Reisebildband "Muscle Beach" in Kiew:Einer für alle

An einem kleinen Ort in Kiew herrscht tatsächlich Demokratie: im Freiluft-Fitnesscenter. Wie dort Mensch und Sportgerät skulpturengleich zusammenwirken, hat der ukrainische Fotograf Kirill Golovchenko festgehalten.

Eine Rezension von Stefan Fischer

8 Bilder

Foto aus "Muscle Beach" von Kirill Golovchenko

Quelle: Kirill Golovchenko/Kehrer Verlag

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An einem kleinen Ort in Kiew herrscht tatsächlich Demokratie: im Freiluft-Fitnesscenter. Und das skulpturgleiche Zusammenspiel aus Mensch und Sportgerät hält der ukrainische Fotograf Kirill Golovchenko fest. Eine Rezension von Stefan Fischer.

Der ganze Ort sieht aus, als käme er aus einer anderen, längst vergangenen Zeit. Deshalb erstaunt auch dieses Detail auf den ersten Blick nicht: ein Handtuch, türkisfarben und weiß, ausgebreitet auf einer hölzernen Bank. Es zeigt das Logo der Olympischen Sommerspiele von Moskau, 1980. Doch das Foto ist nicht alt, es ist in einem der drei vergangenen Sommer aufgenommen worden.

Foto aus "Muscle Beach" von Kirill Golovchenko

Quelle: Kirill Golovchenko/Kehrer Verlag

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Und wenn man weiter hinein blättert in den Bildband Kachalka von Kirill Golovchenko, wenn man die vielen schwitzenden, angestrengten Menschen betrachtet, dann ist es verwunderlich, dass ein offenbar mehr als 30 Jahre altes Handtuch nicht ausgewaschen und ausgefranst ist - da man doch annehmen muss, dass es in regelmäßigem Gebrauch ist. Wem es gehört, ist nicht auszumachen.

Foto aus "Muscle Beach" von Kirill Golovchenko

Quelle: Kirill Golovchenko/Kehrer Verlag

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Aber die meisten der Menschen, die auf dem Kachalka-Gelände in Kiew, auf einer Insel im Dnjepr, Kraftsport betreiben und die auch alt genug sind, dass sie die Moskauer Sommerspiele selbst erlebt haben, sie sehen so aus, als stählten sie ihre Muskeln schon länger und auch sehr häufig.

Foto aus "Muscle Beach" von Kirill Golovchenko

Quelle: Kirill Golovchenko/Kehrer Verlag

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Es gibt dieses Freiluft-Fitnesscenter seit den 1970er Jahren. Angefangen hat alles mit einigen wenigen Geräten, über die Jahre ist der Park auf seine aktuellen Ausmaße angewachsen. Und wenn man dem Fotografen Golovchenko glaubt, dann ist das immer schon ein sehr demokratischer Ort gewesen in einer Stadt, in der die Demokratie lange Zeit im Grunde keinen Platz hatte und sich bis heute schwertut, nachhaltig Wurzeln zu schlagen. Denn in den zehn Quadratkilometer großen Fitnesspark kämen Mitglieder aller Altersklassen, politischer Lager und Gesellschaftsschichten. Und ob einer reich ist, welchen Beruf er hat, das sieht man am "Muscle Beach" keinem an.

Foto aus "Muscle Beach" von Kirill Golovchenko

Quelle: Kirill Golovchenko/Kehrer Verlag

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Zuerst fallen einem die Kuriositäten bei der Bekleidung auf: Kirill Golovchenko hat zum Beispiel eine Frau - man sieht sie nur vom Nabel an abwärts - in Minirock und High Heels fotografiert; in dieser Aufmachung trainiert sie auf einem Stepper. Und ein Kerl - auch von ihm ist nur die untere Körperhälfte zu sehen - trägt zur Sporthose graue Socken in beigefarbenen, geflochtenen Slippern. In der Regel aber sind die Sportler gänzlich unauffällig gekleidet. Lässt man den fliederfarbenen Minirock einmal außen vor, dann ist bemerkenswert, wie wenig eitel die Bewohner Kiews offenbar in Kleidungsfragen sind; jedenfalls, wenn sie Sport treiben. Kirill Golovchenkos Bildband ist nämlich nahezu frei von Marken-Emblemen, nur auf einem Trainingsgerät steht der Schriftzug "Men's Health". Und dann ist da eben noch das Moskau-Handtuch.

Foto aus "Muscle Beach" von Kirill Golovchenko

Quelle: Kirill Golovchenko/Kehrer Verlag

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Der Kraftsport ist an diesem Ort und auf diesen Fotografien auf das Wesentliche reduziert. Keine Funktionskleidung, keine Profiausrüstung. Die Menschen gehen in markenlosen Turn- oder Badehosen nach Kachalka, in Bikinis oder einfachen Tops und Sweatshirts. Auch die Kraftgeräte selbst, sie sind aus Altmetall zusammengeschweißt und -geschraubt. Einige Ecken des Geländes sind so vollgestellt mit derlei improvisierten Maschinen, dass man eher an einen aufgeräumten Schrottplatz denkt als an ein Fitness-Gelände.

Foto aus "Muscle Beach" von Kirill Golovchenko

Quelle: Kirill Golovchenko/Kehrer Verlag

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Auf seinen Fotografien begreift Kirill Golovchenko Kachalka als einen Skulpturenpark - nie sind es dabei die Menschen und nie die Sportgeräte allein, die er inszeniert. Eine Skulptur, das ist für ihn immer das Zusammenspiel von Mensch und Metall. Golovchenko hält Momente fest, die alles andere als statuarisch sind - und dennoch so aussehen.

Foto aus "Muscle Beach" von Kirill Golovchenko

Quelle: Kirill Golovchenko/Kehrer Verlag

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Zu dieser Eleganz gesellt sich eine Lebendigkeit, die die Aufnahmen durch die Emotionen der Fotografierten erlangen. Man sieht ihr Leid, ihre Konzentriertheit, ihre Freude und ihren Stolz. Wenn man als Besucher nicht nur die architektonischen Sehenswürdigkeiten Kiews anschauen, sondern etwas über die Bewohner dieser Stadt erfahren möchte - dann empfiehlt es sich ganz offenkundig, sich eine Turnhose und ein Handtuch zu schnappen und mit ihnen zusammen ein paar Hanteln zu stemmen.

Kirill Golovchenko: Kachalka - Muscle Beach. The Pumping Iron Revolution. Kehrer Verlag, Heidelberg und Berlin 2012. 96 Seiten, 28 Euro

© SZ vom 24.01.2013/cag
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