Reisebuch:Meditieren mit Kamera

Olivier Föllmi und Jean-Marie Hullot machen sich ein schönes - und geschöntes Bild - von Tibet, das Teile der Realität ausklammert.

Von Hans Gasser

Man hätte die Smartphones der zwei jungen Frauen gern gesehen, in rosa Hüllen, die perfekt zu ihren Kopftüchern passen; und auch die Mobilfunkmasten, geschmückt mit Gebetsfahnen, die das 3G-Netz in den hintersten Winkel der tibetischen Hochebene bringen. Olivier Föllmi fotografiert zwar die traditionell gekleideten Frauen am Ufer des Manasarovar-Sees, aber er tut dies so, als lebten sie vor 100 oder 300 Jahren dort: die Jurte am Seeufer, die Ziegenherde, dahinter der schneeweiße Berg Kailash. Dass die beiden Smartphones in ihren Trachten stecken hatten, wissen wir von Föllmis Reisegefährten Jean-Marie Hullot, einem Informatiker, der Apples Betriebssystem mitentwickelt hat.

Die zwei beruflich erfolgreichen Männer gesetzten Alters haben sich aufgemacht zu einer Reise um den Berg Kailash in Tibet, der sowohl für Buddhisten als auch für Hindus eines der wichtigsten Pilgerziele ist. Föllmi und Hullot eint dabei dieselbe Haltung: Sie suchen jenes Bild von Tibet, das sie sich unabhängig voneinander auf der Jahrzehnte zurückliegenden ersten Reise dorthin gemacht haben. Mit dem Wissen und der Angst, dass sich das Land seitdem stark verändert haben könnte, reisen sie im modernen chinesischen Zug nach Lhasa und weiter zum Kailash. Auf "die Seele Tibets" fokussiert Föllmi dabei sein ganzes fotografisches Interesse. Und das macht die Spannung, gleichzeitig auch das Problem des opulenten Bildbandes aus: Einerseits erfährt man aus den Texten, dass sich das zuerst von den Chinesen zerstörte, dann wiederaufgebaute und modernisierte Land in weiten Teilen von dem Bild unterscheidet, das die beiden sehr spirituell und buddhistisch gesinnten Männer von ihm haben. Die meisten der sanierten Bauwerke und Kunstschätze seien zu Museen gemacht worden und hätten deshalb ihre Lebendigkeit und Spiritualität verloren, schreibt Hullot. Am Potala-Palast in Lhasa stünden die Touristen mit Selfiestangen Schlange, und aus den Geschäften blinke Neonreklame. Doch nichts davon zeigen die Bilder Föllmis. Keinen der Widersprüche, die ein Land und das Reisen ja oft erst interessant machen. Stattdessen gibt es geballt schöne Bilder eines Fotografen, der Jahrzehnte an Himalaja-Erfahrung besitzt. Man blickt auf Yakherden im besten Licht, reich bestickte Gewänder und in faltige Gesichter, über weite Landschaften, auf Wolken und Pilger, die sich alle drei Meter in den Staub werfen. Ein Bilderbuch-Tibet eben, das man so ähnlich schon öfter gesehen hat.

Föllmi und Hullot pilgern ebenso, der eine mit seiner Kamera, die er als "Meditationshilfe" bezeichnet, der andere mit seinem iPhone, das ihm heilige Wege weist und Zugverspätungen ankündigt. Sie meditieren viel, tauchen in die eiskalten Wasser des auf 4500 Meter gelegenen Manasarovar-Sees ein, was Buddhisten wie Hindus eine Wiedergeburt verspricht, und steigen zusammen auf den 5700 Meter hohen Dolma-La-Pass.

Beide Männer sind inspiriert von dem Buch "Der Weg der weißen Wolken", einem Klassiker der buddhistischen Erweckungsliteratur. Es wurde 1966 geschrieben, von Lama Anagarika Govinda, einem aus Sachsen stammenden, in Europa und den USA äußerst einflussreichen Interpreten des Buddhismus. Viele seiner Weisheiten zieren die großformatigen Fotos im Buch.

Es ist ein sehr subjektiver, persönlicher und spiritueller Zugang, den Föllmi und Hullot für ihr Buch über Tibet und den Kailash gewählt haben. Das hat natürlich auch seinen Reiz. Neue Erkenntnis über das heutige Tibet in all seinen Facetten bringt es aber nicht.

Olivier Föllmi, Jean-Marie Hullot: Kailash. Eine Pilgerreise in das Herz der weißen Wolken. Aus dem Französischen von Jörn Pinnow. Knesebeck Verlag, München 2019. 260 Seiten, 40 Euro.

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