Süddeutsche Zeitung

Reisebuch:Eroberung der Vereinigten Staaten

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Ein Bildband zeigt Postkarten aus den Dreißiger- bis Fünfzigerjahren, auf denen sich die Amerikaner eine glorreiche Gegenwart ausmalten.

Von Stefan Fischer

Postkarten zeigen nie die Realität, sondern immer eine geschönte Version davon. Besonders augenfällig wird das auf jenen US-amerikanischen Karten, die Wolfgang Wagener und Leslie Erganian für ihren Band "New West" zusammengetragen haben: Sie zeigen Motive, die schwarz-weiß fotografiert und anschließend per Hand koloriert worden sind. Gedruckt worden sind sie im Lithografieverfahren auf stark strukturierten Karton. Eine hybride Kunstform sei das, schreiben die Autoren in ihrem Vorwort, das wie alle übrigen Texte auch englischsprachig ist. Denn den Motiven liege eine doppelte Interpretation der Realität zugrunde: eine erste durch die Fotografen, die zweite dann durch die Koloristen, die mitunter die Nacht zum Tag gemacht, Farbtöne aufeinander abgestimmt und überhaupt Tatsachen nur als Gerüst ihrer Darstellungen angesehen haben, in der es stets um Idealisierung gegangen sei.

Hyperreal seien die Farben, schreiben Wagener und Erganian - diese leinenpapierenen Postkarten, mit denen vor allem der deutsche Emigrant Curt Teich reich geworden ist, wurden von Anfang der 1930er- bis Ende der 1950er-Jahre produziert, ehe die Farbfotografie sich durchsetzte, die freilich die Postkartenwelten auch nicht in realistischen Farben dargestellt hat.

Trotz des Zweiten Weltkrieges sind das Jahrzehnte eines ungebrochenen Fortschrittsglaubens, vor allem in der westlichen Hälfte der USA. Auf die beschränken sich die Autoren, die schlüssig erläutern, dass der Pioniergeist dort noch greifbar war: Nur ein Siebtel der Amerikaner lebte 1950 westlich des 100. Längengrades (heute ist es ein Viertel). Was an der Ostküste schon viel weiter gediehen war, wurde im Westen oft erst in Angriff genommen: die Entwicklung des Landes. Highways, Brücken und Dämme, Fahr- sowie Flugzeuge und die rapide wachsenden Stadtlandschaften sind die bevorzugten Motive, im Zentrum stehen vielfach die Hervorbringungen der Ingenieurskunst. Natur hat ihren Wert nicht als Idylle, sondern als erschlossener, eroberter Raum. Selbst die neuerdings verfügbare Freizeit wird in Schwimmbecken, Sportstadien und an urbanisierten Stränden verbracht.

Die San Francisco-Oakland Bay Bridge in den Vierzigerjahren.

Ein Gruß aus dem Sehnsuchtsort Las Vegas, Nevada, 1954.

California Girls mit Badekappen: Santa Catalina Island, 1935.

Im Pferdemarsch über die Edwin Natural Bridge in Utah, Postkarte aus dem Jahr 1940.

Insofern zeigt "New West" nicht bloß einen grellen Ausschnitt aus der Geschichte der Postkarte, sondern erzählt viel über das amerikanische Selbstverständnis. Es gründet auf einem industriellen Fundament, das längst zu bröckeln begonnen hat: Öl, Kohle und Stahl verheißen keine bessere Zukunft mehr. Sie werden abgelöst durch Daten als dem wertvollsten Rohstoff. Auch hier schreitet der Westen der USA voran. Ob die Digitalisierung jedoch Bilder des Landes erschafft, mit denen es auf Postkarten gepriesen werden kann, bleibt dahingestellt.

Wolfgang Wagener, Leslie Erganian : New West. Hirmer Verlag, München 2019. 304 Seiten, 49,90 Euro.

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Quelle:
SZ vom 19.09.2019
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