Reisebuch:Die Welt, wie sie mir gefällt

Jede Karte stellt ihre eigene Wahrheit dar. Ein Band versammelt spannende Werke kreativer Illustratoren und Grafiker. Die sind schön zum Eintauchen, zum Navigieren sollte man sich nicht darauf verlassen.

Von Stefan Fischer

Diesen Karten, schreibt Antonis Antoniou in seinem Vorwort, solle man nicht trauen. Sie sind spannend, verführerisch, äußerst ansehnlich und rätselhaft. Sie sind, so Antoniou, einer der Herausgeber des Bandes "A Map of the World": die "femmes fatales der Kartografie".

Man kann diesen Karten also verfallen - sollte sich dann bloß nicht wundern, wenn sie einen in die Irre führen. Um geografische Präzision geht es jedenfalls eher nicht auf all diesen Land- und Straßenkarten. Das ist ohnehin ein relativ modernes Konzept von Kartografie. Im Mittelalter dienten Karten in erster Linie der weltanschaulichen Orientierung. An diese Tradition knüpfen die Schöpfer jener Karten an, die in diesem Band versammelt sind: Sie erforschen neue kartografische Sprachen, probieren neue Formen der bildlichen Gestaltung aus. Den meisten der Karten ist eines gemeinsam: Sie sind radikal subjektiv.

Reisebuch: Momentaufnahme der isländischen Hauptstadt Reykjavik aus dem Jahr 2011. Seither hat sich einiges geändert. Touristen erhalten aber immer noch diese schöne Karte.

Momentaufnahme der isländischen Hauptstadt Reykjavik aus dem Jahr 2011. Seither hat sich einiges geändert. Touristen erhalten aber immer noch diese schöne Karte.

(Foto: Gestalten Verlag)

Manche regen an zum Tagträumen, manche zum kritischen Hinterfragen. Viele sind originell, manche auch witzig. Einige erfasst man auf den ersten Blick, bei anderen entdeckt man eine zweite Ebene. In wieder andere muss man ziemlich tief eintauchen. Ein Trend ist, Karten gegenständlich zu illustrieren: Justine Smith hat auf einer Weltkarte die Landflächen aus den dort jeweils gebräuchlichen Geldscheinen gestaltet, Yanko Tihov mit den Vorderseiten von Reisepässen. Das Hello Yellow Studio hat die Welt aus Buchstaben gebaut - viele Begrüßungen, in der jeweiligen Sprache: Olá, Namaste, Ibedi, Selamat, Salut ... Auch dem begegnet man häufiger: dass Sprache zugleich Form wird.

Reisebuch: Jedes Jahr stellt das englische Monocle Magazin die besten Strände, Festivals, Gallerien und Hotels rund ums MIttelmeer vor, mit dieser Illustration von Mike Lemanski.

Jedes Jahr stellt das englische Monocle Magazin die besten Strände, Festivals, Gallerien und Hotels rund ums MIttelmeer vor, mit dieser Illustration von Mike Lemanski.

(Foto: Gestalten Verlag)

Oft geht es nicht ums Ganze, sondern um spezielle Interessen: In einer stark stilisierten Karte der niederländischen Stadt Arnheim sind nur jene Gebäude verzeichnet, die anstelle der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Häuser errichtet worden sind. In einer "New Littles" betitelten Grafik ist ersichtlich, wo die größten nationalen Minderheiten in New York ihr hauptsächliches Revier haben. Weil die Illustratoren dafür emblematische Bauwerke aus den jeweiligen Herkunftsländern verwenden, befinden sich am Brighton Beach in Brooklyn der Kreml, die Chinesische Mauer teilt ein griechisches Inseldorf in zwei Hälften und auf Staten Island sind das Kolosseum und eine Maya-Pyramide die Attraktionen.

Reisebuch: Reduzierung auf das Wesentliche: Katherine Baxter zeigt auf ihren Karten nur die relevantesten Gebäude, Straßen und Metrostationen ind London und New York.

Reduzierung auf das Wesentliche: Katherine Baxter zeigt auf ihren Karten nur die relevantesten Gebäude, Straßen und Metrostationen ind London und New York.

(Foto: Gestalten Verlag)

Ich mach mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt: Das Pippi-Langstrumpf-Motto gilt auch für all die Kartografen und Illustratoren, die mit ihren Werken in diesem Buch vertreten sind. Einigermaßen realistisch ist Stephanie von Reiswitz' Darstellung von Islay - doch gibt sie dem nüchternen Betrachter vor allem davon einen Eindruck, was er auf der schottischen Insel wohl sieht, nachdem er bei einem Gutteil der Whisky-Destillerien an einer Verkostung teilgenommen hat: Gespenster und Pinguine. Fantastisch ist eine Karte, die so aussieht, als stelle sie Los Angeles dar. Verzeichnet sind jedoch ein Gosford, ein Jurassic und ein South Park, im See Reservoir Dogs liegt Shutter Island, und durch die Stadt führt etwa die Road to Perdition. Etliche Gebäude sind verzeichnet: das House of Flying Daggers, der Fight Club und das Casino Royale. Eine Stadt ganz aus Filmtiteln - damit ist Los Angeles treffender charakterisiert als mit jeder banalen Straßenkarte. Zumal man sich mit dieser Film Map durchaus orientieren kann in der realen Stadt.

Reisebuch: Die wichtigsten Sehenswürdigkeiten auf einer Postkarte: London, New York und Moskau.

Die wichtigsten Sehenswürdigkeiten auf einer Postkarte: London, New York und Moskau.

(Foto: Gestalten Verlag)

Antonis Antoniou, Robert Klanten, Sven Ehmann, Hendrik Hellige, Lincoln Dexter (Hrsg.): A Map of the World. According to Illustrators & Storytellers. Gestalten Verlag, Berlin 2020. 254 Seiten, 39,95 Euro.

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