Süddeutsche Zeitung

Reisebuch:Neandertaler Rinderzunge 

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Manuel Andrack wandert für sein Buch "Schritt für Schritt" der Weltgeschichte hinterher. Er kommt dabei an historische Orte wie Luthers Rennsteig oder das Tal der Könige in Ägypten oder den Jesus-Trail in Israel. Und oft erhellt er dabei auch die Gegenwart.

Von Julia Höftberger

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort? Muss nicht sein! Manuel Andrack ist der wandernde Beweis dafür, dass man auch mit reichlich Verspätung längst nicht alles verpasst hat. Für sein Buch "Schritt für Schritt" ist Andrack der Weltgeschichte hinterhergelaufen. Aus jeder historischen Epoche, die in Schulbüchern für den Geschichtsunterricht behandelt wird, hat er eine seinerzeit typische Route ausgewählt, die im besten Fall heute noch begangen wird.

Der Rheinländer Andrack beginnt seine Wanderung im Neandertal, mit fortschreitender Schritt- und Seitenzahl lässt er neben Klassikern wie dem Jakobsweg oder Luthers Rennsteig auch ungewöhnlichere Routen hinter sich: so etwa den israelischen Jesus-Trail, verbotene Wege durch das Tal der Könige in Ägypten oder die ehemaligen Pfade mittelalterlicher Kreuzzügler. Dabei begleitet ihn mal sein Fitnesstrainer, mal ein Wanderanarchist, dann wiederum eine Horde Fußballfans oder ein demotiviertes Kind. Nicht nur Andracks Neugier auf Unvorhergesehenes und seine unverhohlene Begeisterung für Kurioses treiben ihn an, sondern auch die Aussicht auf ein Belohnungsbier nach dem Fußmarsch. Andrack scheint seine Funktion als "Botschafter des Bieres", zu dem er vom Deutschen Brauer-Bund gekürt wurde, sehr ernst zu nehmen.

Ohnehin lässt sich der einstige Side-kick von Harald Schmidt nicht so leicht unterkriegen. Hindert ihn ein querliegender Baum am Weiterkommen, klettert er eben "limbomäßig" unter ihm hindurch. Und stellt sich die Jagd auf ein Paleo-konformes Mittagessen im Neandertal als erfolglos heraus, versorgt er sich eben im Supermarkt mit Heidelbeeren und Rinderzunge. Bei all der augenzwinkernden Gutmütigkeit, die seine Anekdoten so menschlich macht, scheut er aber auch die Wege über die dunklen Etappen der Vergangenheit nicht: Führt ihn seine Wanderung in das ehemalige Konzentrationslager Sachsenhausen, zeigt er sich betroffen, ohne dabei pathetisch zu wirken oder die Emotion des Lesers ausschlachten zu wollen.

Wenn Andrack, in der Gegenwart angekommen, an einem deutsch-österreichischen Grenzübergang fliehende Familien ein Stück lang auf ihrer unfreiwilligen Wanderschaft begleitet, sieht er nicht nur die Tragik, die deren Schicksal birgt, er kann der Situation auch komische Momente abgewinnen. Manuel Andracks Humor scheint unerschütterlich, er hat auch noch ein Auge für das kuriose Gewese der bemühten Grenzer, die im vergangenen Sommer mit den Flüchtlingen konfrontiert waren.

Eingestreute Jahreszahlen und historische Fakten mögen in manch anderem Kontext die Wirkung intensiv betriebenen Schäfchenzählens haben. In diesem Buch jedoch erheitern sie den Leser - und lassen ihn gar ein Stück bewanderter zurück. Dass sich der Autor das "prodesse et delectare" im antiken Rom abgeschaut hat, kann man ihm nun wirklich nicht übel nehmen: Manuel Andrack will nicht nur launig unterhalten, ein bisschen erhellend darf die Lektüre durchaus sein.

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SZ vom 08.09.2016
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