Reise-Resümee:Am Mehr

Sie wollen mal raus aus allem? Eine Weltreise? Erwarten Sie nicht zu viel - und rechnen Sie mit allem!

Juan Moreno

Ich bin ausgestiegen. So sagt man doch, wenn man genug hat und hinschmeißt. Aussteigen klingt irgendwie nach Busfahren. Ich dachte an Asien, Australien, Amerika, kaufte acht, neun, zehn Reiseführer, las, überlegte und drückte dann den Halteknopf.

Fahrer hielt.

Weltreise.

Viele haben schon an einen Ausstieg gedacht, eigentlich alle, mit denen ich gesprochen habe. Es muss was passieren im Leben, man hat nur eins. Routine, ein Kreis, immer gleich - keine Gerade. Auf einer Geraden wiederholt sich nichts, da geht es immer weiter. Das wär' mal was, alles auf Anfang, alles von vorne.

Für viele ist eine solche Reise ein Traum, in ein paar Minuten geboren, Jahre vor sich hergeschoben. Es gibt Bücher zu dem Thema. Jedes Jahr mehr, hat mir kürzlich ein Verleger gesagt. Fast alle diese Bücher sagen, dass aussteigen schön sei: Machen, heißt es. Die Welt sehen, das Fremde, mindestens ein Ozean und eine Kontinentalplatte zwischen dem, was man kennt, und dem, was man sucht. Palmen, Täler, Salz auf unserer Haut. Es ist müßig, sich zu fragen, ob das Fremde einen anzieht oder das Bekannte einen weggescheucht. Wahr ist, dass viele Menschen das Gefühl haben, dass da mehr sein muss. Und dass man das Mehr mit einem Rucksack, einem Flugticket und einem Reiseführer suchen kann.

Die Frage, die ich mir jetzt vermutlich stellen sollte - nach meiner Rückkehr - sie müsste lauten, ob es richtig war, eine solche Reise zu machen. Ob ich meinen Freunden sagen soll: Überlegt es euch auch, es ist phantastisch! Harald Schmidt und Sandra Maischberger haben es gemacht. Roger Willemsen hat sich getraut. Alle fanden es toll, auf einer Geraden zu gehen statt sich im Kreis zu drehen.

War es richtig? Eigentlich müsste ich so eine Frage beantworten können. Oft sagen mir Freunde seit meiner Rückkehr, ich solle mal erzählen. Ich merke dann immer schnell, dass ich aber nicht zu lange erzählen soll. Reiseberichte ermüden Dagebliebene. Niemand möchte, dass sein Traum von jemand anderem beschrieben wird.

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Ich weiß nicht, ob ich eine Weltreise empfehlen kann. Ich sehe nach dem Jahr nicht klarer, ich weiß nicht, ob ich zufriedener bin, ob ich weniger oder mehr Zweifel habe. Aber vermutlich ist das auch der falsche Ansatz. Vielleicht lässt es sich so auszudrücken: Ich glaube, dass nach diesem Jahr die Qualität meiner Zweifel besser ist.

18 Länder waren es. Mehr als elf Monate hat das alles gedauert. 3600 Euro kostet so ein Ticket, ,,Round-The-World'' steht drauf, man darf immer nur in eine Richtung, sagt die Fluggesellschaft. Wenn man sich dafür entscheidet, immer nach Osten zu fahren, kriegt man kurz hinter Fidschi einen Tag umsonst. Man fliegt in Fidschi heute los und kommt gestern in Los Angeles an. Ich habe in meinem Tagebuch den 8. Mai 2006 zwei Mal ziemlich genau beschrieben.

Etwas mehr als 23000 Euro habe ich in dem Jahr ausgegeben. So viel kostet so eine Reise. Das ist viel Geld. Ich hätte es für die Rente sparen können. Für 23000 Euro bekommt man auch einen Ford Focus Cabrio. Oder zehn Frontzahnimplantate. Muss jeder selbst wissen.

Gute Hotels sind einsam

Man kann auch weniger ausgeben, aber nicht viel weniger. Gute Hotels sind einsam, genauso wie gute Restaurants. Darum meidet man sie nach einer Zeit, selbst, wenn man sie sich leisten könnte. Das große Leben ist eher in den billigen Läden, wo es stinkt, wo niemand wischt, fegt oder spült. Das ist überall auf der Welt gleich. Genau so wie der Luxus. Auch der ist auf der ganzen Welt gleich. Er ist vereinheitlicht, erwartbar, ein bisschen langweilig, so wie das Leben, das man gerade verlassen hat. Darum weicht man ihm aus, die meisten jedenfalls. Die Armut? Sie ist nun wiederum nirgendwo gleich, jedes Land ist auf seine eigene Art und Weise arm.

Da ich ein Egoist bin und das andere Leben kennenlernen wollte, schlief und aß ich in den Schenken, den Posadas, den Dorms, wo Leben war. Ich wollte allerdings dieses andere Leben nur kennenlernen, ich wollte es nicht leben. Man sollte sich nicht einreden, dass man während einer Reise versteht, wie andere Menschen leben oder was zum Beispiel Armut bedeutet. Auch wenn viele Touristen das versuchen.

Der Unterschied zwischen den vielen armen Menschen, mit denen ich gesprochen habe, und mir, ist die Auswahl, die ich habe und die sie nicht haben. Ich habe die Wahl, vier Monate jeden Tag Reis mit Bohnen zu essen. Ich habe die Wahl, über meine Zufriedenheit mit meinem Leben nachzudenken. Ich habe die Wahl, den Fahrer zu bitten, den Bus anzuhalten. Die anderen Menschen hatten diese Wahl nicht.

Armut ist also der Mangel an Alternativen, und dass ich mich für Reis entschieden habe, heißt nicht, dass ich wie sie bin. Ich hätte auch Hummer bezahlen können, und dass ich es nicht gemacht habe, verstehen nur die Menschen hier, nicht die, in deren Leben ich voriges Jahr zu Besuch war.

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Viele Weltreisende glauben, dass sie erbärmlich leben müssen, um diesen Menschen nah zu sein. Manche gehen so weit, alles zu verschenken, zu betteln. Sie simulieren Armut, so wie Las Vegas Venedig simuliert. Aber niemand in Laos ist arm, wenn er ein Rückflugticket nach Deutschland in der Tasche hat.

Reisende sind Zuschauer

Reisende sind Zuschauer, und das Beste, was sie tun können, ist zu versuchen, ein guter Zuschauer zu sein. Dazu gehört, dass man Eintritt bezahlt, und falls möglich, ein bisschen Geld in der Pause ausgibt. Auch, dass man sich auf das Stück einlässt, interessiert ist, freundlich. In dieser Beziehung funktionieren Länder wie Bahnschaffner. Ist man nett, freundlich und umgänglich, kommt man in der Regel prima miteinander klar. Ist man pampig, hat man verloren. Länder spiegeln das Wesen ihrer Besucher. Gott bestraft bösartige Menschen damit, dass sie nie ein Reiseland finden, in dem es ihnen gefällt. Gute und freundliche Menschen, sie haben tatsächlich den besseren Urlaub.

Viel kann man als Reisender eigentlich nicht tun. Zugucken, zahlen, Klappe halten, sich benehmen, sich freuen, dass man zuschauen darf. Ich glaube, das habe ich gelernt. Nach elf Monaten, die ich unterwegs war, bin ich ganz sicher kein besserer Mensch geworden, nein, wahrlich nicht. Aber vielleicht ein etwas besserer Tourist.

Daheim ist kein Ort

Am Anfang der Reise, dachte ich, dass ich in Wahrheit nur wegfahre, um es daheim wieder schön zu finden. Und es stimmt, ich finde es daheim schön. Ich weiß jetzt auch ein bisschen genauer, was daheim bedeutet. Daheim ist, wo Leute sitzen, die eine Überraschungsfeier für einen machen, wenn man wieder da ist. Daheim ist, wo eine Mutter ist, die ein ganzes Jahr lang keine Auslandsnachrichten entspannt schauen konnte, weil sie fast vor Sorge umkommt. Daheim ist, wo man sich über die Einführung von Einbürgerungstests ärgert. Man kann das auch anders sagen: Daheim ist kein Ort.

Was aber eine solche Reise mit einem macht, ist nur schwer fassbar. Sie verändert, natürlich tut sie das. Aber es bedeutet nicht viel. Nepal, Thailand, Laos, Vietnam, Kambodscha, Hongkong, Japan, Korea, Australien, Neu Seeland, Fidschi, USA, Guatemala, Honduras, Nicaragua, Costa Rica, Panama, Kolumbien, Venezuela, Brasilien. Mir hat ein maoistischer Freiheitskämpfer eine Waffe vors Gesicht gehalten, um eine revolutionäre Spende einzutreiben, die vermutlich ein paar Tage später in Munition angelegt wurde (Nepal), ich stand drei Meter neben einer Schießerei zwischen einem Ladendieb und einem Wachmann (Venezuela), ich wurde ausgeraubt (Vietnam), ich war in einer üblen Prügelei (Honduras), ich hatte Dengue-Fieber (Panama), und ich habe mit jemandem gesprochen, der für das Recht, auf 100 Quadratmetern Mülldeponie nach Essen suchen zu dürfen, Schutzgeld bezahlt. So etwas nennt man in Nicaragua ,,Schürfrechte''.

Zurückkommen heißt nicht hier sein

So dumm kann man nicht sein, dass diese Erfahrungen einen nicht verändern. Deutschland hat sich offenbar auch verändert. Rudi Carrell ist tot. Ullrich war gedopt. Volker Kauder heißt Roland Pofalla. Jauch wird Christiansen - das wurde hier in den Zeitungen offenbar auf der ersten Seite vermeldet. In den Solarien meiner alten Straße gibt es jetzt Flatrates. Grass war in der SS. Ich habe die WM verpasst. Die Deutschen glauben, dass die Welt nach der Weltmeisterschaft anders über sie denkt (was sie nicht tut).

Vor zehn Tagen bin ich gelandet, was etwas anderes ist, als zu sagen, dass ich seit zehn Tagen hier bin. Ich rede jetzt wieder den ganzen Tag lang Deutsch, meine Sprache, die ich wirklich vermisst habe. Eine wunderschöne Sprache, wirklich, und es ist sehr traurig, dass sie niemand auf der Welt spricht. Nicht mal die Deutschen. Wenn sie ins Ausland gehen, sprechen sie untereinander Englisch.

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Ich habe jetzt wieder Termine und immerzu das Gefühl, dass alle zu schnell reden und zu schnell denken. Updaten, sagen meine Freunde, es ist nichts passiert in dem Jahr, sagen sie, und dann reden sie eine Stunde. Robert Gernhardt, Johannes Rau und Yvonne Wussow sind gestorben. Schade, schade. Eva Herman schreibt Quatsch. Klinsmann ist kein Idiot mehr. Balkonbeflaggung heißt nicht, dass man Nazi ist, sondern nur gut drauf. Campino singt jetzt Kurt Weill, weil man sich mal weiterentwickeln muss, mein Ressortleiter hält Grass für einen brillanten Komiker. Ich bin noch hinterher, weit abgeschlagen, aber ich weiß, dass ich vor einem Jahr noch mithalten konnte. Vermutlich bin ich in einigen Monaten wieder drin.

Es ist noch alles präsent

Ich bin noch nicht in der Verklärungsphase, die nach solchen Reisen meist eintritt. Es ist noch alles präsent. Die Vulkane Guatemalas, die blauen Seesterne auf Fidschi, die Gletscher Neuseelands, die Hügel in Laos, Tom, der mit einem kleinen Boot aus einem Garagentor Tigerhaie fängt, um Geld fürs Studium seine Sohnes zu verdienen.

Ich sehe auch noch die Blutflecken auf den Kopfkissen der Hotelzimmer, das Tropenkrankenhaus, das nach Leichen roch, die Schlange in meinem Rucksack, die Kinder in Nicaragua, die auf mein Essen starren, die Frau, die in einer Hütte lebte, die komplett aus Pepsidosen bestand. An solche Dinge denkt man, wenn ein Kollege davon berichtet, dass seine Vermieterin ein langes Gespräch mit ihm geführt hat, in dem es um die Frage ging, ob für die Mietwohnung eine Flachspüler-Toilette oder eine Tiefspüler-Toilette angeschafft werden sollte. Preis 400 Euro. Ob er eher der Tiefspüler oder der Flachspüler-Typ sei, fragte die Vermieterin.

Vielleicht hilft es zu wissen, dass viele Weltreisende ein solches Jahr nicht wiederholen. Sie machen es ein Mal, und fahren dann immer nur noch einige Monate weg. Ideal scheinen drei Monate zu sein. Aber die Meinungen gehen da auseinander. Eine andere Sache ist, dass viele zwar eine Weltreise planen, die Tickets vorher kaufen, das Ganze aber dann doch eher ein Art Umzug wird. Sie reisen vier Monate, und bleiben dann den Rest der Zeit auf Goa, Ko Phi Phi, Utila. Reisen strengt an, man braucht Disziplin. Reisen ist Arbeit.

Vermutlich ist es unsinnig, einen Rat zu geben. Wer sich vorgenommen hat, eine solche Reise zu machen, wird sich nicht davon abbringen lassen. Gleich, was er hört. Wer sich nicht sicher ist, der sollte es lassen. Man wird seinen Rucksack hassen, und für jeden schönen Moment, den man erlebt, wird man mit mindestens einem Moment bezahlen, der nicht so schön ist. Alles gleicht sich während einer Reise aus. Man erarbeitet sich schöne Momente. Oft sind sie erst schön, wenn man sie hinter sich hat.

Nur ein paar Dinge sollte man sich aber vor Augen halten, wenn man wieder vom Aussteigen träumt. Daheim ist, wie ich schon sagte, kein Ort, das wird man verstehen, wenn man zurückkommt. Das heißt nicht, dass man das Daheim nicht fühlen kann, wenn man durch die Wohnungstür eines Freundes kommt.

Und Glück? Glück ist auch kein Ort. Wenn man sein Leben nicht mag, ist nicht Deutschland daran schuld. Woanders hinfahren bringt in dieser Hinsicht nichts, man hat sich selbst ja doch immer dabei. Wenn es so etwas wie ein Ergebnis, eine Zusammenfassung gibt, dann vielleicht ein Gefühl der Dankbarkeit. Das sollten die meisten Menschen in Deutschland sein, dankbar, dass man da geboren wurde, wo man die Wahl hat zwischen diesem und jenem, dankbar, dass man 55 Hartz-IV-Sätze in einem Jahr für eine solche Reise ausgeben konnte, dankbar, dass man jetzt ein paar Fragen besser formulieren kann, ohne dass man den Antworten näher gekommen wäre.

Wenn sich so ein Gefühl nach einer Weltreise einstellt - dann war es wahrscheinlich richtig, für eine Weile auf den Bus zu verzichten.

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