Reisebuch Italien:Marsch in der Mittagshitze

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(Foto: Kunstmann)

Auf den Spuren des Freiheitskämpfers Garibaldi: Der Brite Tim Parks wandert von Rom nach Ravenna - und erfährt dabei viel über Italien.

Rezension von Sebastian Schoepp

Warum unternimmt man so etwas? Einen 650 Kilometer langen Marsch in der Augusthitze von Rom bis Ravenna, zwischen Leitplanken und Schnellstraßen, von Hunden gehetzt, vom Gestrüpp zerkratzt, auf den Spuren eines lang verstorbenen Feldherrn? Ist es historisches Interesse, die Freude an der Herausforderung, Sturheit? Oder will der 67-jährige Tim Parks nur seine sehr viel jüngere Mitwanderin beeindrucken? Wohl von allem etwas.

Doch vielleicht sind die Motive gar nicht so wichtig. Man legt Parks Buch "Der Weg des Helden" jedenfalls nicht mehr aus der Hand, bis er und Eleonora nach einem so spannenden wie entbehrungsreichen Fußmarsch an der Adria angekommen sind - immer quellengenau auf den Spuren Guiseppe Garibaldis, der denselben Weg vor mehr als 150 Jahren nahm, auf der Flucht vor kaiserlichen und päpstlichen Truppen, die ihn davon abhalten wollten, Italien zu einen.

Garibaldi war besessen vom Freiheitsgedanken. Parks ist besessen von Garibaldi, wohl deshalb sind ihm die Schlachtenschilderungen etwas ausführlich geraten. Die Stärke des Buches liegt jedoch in der Empathie, die es weckt - sowohl mit dem malaria- und rheumageplagten Garibaldi und seiner schwangeren Frau, die diesen Marsch nicht überlebt; als auch mit dem Garibaldi-Fan und seiner Freundin, die zum Glück heil ankommen. Wie alt Parks sei, wird Eleonora mitleidsvoll gefragt, als der Autor dehydriert und überhitzt auf einen Caféstuhl sinkt. Glück müsse man sich hart erarbeiten, schreibt er, auch der Beginn eines neuen Lebens bedeute Risiko und Kampf. Die beiden haben ihre Jobs aufgeben, um einem stumpfsinnigen Alltag zu entkommen. Beginnt man so ein Abenteuer, weil man den Kampf gegen den Alltag verloren hat?

Der Brite Tim Parks ist zur festen Größe im Kulturleben Italiens geworden.

Garibaldi und sein Gefolge hatten 1849 weniger abstrakte Gründe, sie hatten einen Krieg verloren und fürchteten Kugeln und Gefangenschaft. Die Feinde des modernen Wanderers hingegen sind Beton, Asphalt und Verkehr. Zwar gibt es in Italien keine Grenzen mehr wie zu Garibaldis Zeiten, der Held hat erreicht, was er wollte. "Dennoch können wir keineswegs mehr frei durch das Land laufen, jedenfalls nicht ungefährdet", klagt Parks. "Zumindest nicht in der Umgebung von Rom."

Das Gehen wird angenehmer, je weiter sie den Moloch hinter sich lassen, doch zu Genusswanderern mutieren Parks und Eleonora nicht. Die Belohnungen, mal eine Limonade im Schatten, ein bienendurchsummter Morgen auf einem Landsträßchen, wirken bescheiden im Vergleich zu den Strapazen in der Mittagssonne. Es geht um das Aushalten, das Ankommen, die Verbundenheit zum Land - der Lohn ist metaphysischer Natur.

Der britische Expat Tim Parks ist zur festen Größe im Kulturleben Italiens geworden. Sein Fußballbuch über Hellas Verona machte ihn berühmt. Der "Weg des Helden" setzt noch eins drauf, man lernt mehr über Italien als in manchem Geschichtsbuch oder Reiseführer: über den herben Charme des Latiums und die Authentizität der Marken, im Kontrast zum touristischen Themenpark Toskana. Über sterbende Dörfer und den Durchhaltewillen der letzten Bewohner. Man spürt, wie die Liebe wächst, nicht nur zwischen Fußgänger und Erde, sondern auch innerhalb dieser Zwei-Personen-Armee: "Ich würde sofort zugeben, ein Tyrann zu sein", schreibt Parks, "wenn sie sich nur beklagen würde. Aber das tut sie nicht."

Der Weg wird für ihn und Eleonora zu einem Zuhause. Wie stark, das merken sie in den überfüllten Zügen auf der Rückreise, "im Fegefeuer des öffentlichen Raums", in dem man nur auf eines warte, wie der Autor klagt: endlich "wieder in die Freiheit seines Privatlebens entlassen zu werden".

Tim Parks: Der Weg des Helden. Auf Garibaldis Spuren von Rom nach Ravenna. Aus dem Englischen von Ulrike Becker. Verlag Antje Kunstmann, München 2022. 432 Seiten, 28 Euro.

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