Reisebegleiter: Politiker und Journalisten:Ihm nach!

Wenn Journalisten mit Politikern reisen, kommen sie zwar herum, sehen aber nichts von der Welt - und dann will Gerhard Schröder die Reporter auch noch an die Löwen verfüttern.

Kurt Kister

Vor langer Zeit, es mag 1983 gewesen sein, reiste der damalige Verteidigungsminister Manfred Wörner einmal um die Welt. In Malaysia hatte er, wie das so schön heißt, "bilaterale Gespräche" zu führen, in Australien sollte er den Verkauf zweier U-Boote befördern und in Hawaii besuchte er einen amerikanischen Admiral, der für den Pazifik zuständig war. Schöne Reise, eigentlich: von Köln über die Vereinigten Arabischen Emirate nach Kuala Lumpur und dann weiter nach Sydney und Canberra. Über die Fidschi-Inseln, die Datumsgrenze und Hawaii ging es nach San Francisco, überWashington und Kanada wieder zurück nach Köln.

Schröder auf dem Weg nach Washington

Umgekehrte Rollenverteilen: Im Flugzeug drängen sich manche Politiker mal den Journalisten auf. Andere wiederum wären die Reisebegleitung gerne wieder los. Gerhard Schröder 2005 auf dem Weg nach Washington.

(Foto: dpa/dpaweb)

Knapp zehn Tage, eigenes Flugzeug (Boeing 707, deutsche Luftwaffe, sehr laut), an Bord drei Dutzend Offiziere, Beamte und Journalisten, darunter der Autor, damals jung, hoffnungsfroh und den Kopf voller Traumberuf-Journalismus-Flausen.

Es war mein erster großer Wir-reisen-mit-Politikern-Trip. Wörner war ein fideler Schwabe, der sich, zumindest auf dieser Reise, durchaus zutraute, irgendwann Helmut Kohl als Kanzler nachzufolgen. Das Schicksal sowie die Affäre um den General Kießling verhinderten dies. Weil man allein auf dieser Reise mehr Flugmeilen absolvierte, als dies vermutlich der Baron von Richthofen in seinem ganzen Fliegerleben getan hat, wurde die Weltumrundung zu einer Art überdimensionalen Klassenausflug: Die gefühlt längste Zeit verbrachte man in der durch Zigarettenrauch (damals durfte man noch rauchen beim Fliegen) vernebelten Kabine der Boeing.

Wenn man sie verließ, war man irgendwo auf einem Flugplatz und wurde meistens von einem Ehrenzug Soldaten sowie dem örtlichen deutschen Botschafter begrüßt, dessen Miene man ansah, dass er eigentlich keinen Bock hatte, vor den Bonnern Bückling zu machen. Die Menschen außerhalb der Flugplätze, die man im militärischen Organisationsdeutsch gerne "die Zivilbevölkerung" nannte, hatten eine mehr oder weniger braune Hautfarbe und waren im kanadischen Goose Bay am hellsten.

Die Hotels in Sydney oder San Francisco sahen sich ziemlich ähnlich; die meiste Zeit am Boden verbrachte man entweder in einem Auto, das zu einem Verteidigungsministerium oder einem Hauptquartier fuhr, oder man wartete in einer dieser Behörden in irgendeinem Vorraum auf den Minister. Halt, wir wollen nicht ungerecht sein: In Canberra wurden der Delegation in einem Nationalpark zwei Koalas gezeigt, die in ungefähr 30 Metern Höhe auf einem Eukalyptusbaum saßen. Der Wildhüter erklärte auch sehr ausführlich den Koalakot, der tatsächlich nach Eukalyptus roch. Ich war in Australien.

Im Laufe meiner dann doch wieder längeren journalistischen Karriere war ich mit Kanzler und Kanzlerin, Ministern und Ministerinnen in sehr vielen Ländern.

"Eine Geliebte? Keine Zeit!"

Meine Pässe sind voller Visa sonderbarer Staaten, bei denen die Faustregel gilt: Je größer und ausgefeilter das Visum ist, desto schlimmer steht es um die Menschenrechte und die Demokratie im jeweiligen visumgewährenden Staat. Sehr beliebt ist bei den Ein- und Ausreisestemplern auch die Unbrauchbarmachung einer ganzen noch jungfräulichen Passseite, indem der Stempelknecht in deren Mitte einen kleinen Stempel "Seen at the Airport in Guggudugga" haut.

Ein Vorteil bei offiziellen Reisen war die Tatsache, dass es an Bord des Kanzler-Flugzeugs immer einen Beamten gab, der mit einem Sack voller Pässe Ein- und Ausreisestempel besorgte, während wir in Hotellobbys oder Konferenzzentren saßen. Man musste sich so nicht mit den örtlichen Stempelknechten herumschlagen, was bei individuellen Reisen als Reporter sehr nervenaufreibend sein konnte.

Auf Reisen benehmen sich manche Politiker nahezu wie Menschen. Es war interessant, wenn einem ein hochrangiger Staatsmann nachts um halb zwei in Shanghai erklärte, dass das mit der angeblichen Geliebten Riesenquatsch sei, schon allein deswegen, weil er überhaupt keine Zeit für eine Geliebte hätte, ganz zu schweigen davon, dass er seiner Frau sowieso treu sei.

Mancher Staatsreisende war gefürchtet, wenn er sich durch den Mittelgang des Flugzeugs den Presseplätzen näherte. Man sah ihm an: Er will schwätzen, die Welt erklären und bedeutend sein. Man kann in so einem Fall nicht einfach sagen: "'Tschuldigung, der Platz ist schon besetzt", sondern man muss lächeln und hin und wieder "Ah, tatsächlich?" sagen oder auch "Das ist sicher ein großes Problem...". Manche gingen nach 20 Minuten wieder. Andere blieben den halben Atlantik lang.

Unerquicklich war es manchmal, mit Gerhard Schröder zu reisen, besonders in dessen zweiter Legislaturperiode. Erstens kultivierte er damals eine tiefe Abneigung gegen die meisten Journalisten. Zweitens vermied er alles, von dem er glaubte, es könne zu Bildern führen, die nach Tourismus aussähen und den eigentlichen Reisezweck, das höhere Wohl Deutschlands, verzerren würden.

Wir waren also mit Schröder in China und sahen die Mauer nicht, in Kairo und sahen die Pyramiden nicht, in Moskau und spazierten nicht durch den Kreml. In Kenia hatten die Gastgeber einmal ein Abendessen in einem Nationalpark vorbereitet. Das ganze Sinnen und Trachten von Schröders Entourage war darauf gerichtet, keine Fernsehbilder oder Fotos zu ermöglichen, die eine Schlagzeile wie "Schröders Safari" zugelassen hätten. Wäre plötzlich ein Nashorn aufgetaucht, der Regierungssprecher hätte es wohl persönlich vertrieben.

Einmal, auch in Afrika, in Addis Abeba im Garten des ehemaligen Kaiserpalastes, brach es aus dem Kanzler heraus.

"Schräderrr, Deitschland!"

Er besichtigte Löwen, die dort schon der Kaiser Haile Selassie gehalten hatte. Er drehte sich um, wurde einiger Journalisten ansichtig und sagte, an niemanden gezielt gerichtet: "Euch sollte man da reinwerfen." Er meinte es zu mindestens zwei Dritteln ernst. Später war ich nochmal mit Merkel in Addis. Diesmal blieben die Löwen unbesichtigt, aber die Kanzlerin hatte kein Problem, sich im Garten, an Denkmälern oder mit pittoresk gekleideten Einheimischen fotografieren zu lassen. Bei Merkel käme man weniger auf die Idee, sie könne bei einer solchen Reise auch als Touristin unterwegs sein.

Sie benimmt sich am Kap der Guten Hoffnung wie in der CDU-Fraktion und im Angesicht grönländischer Gletscher als sei sie auf der plötzlich arktisierten Insel Rügen.

Was eine wirkliche Weltmacht ist, erfährt der mitreisende Journalist, wenn er sich im Gefolge des amerikanischen Präsidenten bewegt. Wo Angela Merkel mit einem Airbus aus DDR-Beständen hinfliegt, nimmt Barack Obama den Präsidenten-Jet, mindestens einen großen Militärtransporter sowie hin und wieder noch ein Begleitflugzeug für Offizielle, Presse und den Stab.

Vor Jahr und Tag, der Präsident hieß damals noch Bill Clinton, machte ich drei oder vier dieser Reisen mit, die überzeugende Demonstrationen des ausgesprochen wohlwollenden Imperialismus waren. Zwar sah man auch auf diesen Reisen nichts anderes als Hotels, Präsidentenpaläste und Veranstaltungssäle. Wenn man das Glück hatte, als Poolreporter dem Präsidenten beim Joggen zusehen zu dürfen, sah man auch mal einen Stadtpark. Manches war, zumal im Vor-Mobiltelefon-Zeitalter, sehr beeindruckend.

Zum Beispiel organisierte das Pressebüro des Weißen Hauses an jedem Ort, egal ob Minsk, Neapel oder Tallinn, Pressezentren für die mitreisende Mischpoke. Jeder Arbeitsplatz hatte ein Telefon, und alle Telefone waren auf das Ortsnetz in Washington, D.C. geschaltet. Man konnte für 21 Cent aus Moskau, Kairo oder Paris mit zu Hause telefonieren - vorausgesetzt, man war in Washington zu Hause.

Manches Reiseziel hätte man wahrscheinlich niemals im Leben angesteuert, gehörte man nicht zu den professionellen Politiker-Nachlatschern. Termez in Usbekistan zum Beispiel ist so ein Unort, weniger die Stadt als vielmehr der Flughafen, von dem aus man mit der Transall nach Afghanistan fliegt. Und dann natürlich Kundus oder Masar-i-Scharif, wo es dem Taliban gut, dem Fallschirmjäger mittelmäßig und dem Weltinteressierten eigentlich kaum gefällt.

Muss man aber hin, weil Politiker Soldaten besuchen müssen. Sitzt man in Zelten auf Bänken und schaut, wie der Minister jovial mit Soldaten spricht. Dann fliegt man nach Kabul und geht den Präsidenten mit der sonderbaren Mütze gucken.

1999 hieß Kundus übrigens noch Prizren. Das liegt im Kosovo, und der irgendwie siegreiche Kanzler Schröder kam im Juli zu einem ersten Besuch dorthin. Es war heiß, Schröders zeitweiliger Kanzleramtschef Hombach schwitzte bodomäßig, weil er eine schwere Splitterschutzweste trug, die noch auffälliger war als seine Goldkette um den Hals.

Der Kanzler watete glückseligen Lächelns durch die albanische Menge in Prizren, und die Leute schrien exaltiert: "Schräderrr, Schräderrr, Deitschland, Schräderrr." Irgendwo ragte ein Minarett auf, die Hügel schienen grün zu sein, und wahrscheinlich gab es auch eine Altstadt. Egal, konnte man ja später aus dem Hubschrauber angucken.

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