tipps zum Essen, Übernachten, Ausgehen und Shoppen finden. Auch diese Empfehlungen sind ziemlich reduziert: Ein teures und ein günstiges Hotel werden jeweils vorgestellt, dazu vier Restaurants, zwei Läden sowie zwei Adressen für vergnügliche Abende.

Die "Stadtabenteuer" wenden sich an Urlauber, die selbst aktiv sein wollen und sich zudem für Angebote interessieren, die nicht allein für Touristen ersonnen wurden oder, wenn es sich doch um Führungen und Besichtigungen handelt, einen ungewöhnlichen Ansatz haben. In Berlin empfiehlt sich diesbezüglich eine Tour durch ehemalige Geisterbahnhöfe und Fluchttunnel, in Wien eine zu hässlichen Orten der Stadt und in New York eine mit einem Guide, der von 9 / 11 betroffen ist.

Auffallend ist, dass sich der "Meet the locals"-Trend lediglich vereinzelt niederschlägt in diesen Reiseführern. Entweder flaut er bereits wieder ab, oder aber die "Stadtabenteuer" wollen zumindest selbst keinen Vorschub leisten in diesem heiklen Punkt: Die Konflikte, die sich aus dem Overtourismus ergeben, gründen schließlich nicht nur auf der schieren Zahl der Besucher, sondern auch auf dem Umstand, dass Touristen sich zuletzt verstärkt in den Alltag der Bewohner hineingedrängelt haben.

Auf Trabi-Safari in Berlin, im Tretboot auf Amsterdams Grachten und beim Bemalen von Azulejos in Lissabon bleiben die Touristen weitgehend unter sich. Unter die Bewohner mischen sie sich, wenn sie etwa in Wien eines der zahlreichen Konzerte der Band 5/8erl in Ehr'n anhören, an einer Führung durch die besten Kantinen und Mensen der Stadt teilnehmen oder einen Wiener-Walzer-Blitztanzkurs machen - die Gefahr, den Alltag der Einheimischen zu kapern, ist dabei eher gering.

Die Autoren, die mit unterschiedlich viel Charme und Witz berichten, haben alles selbst ausprobiert, einen Baseflight am Alexanderplatz in Berlin eingeschlossen, bei dem man über eine Seilwinde nahezu im freien Fall nach unten stürzt. Leser erfahren, wo in Hamburg man mit ein wenig Chuzpe Paternoster fahren kann und wie man in Berlin als Radfahrer die Straßen der Stadt erobert. Erfrischend ist, dass nichts davon als Geheimtipp verkauft wird.

Matthias Kröner (Hrsg.): Stadtabenteuer. Bisher erschienen sind die Bände Amsterdam (von Diana Stănescu), Berlin (von Michael Bussmann und Gabriele Tröger), Hamburg (von Matthias Kröner), Lissabon (von Johannes Beck), New York (von Dorothea Martin), Prag (von Renate Zöller), Rom (von Sabine Becht und Sven Talaron) und Wien (von Judith Weibrecht). Michael Müller Verlag, Erlangen 2019. Jeweils 240 Seiten, 14,90 Euro.

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Quelle:
SZ vom 14.11.2019
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