Kolumne "Mitten in ...":"Love you, England!"

In Harrogate teilt der Gast aus Deutschland mit einem kellnernden Lord nicht nur die Begeisterung für britische Nachspeisen. Im Bayerischen Wald dagegen sollten untrainierte Großstädter nicht auf Mitgefühl hoffen.

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Harrogate

Ein letztes Mal Urlaub in England: Denn vielleicht wird nach dem Brexit alles ganz kompliziert. Im Yorkshire ist alles wie früher, Wolkenschatten über Feldern, Schafherden, gotische Ruinen, verschlafene Dörfer mit gemütlichen Pubs. In einem bedient ein junger Mann, der sich wundert, dass diese Deutschen sogar "Eton Mess" kennen, die Süßigkeit aus zerbrochenem Baiser, Schlagsahne und zerstampften Erdbeeren, eine echte Sauerei. Er wohne im Manor House am Ende der Straße, wir könnten ihn gern besuchen. Machen wir - und googeln vorher: Da wohnt eine der ältesten Familien Englands, berühmt seit dem zwölften Jahrhundert, einer von ihnen weltberühmt durch eine historische Tat. Welche, sagen wir nicht, Datenschutz. Der jobbende Kellner ist ein Lord. Beim Besuch im Familiensitz beklagen wir einvernehmlich den Brexit. Love you, England!

Gustav Seibt

SZ vom 19. Oktober 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Unterried

Im Bayerischen Wald scheinen sie was gegen Hunde zu haben. "Hier ist der Esstisch meiner Kühe, nicht das Klo Ihres Hundes", steht auf einem Schild, das zwischen Oberried und Unterried am Rande einer Weide hängt. Ein Stück weiter schwenkt der Weg auf des Bauers Privatgrund - und wird, ebenfalls per Schild, zum "hundefreien Wanderweg" erklärt. Am Abend, im Lindenwirt zu Unterried, versucht der Großstädter, der sich nach der Wanderung mit einem fürchterlichen Muskelkater plagt, der Sache mit der Hundefeindlichkeit auf den Grund zu gehen. Doch Zdenek, der Barkeeper, weiß auch nichts Genaues. Ob er dann wenigstens einen Tipp gegen den Muskelkater habe? Einen Tipp nicht, ja nicht mal Mitleid: "Alles unter 30 Kilometer ist Spazierengehen." Scheint so, als hätten sie im Bayerischen Wald auch was gegen nicht ganz so gut trainierte Großstädter.

Stephan Handel

SZ vom 19. Oktober 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Rom

Ein Restaurant im Studentenviertel San Lorenzo, Mittagszeit, es droht Gewitter. Der Kellner bringt Wasser, Wein und vorzügliche Rosmarin-Croûtons, dann nimmt er die Bestellung auf. All das wird misstrauisch beäugt von einer Dame, die so an einem Tisch sitzt, dass sie alles überblicken kann. Vor ihr liegt ein Stapel Papiere, sie ist die Chefin, die Padrona. Kurze, schneidende Kommandos. Tisch 4 mit Kohlensäure. Da fehlt ein Salat. Die Scaloppine al limone müssten längst serviert sein. Der Kellner flitzt und schwitzt und lässt sich auch nichts anmerken, als er genötigt wird, draußen sämtliche freien Tische neu einzudecken, obwohl doch in spätestens drei Minuten der Regen niederprasseln und er alles wieder wird abräumen müssen. Man weiß nicht, ob er je Camus gelesen hat, der schrieb einmal: "Man muss sich Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen."

Oliver Klasen

SZ vom 19. Oktober 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... San Francisco

Umzug nach San Francisco. Häuser in Regenbogenfarben, in den Fenstern hängen Schilder: "Families belong together" und "Love is Love" steht darauf. Nur das Schloss im frisch gemieteten Haus klemmt leider. Aber Nachbar Jim hilft gern. Ja, das lädierte Auto macht er auch wieder fahrtauglich. Und erklärt den Neuankömmlingen ganz nebenbei: "Ihr seid gute Eltern, wenn die Kids nicht am Ende schwul werden!" Unser fünfjähriger Sohn, der sein Haar lang trägt, hat sich heute das T-Shirt mit dem Wendepailletten-Herz auf der Brust angezogen. Und er weicht Jim nicht von der Seite. Danach fragt er, ob wir Jim bald besuchen können. Die Dankeschönkarte für die ganzen Reparaturen sucht auch der Sohn aus. In Lila, mit viel Glitzer und einem niedlichen Igel darauf. Jim ist sehr gerührt: "Wenn ihr noch was braucht, meldet euch."

Malte Conradi

SZ vom 12. Oktober 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Labin

Istrien ist eine kroatische Halbinsel, die früher für FKK-Campingplätze und Hackfleischberge bekannt war. Das hat sich geändert. Heute wird um Segeltouristen geworben, es gibt hippe Tanz-Events und Ferienhäuser wie in der Toskana. Aufgetischt werden Fisch und Trüffel statt Djuvec-Reis, auch der Wein wird immer besser. Doch einmal im Urlaub muss schon gute alte Jugo-Kost sein! Also ab ins Lokal an der Landstraße, Grillplatte, dazu einen erdigen Roten aus der Gegend, Terran genannt. Der mundet vorzüglich. Ob man etwas mitnehmen könne? "Klar", sagt die Kellnerin, "sag ich Bescheid in Küche." Man zahlt, und schon kommt sie zurück: der Wein als Direktabfüllung - in die Zwei-Liter-Colapulle aus Plastik, die noch ein wenig nach Brause riecht. Terran-Coke-Cuvée, gereift im Kunststoff-Barrique. Schmeckt auch zu Hause.

Sebastian Schoepp

SZ vom 12. Oktober 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

Was brüllt die Verkäuferin im Supermarkt? Es klingt dumpf durch die Kopfhörer. Gerade die Schokoriegel bewundert. Es gibt davon so viele, eine ganze Wand. So ist das, wenn man als China-Korrespondentin nach drei Jahren für ein paar Wochen nach München kommt: fast vergessen, die Schokoladen-Vielfalt. Vor allem die mit Karamell. Überhaupt, Supermärkte. In China gibt es sie kaum. Klar, Stände und Metzger überall, aber das war früher, bevor die Hochhäuser kamen. Wo kaufen Chinesen? Sie bestellen. Heißer Kaffee, gebratene Nudeln, ganze Enten, es gibt alles, 24 Stunden. Essen auf Rädern. Dagegen in Deutschland: alles in Regalen, natürlich ordentlich. Die Verkäuferin aber jetzt, sie brüllt weiter. Kommt mit wütendem Schritt heran. Musik aus, Kopfhörer ab. Sie ruft: Geschlossen! Geschlossen! Ein Blick auf die Uhr: Oh, schon zehn nach acht. Hach, Bayern.

Lea Deuber

SZ vom 12. Oktober 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Maranello

Auch in Italien gibt es ein Mia-san-mia-Gefühl, besonders ausgeprägt im mythischen Maranello, wo dieser lässige junge Mann für eine Verleihfirma in den allerschönsten Ferraris fahren darf. Er lässt sich das Privileg gern anmerken. Effektvoll schlurft er vom beeindruckenden Firmenparkplatz zum Café nebenan und zurück, die Hände in den Hosentaschen, gewiss der Blicke jener Urlauber, die nach dem Besuch des Ferrari-Museums einen Espresso brauchen. Eine Spritztour? Neugierdehalber nachgefragt, was es kostet. Zehn Minuten: 140 Euro. Die einstündige Panorama-Tour fast 1000 Euro. Traumjob? Adrenalindauerausschüttung? Der Mann wirkt plötzlich demütig. Adrenalin ja, aber anders. "Ich sitze in einem Auto, das in 2,9 Sekunden auf 100 ist, ständig neben Menschen, die ich nie zuvor gesehen habe. Und 90 Prozent glauben, sie seien Piloten." Armer Ferraristo.

Frank Nienhuysen

SZ vom 5. Oktober 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Zandvoort aan Zee

Wir sitzen im Garten, als eine alte Dame mit lila Haaren am Zaun stehen bleibt und uns etwas auf Holländisch fragt. Weil wir irritiert schauen, wechselt sie ins Deutsche: Ihr Auto springe nicht an. Ob wir ihr mit "so einem Ding" helfen können? "Überbrückungskabel?", frage ich. Mein Mann hat eine bessere Idee: Man könne das Auto anschieben, zweiter Gang, Kupplung kommen lassen. Er setzt sich ans Steuer, die Dame und ich schieben. Beziehungsweise nach kürzester Zeit ich alleine, in Flipflops. Sieben Mal versuchen wir es mit der Kupplung, bevor wir aufgeben. Also doch das Überbrückungskabel? Als wir noch diskutieren, kommt ein Reh die Straße herunterspaziert. Es schaut, als wundere es sich, was es da überhaupt zu diskutieren gibt. Wir schließen das Kabel an. Wenige Minuten später tuckert der Motor - und die Dame fährt davon, dem schlauen Reh hinterher.

Kerstin Vogel

SZ vom 5. Oktober 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

Das Schuljahr ist noch nicht alt, die frischgebackene Viertklässlerin freut sich auf ihren Englischunterricht an der Plinganserschule in Sendling. Sie hat eine neue Lehrerin bekommen und findet die toll. Die Mutter glaubt, Frau J. zu kennen, aber sie fragt zur Sicherheit noch mal nach. Sie möchte wissen, ob sie wirklich das richtige Gesicht zu dem Namen im Kopf hat. "Frau J., das ist doch die Lehrerin mit der farbigen Haut, oder?", fragt sie. Kinder aus 39 Nationen gehen an die Plinganserschule; wer hier zwei deutsche Eltern hat, ist fast schon langweilig. Aber es gibt nur eine einzige farbige Lehrerin, alle anderen sind weiß. Der Neunjährigen ist die Frage der Mutter dennoch reichlich egal. Nur eines ist aus ihr herauszubekommen: "Frau J. ist sehr groß und sehr nett", erklärt sie. Toll, wenn Hautfarbe einfach keine Bedeutung hat.

Christina Berndt

SZ vom 5. Oktober 2018

Berlin

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Berlin

Klack-Klack, Klack-Klack. Großmütig schaut der Reiter von seinem Ross, stolz wippt er im Takt mit dem Pferderücken auf und ab. Klack-Klack, Klack-Klack. Die Mauern des Auswärtigen Amtes werfen das Geräusch der auf den Asphalt schlagenden Hufe zurück, es hallt über den Spreekanal hinweg und dringt durch die gekippten Fenster der gegenübergelegenen Plattenbauten. Runde um Runde kreist der fest im Sattel sitzende Gendarm um das Gebäude, mit erhabener Gleichgültigkeit am morgendlichen Fußvolk vorbei, er bewacht das im wilden Osten Berlins gelegene Ministerium. Klack-Klack, Klack-Klack. Am Nachmittag dann ist der Zauber verflogen und der Gaul im Feierabend. Der Polizist geht zu Fuß, Eimer und Schaufel in der Hand, und kehrt die Äpfel zusammen, die sein Pferd im Dienst zurückließ. Kack-Kack, Kack-Kack.

Jan Schwenkenbecher

SZ vom 28. September 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Denver

Nachdem der Mann das Flugzeug betreten und seine Reihe gefunden hat, geht hinter ihm erst einmal gar nichts mehr. Bevor er sich niederlässt, packt er einen mit Desinfektionsmittel getränkten Lappen aus und wischt die Armlehnen seines Sitzes, den Bildschirm und die Bedientasten ab - sehr sorgfältig und in aller Ruhe, wer weiß schon, wer hier zuletzt mit seinen Dreckpfötchen hantiert hat. Nach der Landung in New York hat es der Mittvierziger dann eilig. Er verschwindet in der Herrentoilette, wählt eine der Kabinen und lässt den Flugzeugkaffee ab: im Stehen, ohne die Tür zu schließen und, wahrscheinlich, mit heruntergeklappter Klobrille - so wie amerikanische Männer das halt gerne tun. Sichtlich erleichtert tritt er schließlich wieder aus der Kabine und verlässt zügig den Raum. Das Handwaschbecken hat er nicht einmal angeguckt.

Claus Hulverscheidt

SZ vom 28. September 2018

MI

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Würzburg

Gleich fährt der ICE los, die Türen piepsen schon, da poltert in letzter Sekunde eine unfreundlich dreinblickende Frau ins Abteil. In Würzburg steigt eine asiatische Familie zu, riesige Koffer, es geht zum Flughafen Frankfurt. Alle drei sind fröhlich aufgeregt. Die sauertöpfische Alte mosert nach drei Minuten, das Kind solle endlich den Mund halten, "wir sind hier schließlich im Ruhebereich". Der Vater bittet um Verständnis, es sei die erste ICE-Fahrt für den Jungen. "Kinder haben hier nichts zu suchen!", blafft die Frau. Der Vater: "Sie können ihm doch nicht das Reden verbieten?" Die Frau: "Ach, Sie nennen mich einen Nazi?!" Da kommt der Schaffner, ein junger Kerl, und macht das Gemeinste, was er tun kann: Er schickt die Familie in die 1. Klasse. Ohne Aufpreis. Und überreicht ihnen Getränkegutscheine. Dann herrscht wieder Stille im Ruheabteil. Eisige Stille.

Alena Lies

SZ vom 28. September 2018

MI

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Hoi An

Erschöpft kehren die zwei Touristen von einem Ausflug in ihre Pension nach Hoi An zurück. Der Gastgeber passt sie ab. "What about your hä?", fragt er die Frau besorgt. "My hä?" "Yes, your hä!" Er fasst sich mit der Hand an den Kopf. "My hair?" Die Frau tastet irritiert ihre Haare ab. "No, your hä", sagt der Gastgeber, und als sie immer noch nicht versteht, bedeutet er ihr, auf dem Stuhl Platz zu nehmen. Und beginnt mit einer phänomenalen Kopfmassage. "It's better?", fragt er nach zehn Minuten. Die Urlauberin, die sich die ganze Zeit das Lachen hat verkneifen müssen, nickt. Ihr Gastgeber wirkt erleichtert. Weshalb es die Kopfmassage gab? Er hatte gedacht, dass das nasse Handtuch, das die Gäste am Morgen auf dem Bett hatten liegen lassen, von einem nächtlichen Migräneanfall zeugte. Dabei hatte die Frau damit nur ihren "Hä" nach dem Duschen trocken gerieben.

Isabel Bernstein

SZ vom 21. September 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

Einmal die Woche fährt die Tochter mit dem Kindergarten in den Wald, die Eltern dürfen gerne mitkommen. An diesem schönen Sommertag war man der Einzige, der das Angebot annahm. Zwischen Bauwagen und Bäumen mühte man sich, den Erziehern ein nicht zu heimlicher Helfer und dem Nachwuchs ein nicht zu unheimlicher Ansprechpartner zu sein. Wer Fragen habe, könne sie jederzeit stellen, bot man morgens den Kindern an, nur her damit. Und was es da alles zu erzählen gäbe über diese wunderbare Welt! Das Klima, die Fotosynthese, das Rotwild! Doch am Ende des Tages ist es bei einer einzigen gestellten Frage geblieben. Eine, auf die man am liebsten geantwortet hätte, dass Mutter Natur zuweilen halt eine blöde Eule ist. Stattdessen sagte man "Das frage ich mich auch" zu dem Mädchen, das wissen wollte, warum man denn keine Haare am Kopf habe.

Martin Wittmann

SZ vom 21. September 2018

MI

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Madrid

Es ist heiß und Siesta-Zeit. Die Arbeiter in der Wohnung links unten in unserem Patio haben endlich die Bohrmaschine abgeschaltet und dösen wohl. Der Säugling vom Erdgeschoss hat aufgehört zu schreien. Nur der Kanarienvogel aus der zweiten Etage flötet noch leise. Doch dann eine Ruhestörung. Eine weibliche Stimme schallt von unten herauf: "Na los, gib's mir! Gib's mir!" Das kommt wohl aus der Wohnung der unnahbaren schönen Rothaarigen. "Nein, das ist nichts! Noch mal, mach weiter!" Und dann jauchzt sie: "Ja, ja, ja!" Und noch mal und noch mal das Ganze, eine Viertelstunde lang. Nach der Siesta treffen wir die Rothaarige vor dem Haus, sie führt ihren neuen Hund aus, einen jungen Jack Russell. Fröhlich ruft sie: "Vorhin haben wir in der Wohnung Stöckchen apportieren geübt! Und jetzt wollen wir es im Park probieren!"

Thomas Urban

SZ vom 21. September 2018

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