Krisen im Urlaub:"Wir mussten unsere Gäste erst einmal wiederfinden"

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Ausläufer des Hurrikans "Irma" im September 2017 in Miami, Florida (Foto: dpa)

Reiseveranstalter müssen aktiv werden, wenn Urlauber in Not geraten. Krisenmanager Mirko Jacubowski über Unfälle, Touristen unter Schock und Hurrikans, die alles durcheinanderwirbeln.

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Ferien sollen die schönste Zeit des Jahres werden, dafür muss möglichst alles reibungslos klappen. Doch die Realität nimmt nie Urlaub, immer kann etwas dazwischenkommen. Große Reiseveranstalter beschäftigen Krisenteams, die nicht nur bei Streiks im Einsatz sind, sondern auch bei politischen Unruhen oder Naturkatastrophen für die Sicherheit ihrer Kunden sorgen sollen - und auch bei Unfällen oder Krankheit helfen. Mirko Jacubowski, Leiter des Krisenmanagements bei Thomas Cook, über mehr oder weniger dankbare Gäste und Fälle, die besonders nahegehen.

Herr Jacubowski, fühlen Sie sich als Ritter auf dem weißen Pferd für Pauschalreisende?

Mirko Jacubowski: Ich bin eher die Spinne im Netz, bei mir und bei meinem Team läuft alles zusammen. Krisenmanagement ist ein Ineinandergreifen von vielen Einheiten und Prozessen, die in ganz unterschiedlichen Bereichen des Unternehmens ablaufen. Ich sorge dafür, dass alle Zahnräder ineinandergreifen.

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Welche Krisen sind für Sie am schwersten zu managen?

Das ist ganz unterschiedlich. Schwierig können Krisen sein, die einem persönlich nahe gehen, weil es Tote und Verletzte gibt. Wenn ich genau weiß, da hängen jetzt auch Angehörige dran, die sich in einer psychischen Notlage befinden. Oder Schwerverletzte im Zielgebiet kämpfen um ihr Überleben. Besonders tragisch war ein Unfall in Ägypten, bei dem ein Kind ums Leben kam. Es war mit den Großeltern im Urlaub, damit die Eltern mal wieder Zeit für sich hatten. Und dann stirbt es. Wenn man selbst Familienvater mit kleinen Kindern ist, berührt einen das sehr. Das geht natürlich näher, als wenn man einen Airline-Streik managt. Aber schwierige Krisen können auch Hurrikans sein wie vor zwei Jahren "Irma" auf Kuba.

Es dauert meist eine Weile, bis so ein Wirbelsturm auf Land trifft - da könnte man sich eigentlich gut vorbereiten ...

Ja, aber nach Kuba sind die Telefon- und Internetverbindungen generell nicht so gut. Und ein Hurrikan macht sie nicht besser. Da war irgendwann die Verbindung zu unseren Kontaktpersonen gekappt, auf die wir ja angewiesen sind, um einen Lagebericht zu bekommen oder um über sie Anweisungen weiterzugeben.

Also waren die Urlauber doch auf sich gestellt?

Reiseleiter waren ja vor Ort. Und wir haben hier improvisiert und keine großen Dokumente mehr durch die Gegend geschickt, sondern SMS oder Whatsapp. Diese kleinen Datenmengen gehen durch, während es in einem gewissen Zeitraum unmöglich war, größere Dateien nach Kuba zu senden. Wir haben dann eine kaskadierende Kommunikation aufgebaut: Wir schrieben einem und der gab es dann weiter, fast wie "Stille Post". Aber was will man machen, wenn man keine großen Telefonkonferenzen organisieren kann.

Ging es zu diesem Zeitpunkt bei dem Hurrikan darum, Leute von Kuba wegzubringen oder sie in sichere Gebäude zu schaffen?

Um beides. Die kubanische Regierung hat die Evakuierung weitestgehend eigenständig durchgeführt. Es war eher hinterher das Problem: Wir mussten unsere Gäste erst einmal wiederfinden. Die Regierung hat logischerweise nicht bei uns in der Zentrale angerufen und gesagt, wir haben Euren Gast XY da und dort untergebracht. Also mussten wir uns erst einmal einen Überblick verschaffen: Wer ist wo? Das ist natürlich in einer Situation relativ schwierig, in der Zehntausende Gäste - nicht nur von Thomas Cook, sondern aus allen europäischen und amerikanischen Ländern - in Sicherheit gebracht worden waren.

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Als der Hurrikan durchgezogen war, ging es darum, die Gäste rauszubringen, weil die touristische Infrastruktur nachhaltig geschädigt war. Es ist nicht damit getan, einen Flieger dorthin zu schicken, die Gäste müssen auch einsteigen. Dafür müssen die Transfers funktionieren, wir müssen wissen, wo die Gäste sind, und, und, und ... das ist ein ziemliches Kuddelmuddel. Unsere Aufgabe ist es, da Struktur reinzubringen, damit am Ende die Gäste nach Hause kommen und wir mit dem Flugzeug nicht halbleer wieder zurückfliegen.

Wie haben Sie Ihre Kunden überhaupt wiedergefunden, haben die sich selbst gemeldet?

Wir haben unmittelbar nach dem Hurrikan unsere Reiseleiter sowie ein extra aus Deutschland entsendetes Krisenteam auf Gästesuche in die Hotels geschickt. Viele Kunden haben uns aber auch per Mail, SMS oder Telefon kontaktiert. Einige Urlauber konnten wir aber wirklich erst mit einigen Tagen Verspätung erreichen, da wir ihre Handynummern nicht hatten. Sie reisten dann per Linienflug nach Deutschland.

Es sind bestimmt nicht alle Gäste dankbar und froh, wenn ihre Urlaubspläne über den Haufen geworfen werden...

Grundsätzlich wissen sie es schon sehr zu schätzen, dass jemand da ist, der sich um sie kümmert. Aber ganz ehrlich, nicht jeder Kunde ist in der Lage, das auch zum Ausdruck zu bringen. Manche sind ein bisschen geschockt, haben Angst - und dann ist der Ansprechpartner vor Ort, der ihnen hilft, auch derjenige, der die gesammelte Wut oder die Enttäuschung über den so anders verlaufenen Urlaub abbekommt.

Welche Krise, die Sie begleitet haben, war besonders gefährlich?

Wir versuchen, es gar nicht erst gefährlich werden zu lassen. Wir arbeiten immer mit den Informationen, die wir zu einem gewissen Zeitpunkt haben. Und wenn ich zurückblicke, haben wir in der Regel die richtige Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt getroffen. Natürlich kann man hinterher sagen, hätte ich gewusst, wie die Situation zwei Tage später ist, hätte ich vielleicht anders entscheiden. Aber in die Zukunft schauen können wir definitiv nicht.

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Wir haben etwa Leute in andere Hotels gebracht wegen eines Hurrikans, und dann hat er die Route geändert und ist vorbeigezogen. Das war natürlich im Nachhinein ein bisschen übervorsichtig, aber besser so als anders herum.

Manchmal wird die Lage unübersichtlicher, weil wir unterschiedliche Informationen bekommen. Da muss man einbeziehen, wie die Interessenlage vor Ort ist: Verschärft sich etwa die Sicherheitslage in Ägypten, stellt die Regierung dort die Lage vielleicht positiver dar, als sie ist. Weil sie dort schlichtweg auf den Touristenstrom angewiesen sind.

In den Ferien will man sich ja erholen und nicht um sein Leben fürchten. Wo auf der Welt ist es 2019 im Urlaub am sichersten?

Prognosen sind immer schwierig. Irgendwann gab es mal eine große Studie, die besagte, dass nur fünf Länder dieser Erde in der öffentlichen Wahrnehmung noch sicher sind - alles Länder, die keine großen Pauschalreiseziele sind, wie die Schweiz und Schweden. Letztlich ist in den letzten zehn Jahren die Welt ein Stück weit unsicherer geworden. Aber ich bin da guter Dinge, auch wenn Thomas Cook nun mal keinen Geheimdienst hat, wir haben auch keine Auslandsaufklärung - aber die Bundesregierung schon. Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht im engen Austausch mit dem Auswärtigen Amt. Das weist uns frühzeitig auf problematische Entwicklungen hin und bespricht auch nach einer Krise gemeinsam mit uns, was gut oder was schlecht gelaufen ist.

Aber ein Urlaubstipp? Ich hätte eigentlich auch gesagt, Berliner oder Straßburger Weihnachtsmärkte sind kein Problem. Wir müssen damit leben, dass eine allgemeine Terrorgefahr zugenommen hat, egal wo wir sind.

Wohin fahren Sie also in diesem Jahr?

Ich bin ein großer Fan von Asien, gerne Südostasien und Indien. Da habe ich zwar andere Sicherheitsstandards - auch bei der Frage, wie ich von A nach B komme. Aber wer sich darauf einlässt, kann dort einen wunderschönen Urlaub verbringen.

Mussten Sie da selbst schon einmal eine Krise überstehen?

Ich war 2008 auf eigene Faust in Myanmar, als es noch ziemlich von der Außenwelt abgeschnitten war. Damals gab es diesen verheerenden Zyklon mit 100 000 Toten. Ich hatte erst nichts von diesem Sturm mitbekommen, weil in den staatlichen Medien nicht darüber berichtet wurde. Wir haben Glück gehabt, aufgrund des schlechten Wetters haben wir unsere Reiseroute rechtzeitig geändert. Ich würde sagen, das hat uns möglicherweise das Leben gerettet.

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