Bildband:Die Reisen der Reichen

Seit die Welt ein globales Dorf ist, werden Ungleichheiten umso deutlicher. Ein Reisebuch zeigt die Privilegien der Reichen - besonders im Urlaub.

Rezension von Stefan Fischer

Entsetzliche Armut und prächtigen Reichtum kann man in Manhattan im selben Straßenzug beobachten, beim Bummeln oder Pendeln. Das Four Seasons Hotel in Mumbai wiederum liegt neben einem Slum, der für einen Gast so unwirklich ist wie für die Slumbewohner die Welt des luxuriösen Hotels. Durch die Globalisierung ist die Differenz zwischen Arm und Reich noch einmal größer geworden - und die beiden Sphären kommen häufiger miteinander in Berührung, ohne dass es dabei zu einem Austausch käme.

Es gibt heutzutage eine noch nie da gewesene Gleichzeitigkeit der Ungleichheit. Die Beispiele aus New York und Indien, die der Herausgeber Myles Little sowie der englische Schriftsteller Geoff Dyer in ihren Vorworten zu dem Band "1 % - Privilege in a Time of Global Inequality" geben, sind insofern beinahe beliebig ergänzbar. Die Zahlen sind bekannt: Die ärmere Hälfte der Menschheit besitzt weniger als ein Prozent der weltweiten Reichtümer, das reichste Zehntel verfügt über 86 Prozent des Wohlstandes. Und beinahe überall, wo man - zum privilegierten Teil der Menschheit gehörend - hinreist, wird man damit konfrontiert.

Myles Little hat 50 Motive von drei Dutzend Fotografen ausgewählt, die diese Ungleichheit aus vielen Perspektiven thematisieren. Am augenfälligsten geht das natürlich mit Gegenüberstellungen: hier die proppenvollen Regale eines Supermarkts, dort Menschen, die auf einer Müllkippe nach Brauchbarem suchen. Dort ein Rennboot vor der Skyline Abu Dhabis, dort ein Schlauchboot mit Flüchtlingen kurz vor Kos. Aber schon hier schleichen sich ein paar Grautöne ein ins vordergründige Schwarz-Weiß: Der Supermarkt ist eher ein Discounter und in jedem Fall kein Feinkostgeschäft. Und sind diejenigen, die eine Flucht überhaupt finanzieren können und dann auch noch wohlbehalten in Europa anlanden, nicht auch auf eine gewisse Art privilegiert?

Man muss nicht in den Panama Papers auftauchen

Es wäre relativ einfach, die Obszönität von Reichtum auszustellen. Sowie einen Konsens der Empörung unter den Lesern herzustellen, denn wer gehört finanziell schon zum obersten Prozent? Damit begnügt Myles Little sich nicht in seinem kuratorischen Tun. Privilegien sind etwas Relatives, wie das - durchaus zynisch zu lesende - Beispiel der Bootsflüchtlinge zeigt. Spannend wird es aus westlicher Perspektive da, wo sich eine Mittelschicht zur Elite wandelt, wenn man sie nicht in nationalem, sondern globalem Zusammenhang betrachtet. Dafür braucht es keine Millioneneinkommen; als durchschnittlich verdienender Deutscher gehört man finanziell ziemlich sicher ins obere Zehntel der Weltgesellschaft. Ein Opernbesuch etwa, ob zu Hause oder auf Reisen, ist allemal erschwinglich. Als Opernbesucher gehört man jedoch einer kleinen Minderheit an - der es gelingt, die Errichtung solcher Kulturstätten gesellschaftlich durchzusetzen. Ein Privileg.

Man muss nicht in den Panama Papers auftauchen, um einmal den Infinity Pool des Marina Bay Sands Hotels in Singapur nutzen zu können oder sich in der Weite der Masai Mara nach einer Ballonfahrt mit Champagner und frisch zubereiteten Speisen bedienen zu lassen. Allerdings, und dagegen bezieht der Bildband explizit Stellung, bildet sich weltweit eine Gesellschaftsschicht heraus, die überbordenden Luxus als Alltag erlebt. Weil einige Einkommen vollständig entkoppelt sind vom Wert der Leistung, die dafür erbracht wird.

Die Fotografien sind weitgehend so ausgewählt, dass sie Reichtum per se weder verdammen noch heroisieren. Sie dokumentieren einen äußeren Anschein. Wir sehen nicht, wie weit entfernt die Safari-Feldküche von der nächsten Lodge ist, wie viel der Koch verdient und wie hart seine Arbeit ist, welche Speisen gereicht werden - wie pervers also die Privilegien derer sind, die in ihren Genuss kommen. Was der Band allerdings zeigt: Bevorzugt zu sein, macht tendenziell einsam. Weil eben nur wenige mithalten können.

Myles Little (Hrsg.): 1 % - Privilege in a Time of Global Inequality. Hatje Cantz Verlag, Berlin 2016. 80 Seiten, 35 Euro.

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