Reisebuch:Im Sog der Leere

Die Bilder des Fotografen Jürgen Wettke von Namibias Wüsten entfalten eine suggestive Kraft.

Von Ingrid Brunner

Holz oder Stein? Beides. Dieses gewundene, verwitterte Gebilde im roten Sand war mal Holz vom Kameldornbaum. Extreme Temperaturen und Trockenheit ließen es im Laufe der Jahrhunderte zu Stein werden. Und Jahrhunderte sind ein Wimpernschlag in der ältesten Wüste der Welt, das lernt der Betrachter des Bildbandes "The Namib Desert" sehr schnell. Auch, dass er seinen Augen nicht trauen kann. Was zum Beispiel aussieht wie ein abstraktes Aquarell in zartem Blau und Beige, stellt sich als Dünenlandschaft hinter der Atlantikküste im Süden Namibias heraus. Der Fotograf Jürgen Wettke hat sich Namibias Wüsten angenähert, von der Wüste zu sprechen, träfe es nur unzureichend. Geologie, Wind, Wasser formten die Landschaften höchst vielgestaltig. Granit, Kalk, Sandstein geben die Farbpalette vor. Sie reicht von Rostrot über Umbra, Schlamm und Braun bis zu Gelb, Granit färbt Sand Lila, Mineraloxide sorgen für das Blau. Sattes Grün hingegen findet sich erst im letzten Abschnitt am Erupa River.

Tafelberge, Canyons, Dünenlandschaften, vertrocknete Flussläufe, Salzpfannen und bizarre Felsformationen eint die scheinbar gänzliche Abwesenheit von Wasser. Und doch erzählen die vielen trocken gefallenen Flussadern, dass es hier einst Bäche und reißende Ströme gegeben haben muss - oder im Jahreszyklus noch immer gibt. Auch die spärliche Vegetation deutet darauf hin, dass unterirdische Wasserläufe und Niederschläge existieren. Leider erfährt der Betrachter erst im Index ein ganz klein wenig darüber. Zum Leser wird er nur dort. Unter den Fotografien, die am Ende des Buches im Briefmarkenformat nochmals zu sehen sind, stehen kurze Erklärungen, die aber mehr Fragen aufwerfen, als sie beantworten. Man würde gerne mehr erfahren über die Kräfte, die diese Landschaften geformt haben.

So aber entfalten die Bilder vor allem eine suggestive Kraft, der Leser gerät in einen Bildersog, schwelgt in der Schönheit einer fast menschenleeren Welt. Man muss schon sehr genau hinschauen, um etwa auf der ersten Panorama-Aufnahme des Bandes eine feine Linie als Staubpiste, ein paar winzige weiße Flecken als Häuser zu erkennen. Das gehört zum Konzept des Fotografen. Der Mensch kommt nur als Randerscheinung vor, sollte sich fernhalten von diesem fragilen Ökosystem, das ganz ohne dessen Zutun entstanden ist, wohl aber durch dessen Zutun schnell zerstört werden könnte. Diese Botschaft hatte auch schon Jürgen Wettkes erster, viel beachteter Bildband "Die Kunst des Wattenmeeres". Auch dort erschaffen die Kräfte der Natur täglich aufs Neue Formen, Linien, Muster im Schlick, die der Mensch dann ästhetisierend Kunst nennt. Eine vergängliche Kunst, Momentaufnahmen, weshalb der Fotograf, kunstsinnige Betrachter und geschäftstüchtige Verlagskaufleute sie Unikate nennen.

Jürgen Wettke: The Namib Desert. Art. Structures. Colors. Verlag teNeues, Kempen 2016. 208 Seiten, 59,90 Euro.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: