Süddeutsche Zeitung

Reisebuch:Klare Sicht im Nebel

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Dutzende Fotografen machen sich gemeinsam ein anregen-des Bild von London, dessen Vielfalt unerreicht ist.

Von Stefan Fischer

London ist Chaos. Auch außerhalb des britischen Parlaments. Ein alltägliches Nebeneinander von scheinbar Unvereinbarem, das auf sonderbare Art doch ein Ganzes ergibt. Was auch immer Schönheit für einen bedeute, wird die schwedische Fotografin Ashley Nordsletten in dem Bildband "Streets of London" zitiert, finde sich in dieser Stadt. Und zwar nie mehr als einen kurzen Spaziergang entfernt - egal, wo in London man sich gerade aufhalte.

Die Arbeiten von rund 40 Fotografen sind in dem Band versammelt, den der Verlag teNeues gemeinsam mit dem Designbüro Mendo gestaltet hat. Sie dokumentieren ganz unterschiedliche Facetten, Dutzende sich teils widersprechende Varianten von Schönheit. Dennoch vermittelt "Streets of London" kein beliebiges Bild. Der Band ist im Kleinen wie die Stadt: heterogen und doch unverkennbar.

Da ist zum einen der Nebel, den sich etliche der Fotografen zunutze machen. Die Straßen und Gebäude lösen sich in ihm auf, und das ist durchaus symbolisch: Der Charakter Londons lässt sich eben nur schwer festmachen, überdies verändert die Stadt ihr Aussehen in hoher Geschwindigkeit. Der Nebel schafft Raum für die Fantasie: Was ist noch nicht da, wird sich aber womöglich bald aus ihm herausschälen?

Eine Faszination übt die Geometrie aus: Kurven sind typisch, sei es im Straßenverlauf oder in der Form neuer Gebäude; selbst U-Bahnsteige sind heftig gekrümmt, etwa in Bank Station. Es gibt also stets ein Dahinter, das vom Standpunkt des Fotografen nicht einzusehen ist - mit ziemlicher Sicherheit jedoch eine neue Facette bereithält.

Überdies spielen Spiegelungen und Schattenwürfe eine wesentliche Rolle in der zeitgenössischen Londoner Straßenfotografie. Auch das hat eine Bedeutung über den optischen Reiz hinaus: Es sind Bilder über die Wechselwirkung, die die Architektur und die Straßenszenen miteinander eingehen. Diese Motive hinterfragen Oberflächen, die womöglich ablenken vom Eigentlichen - oder aber gerade darauf hinweisen. Ein treffendes Motiv hat Boris Nascimento eingefangen in seiner Fotografie "London Eye". Das Riesenrad gleichen Namens ist grell und bewegungsunscharf im Hintergrund zu sehen. Im Vordergrund stiert eine Überwachungskamera in Nascimentos Objektiv - ein gegenseitiges Belauern, hinter dem die Frage steckt, wer sich welches Bild macht von der Stadt.

Auffallend ist die Menschenleere auf den Fotografien - als das Besondere in der übervollen Stadt. Und dass der Blick in alle Richtungen geht, von unterschiedlichen Niveaus aus sowohl in die Höhe als auch in die Tiefe. Mal fokussiert er auf ein Detail, mal sind Panoramen zu betrachten. Was man den Fotografien nicht ansieht, ist, dass der Blick ein männlicher ist. Dennoch wüsste man gerne, ob das Mosaik ein anderes wäre, wenn mehr als bloß ein halbes Dutzend Fotografinnen mit ihren Arbeiten in "Streets of London" vertreten wären.

Gunifort Uwambaga / Mendo (Hrsg.): Streets of London. Verlag teNeues, Kempen 2018. 224 Seiten, 50 Euro.

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Quelle:
SZ vom 14.02.2019
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