Reisebuch:Kalte Welt

Philippe Bourseiller fotografiert Eis, als wäre es ein Lebewesen. So dokumentiert er die gigantische Dynamik in den Polarregionen.

Von Stefan Fischer

Ganz langsam haben er und seine Begleiter sich mit ihrem Boot bis an den Fuß treiben lassen, schildert der Expeditionsreisende Jean-Louis Étienne seine erste Annäherung an einen Eisberg. Das Mächtige und Reine habe ihn fasziniert - und die Stille. Andere Gewährsleute indessen schildern den Lärm, den Eis macht, wenn es bricht, reißt, explodiert. Gemeinsam ist allen Gesprächspartnern in Philippe Bourseillers Bildband "Eis" die Lust, die teilweise sogar zu einer Gier wird, dem Eis ganz nahe zu sein. Ob sie nun wie Janot Lamberton bis zu 200 Meter tief in Gletschermühlen hinabklettern, Kapitän eines Eisbrechers sind, wie Yves Frenot ein Polarinstitut leiten, als Glaziologen arbeiten oder sich als Aktivisten für den Umweltschutz engagieren.

Was die Experten äußern, zeigt der französische Fotograf Philippe Bourseiller in seinen Bildern: die Schönheit und die Vielgestaltigkeit von Eis. Etliche der Fotografien sind in den polaren Gebieten entstanden, viele aber auch am Baikalsee, in nordamerikanischen Nationalparks oder in Japan.

Oft handelt es sich dabei um Luftaufnahmen, und auch wenn es auf der Mehrzahl der Bilder keinen Anhaltspunkt für die tatsächlichen Größenverhältnisse gibt, nimmt man die gigantischen Dimensionen der Eisberge, Gletscher und gefrorenen Wasseroberflächen instinktiv wahr. Während viele Fotografen in Arktis und Antarktis vor allem die Erhabenheit in den Blick nehmen, die oft den falschen Eindruck erweckt, es gäbe eine jahrtausendealte und nun bedrohte monumentale Urszenerie in den Polargebieten, zeigt Bourseiller wesentlich deutlicher die immerwährende Dynamik des Eises. Er fotografiert das arktische Meer am Anfang des Winters, wenn das Wasser gerade zu gefrieren beginnt. Das Packeis, wie es sich ineinanderschiebt. Risse in Eisflächen, die sich ausbreiten. Schmelzwasser.

"Das Eis lebt", sagen mehrere der für den Band Interviewten. Und so wollen sie es auch behandelt wissen.

Philippe Bourseiller: Eis. Mit Interviews von Brice Perrier. Aus dem Französischen von Kristin Lohmann. Knesebeck Verlag, München 2018. 296 Seiten, 45 Euro.

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