Süddeutsche Zeitung

Reisebuch:Mit Blaubeerlippen

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Salzspuren am Fenster, feuchte Wiesen, der Klang des Windes: Annette Pehnt schreibt über Amrum, die Urlaubsinsel ihrer Kindheit. Dabei will die Autorin Sehnsucht von Daheimgebliebenen wecken. Was ihr gelingt.

Von Susan Jörges

Die Autorin und Journalistin Annette Pehnt ist eine Amrum-Liebhaberin. Für sie ist die Nordseeinsel ein Lebensgefühl, in ihrer Perspektive lösen sich hier die Himmelsrichtungen auf, der Wunsch nach Begrenzung, nach Überschaubarkeit erfüllt sich. Schon mit ihren Eltern kam sie nach Amrum, erlebte die schönsten Tage. Nun hat Pehnt ihrer Lieblingsinsel mit "Mein Amrum" ein schmales Buch gewidmet, gefüllt mit Erinnerungen, neuen Entdeckungen, Liebeserklärungen wie dieser: "Wo die Insel aufhört und wo das Meer anfängt kann ich nicht erkennen. Blautöne verlaufen ineinander, und der Wind wird stärker, bis ich mir die Kapuze über die Ohren ziehen muss." In dem beschriebenen Sommer wird Annette Pehnt von ihrer Hündin begleitet, einem scheuen, ängstlichen Tier. Eine Amrum-Anfängerin sozusagen, die sich erst langsam an das raue Klima und das Wasser gewöhnt. Wie den Lesern zeigt Annette Pehnt auch ihr die Insel, sie ist eine gute Beobachterin, bemerkt die kleinen Veränderungen durch das Wasser und den Wind, die an der einen Stelle den Sand forttragen und an einer anderen wieder ablagern. Pehnt will die Orte mit Bedeutung und Erinnerungen füllen und die Sehnsucht von Daheimgebliebenen wecken. Mit Geschichten "von ersten Blicken in der Dorfkirche, von windstillen Momenten, von lila Blaubeerlippen und Sahnewolken im schwarzen Tee". Pehnt sammelt dafür unentwegt Material: Salzspuren auf Panoramafenstern, feuchte Salzwiesen, der Klang des Windes. Um sie herum Sand, mal pudrig fein, dann ölig schillernder weicher Schlamm im Watt. "Ich stand barfuß da, wieder überwältigt, der Blick schwenkte über die unermessliche Sandfläche, die sich im hellen Grau auflöste." Pehnt wird der vordergründig unspektakulären Insel nicht überdrüssig, zu den Stammgästen zählt sie sich jedoch nicht. Wann sie wiederkommen wird, weiß sie nicht, wo sie wohnen wird, auch nicht. Und so ist jeder neue Besuch ein neuer Anfang, ein erstes Mal. Ein Urlaub auf Amrum sei wie das Geschichtenerzählen, so Pehnt. Immer wieder könne man staunen, zweifeln und den roten Faden verlieren. Poetisch und behutsam erzählt Pehnt über ihre Inselliebe. Ein wenig schwermütig und träumerisch streift man mit ihr über die Insel, verliert zwischendurch selbst den roten Faden, entdeckt entlegene Orte und steht immer wieder am Wasser. Neigt sich der Inselurlaub dem Ende zu, taucht für Pehnt die alte Was-wäre-wenn-Frage auf. "Was wäre, wenn ich bleiben könnte?" Gummistiefel verkaufen oder Lehrerin an der Inselschule werden, in einem Friesenhaus am Watt wohnen. Doch auch die letzten Tage vergehen, jetzt, wo die Hündin sich eingelebt hat, geht die Fähre zurück zum Festland.

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Quelle:
SZ vom 27.06.2019
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