Süddeutsche Zeitung

Reisebuch:Leben zwischen Ebbe und Flut

Ein Bildband zeigt, wo die Weite Patagoniens besonders eindrucksvoll ist: dort, wo sie in den Atlantik übergeht und zur Welt der Fischer wird.

Von Hans Gasser

Patagonien - man denkt da meist an die hohen Berge des Torres del Paine, an Feuerland und Kälte und Pinguine.

Wie das Leben in etwas gemäßigteren Breiten in diesem Land ist, das haben die einheimische Autorin Elida Fernández und die deutsche Fotografin Jutta Riegel versucht herauszufinden. Sie haben dafür die Valdés-Halbinsel im Osten Argentiniens gewählt. Diese liegt wie ein großer Amboss im Atlantik, mit dem Festland nur durch einen schmalen Hals verbunden. Hier leben und arbeiten die Pescadores Artesanales, ein besonderer Menschenschlag. Von ihnen erzählt dieses Buch.

Über Generationen geben sie das Wissen weiter, wie man in dieser windumtosten, kargen Gegend lebt und überlebt, mit den Gezeiten, vor allem mit jenen 45 Minuten zwischen Ebbe und Flut, in denen sie hinausgehen können und mit Haken die Tintenfische aus ihren Höhlen ziehen, nach Muscheln tauchen, um den Fang später auf Eis oder in Essig zu legen, in Hütten aus Holz und Wellblech. "Wie ihre Eltern lernten auch sie, mit dem Meer zu leben und die Stellen zu erkennen, wo die Gezeiten Früchte hinterlassen."

Der Sound des Textes ist literarisch, manchmal pathetisch, was wohl auch der allzu wörtlichen Übersetzung aus dem Spanischen geschuldet ist.

Die atmosphärischen Fotos zeigen nicht nur die Fischer, sondern vor allem auch das Meer und die oft wüstenartige, flache Landschaft. Sie lassen einen Charles Darwins Überlegungen zu diesem Landstrich sehr gut nachvollziehen: Der wunderte sich in einem seiner Bücher, weshalb ihm von allen Bildern seiner Reisen am meisten die kargen Ebenen Patagoniens im Gedächtnis geblieben waren. Er kam zu dem Schluss, dass dieser nicht greifbare Horizont "der Einbildung volle Freiheit gibt", also Sehnsüchte und Nachdenklichkeit weckt, wie es vielleicht spektakuläre Gebirge oder Gletscher nicht tun.

Elida Fernández/Jutta Riegel: Die Freiheit, das Meer. Über das Karge und das Reiche an einem Rand der Welt. Corso Verlag, Wiesbaden 2016. 128 Seiten, 28 Euro.

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Quelle:
SZ vom 07.07.2016/kaeb
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