Thomas Heinze hatte als Kind nicht Heimweh, es zog ihn in die Ferne: Amazonien, Feuerland, Galapagos, Atacama und die hohen Anden - all diese Orte klangen viel zu verheißungsvoll, um sie niemals mit eigenen Augen zu sehen. Als Heinze 2004 gerade beruflich und familiär ungebunden war, hob er seine 3000 Euro Erspartes ab und flog nach Chile. Ein Abenteuer allein deshalb, weil er ohne Kontakte, Route oder Spanischkenntnisse unterwegs war. Doch Heinze verliebte sich, nicht in eine Frau - in den Kontinent. Seitdem war der Reisejournalist aus Thüringen fast ein Dutzend Mal in Südamerika, in Dschungeln, auf Bergen, an Stränden und in einer "verlorenen Welt". Diese Reisen verbindet Heinze mit einer weiteren Leidenschaft, die ihn ebenfalls seit der Kindheit nicht loslässt: die Fotografie. Aus seiner Sammlung ist nun ein persönlicher Bildband entstanden, in dem Heinz auch andere mitnimmt auf die Reise durch "Südamerika". Tatsächlich ist der Deutsche zwar noch immer mit kleinem Budget und Rucksack unterwegs, aber nicht mehr allein: Seine Frau Stefanie begleitet ihn zu den schönsten, aber auch anstrengendsten Zielen in Südamerika. Im Bild: Die Brandung donnert gegen die Felsen der Ilha Grande in Brasilien.
Auf einen einzigen Lieblingsort kann sich Südamerika-Liebhaber Heinze nicht festlegen, "das Schöne an diesem Kontinent ist ja gerade seine unglaubliche Vielfalt". Ein Symbol dafür sei das Foto einer Hängebrücke am Choroweg, die den Betrachter regelrecht in den Dschungel hineinzuziehen scheint: Die alte Inkastraße beginnt bei La Cumbre auf 5000 Metern in den Gipfeln der Anden und führt bis zum Rand des Amazonasbeckens im subtropischen Bolivien. So verbindet der Choro-Trek die größten Naturräume Südamerikas. "Der Ort ist touristisch unentdeckt und doch recht einfach und mit wenig Geld erreichbar - einer meiner Lieblingsorte, voller Exotik und Abenteuer", sagt Heinze. Er deckt auch in seinen Bildern die Vielfalt des Kontinents ab, zeigt die Schönheit von Blüten ebenso wie Landschaften, charakterisiert Orte durch Flora, Fauna und die Bewohner, welche er einfühlsam porträtiert.
Für Thomas Heinze ist die Fotografie nicht nur während, sondern auch nach der Reise wichtig: "Sie gibt mir die Möglichkeit, anderen Menschen Dinge zu zeigen, die sich anders nur schwer verdeutlichen lassen." Wie es etwa wirkt, wenn mitten in der Wüste ein Fischkutter gestrandet ist oder sich Machu Picchu aus dem Morgennebel schält. Man könne dies lange beschreiben und würde doch nur ein unzureichendes Bild zeichnen, meint er. Reisefotografie aber mache interessante, schöne, spektakuläre Orte und Situationen erfahrbar.
So geleitet Thomas Heinze mit seinen Fotos erst durch die "Gran Sabana", die große Savanne, weiter ein Stück durch den Dschungel - und dann ragt vor ihm plötzlich eine tausend Meter hohe Steilwand auf. Oben auf dem Felsplateau des Tafelbergs Roraima zwischen Venezuela, Brasilien und Guyana herrscht in mehr als 2800 Metern Höhe über dem Meeresspiegel ein völlig anderes Klima, es ist feucht und kühl. Ein Großteil der Tiere und Pflanzen auf dem Plateau ist endemisch: Sie haben nur einen Ort in der Welt, an dem sie leben können, und der ist hier. Bis zur Erstbesteigung des Roraima Ende des 19. Jahrhunderts hielt sich das Gerücht, dass in der abgeschiedenen Höhe die letzten Dinosaurier überlebt haben könnten (hatten sie nicht). Dies hat Arthur Conan Doyle zu seinem Buch "The Lost World - die vergessene Welt" inspiriert.
So sehr Thomas Heinze von Südamerika fasziniert ist, auswandern möchte er nicht: "Meiner Meinung nach ist Deutschland das beste Land zum Leben. Hier ist mit Sicherheit viel zu viel nicht perfekt, aber eben doch sehr vieles sehr gut." So genießt er Exotik auf Zeit, etwa in der Oase Huacachina. Sie ist wegen der sie umgebenden, bis zu hundert Meter hohen Sanddünen eine der Sehenswürdigkeiten Perus und auf dem 50-Sol-Schein abgebildet. Hier können Urlauber Sand- statt Snowboarden. Nur einen Lift gibt es natürlich nicht.
Heinze hat kein Problem, "Postkartenlandschaften" zu fotografieren, schließlich will er auch die Faszination Südamerikas weitergeben. Doch ist ihm wichtig, nicht nur die schöne Seite der Länder zu zeigen: "Gerade in Südamerika gibt es viele Probleme, die man nicht ausblenden darf und ansprechen muss." Etwa indem er die Mühsal von Minenarbeitern zeigt, deren Backen dick von Kokablättern sind - diese lassen sie ihr Los ertragen. Doch das schließe die schönen Motive nicht aus, ist seine Überzeugung: Erst müsse man Menschen für ein Land begeistern, damit sie sich damit beschäftigen und sich dafür einsetzen, ist er überzeugt.
Bei seinen Reisen begegnet Thomas Heinze wahren Kleinoden der Natur: Kolibris nennt man auch "fliegende Edelsteine der Regenwälder". Im Tiefland von Guayana in Bolivien sind aber auch weniger hübsche Tiere unterwegs - und weitaus weniger angenehme. Julio, ein Freund auf früheren Reisen, unterscheidet die unzähligen Mücken und Ameisen nicht nach Arten. Für ihn gibt es Fünf-Minuten-Ameisen, 15-Minuten-Ameisen oder - besonders unangenehm - sogar Zwei- oder Fünf-Stunden-Ameisen: So lange schmerzen ihre Bisse.
Es gibt auch Ziele, die sich Heinze ganz anders vorgestellt hatte: Im Süden Brasiliens liegt die von Deutschen gegründete Stadt Blumenau und in der Nähe die "deutscheste" Stadt Brasiliens, Pomerode. "Hier hatte ich tatsächlich so ein kleines Deutschland erwartet mit typischem Essen, Deutsch sprechender Bevölkerung, Trachten und Fachwerkhäusern. Diese Zeiten sind allerdings seit dem Zweiten Weltkrieg, als hier alles Deutsche verboten war, vorbei." Doch zahlreiche Hinweise auf die Wurzeln der Auswanderer haben überdauert.
Südamerika-Reisenden mit nur wenig Zeit und einem Hang zum Komfort empfiehlt Heinze den Besuch der Iguazu-Wasserfälle: "Dieses Naturschauspiel ist sehr gut erschlossen und so bildgewaltig, dass hier jeder Fotograf Herzrasen bekommt." Der Rio Iguazu ist der Grenzfluss zwischen Brasilien und Argentinien; an den berühmten Fällen stürzt das Wasser donnernd bis zu 80 Meter in die Tiefe. Mehr als 270 einzelne Wasserfälle, die "Saltos", formen die Naturkulisse.
Traumhafte Anblicke und Motive wie Salzseen, Wüsten, Lagunen mit Flamingos und im Hintergrund Vulkane finden Urlauber laut Heinze in der Lipezregion im Süden Boliviens. Hier leuchtet die Laguna Verde mitten in einer Berglandschaft, die nicht nur unwirtlich, sondern beinahe unwirklich scheint. Diesen Blick hat man vom Gipfel des Vulkans Licancabur aus, der knapp 6000 Meter hoch auf der Grenze zwischen Chile und Bolivien aufragt - und inaktiv ist.
Ebenso traumhaft, einer Fata Morgana gleich, ist der Salar de Uyuni: Auf dem größten Salzsee der Erde herrscht nur eine Farbe vor: Weiß.
Besonders bleiben Heinze aber die Erlebnisse mit den Menschen in Erinnerung. Während einer Tour durch die bolivianischen Anden wollte er in der Hütte von Lamazüchtern übernachten, die sein Bergführer angeblich kannte. "Viel zu spät kamen wir im Stockfinsteren dort an und wurden nur von wütend bellenden Hunden empfangen. Unser Rufen hörte niemand, Schneeregen setzte ein. Als wir uns bereits auf eine arg ungemütliche Nacht im Freien einstellten, sahen wir den Schatten eines riesigen Hundes - so zumindest unsere erste Vermutung." Im Schein der Taschenlampe erkannten die Wanderer aber eine sehr kleine, uralte Frau, die in Decken gehüllt war, und furchtbar erschrak, als sie die nächtlichen Besucher bemerkte. Sie war fast taub. Zögernd bat sie die Fremden in ihre Hütte.
Die Küche der alten Frau war zwei mal drei Meter groß, hatte einen offenen Herd, kein Fenster, keinen Schornstein und als Tür ein viereckiges Loch, das nur einen Meter hoch war. "Der Rauch des Feuers zog größtenteils durch die Tür ab, eine Qualmschicht hing auf eineinhalb Metern Höhe im Raum. Die alte Indiofrau störte das nicht. Sie kaute glücklich unser als Gastgeschenk mitgebrachtes Koka und begann, aus ihrem Leben zu plaudern." Ihr genaues Alter wusste die Frau nicht, aber seit 50 Jahren habe sie das Tal nicht verlassen. Sie lebte mit ihrem Sohn zusammen, der zwar ein anständiger Kerl sei, aber leider zu viel trinke. "Wir hörten zu, trockneten langsam am Feuer, kochten auf ihrem Herd und dann aßen wir zusammen. Als wir todmüde in ihrem Schuppen die Kartoffeln beiseite räumten und unsere Schlafsäcke ausrollten, waren wir sehr dankbar für den wunderbaren Ausgang des Abends. Das sind die Momente, wegen denen ich auf Reisen gehe, was das Reisen ausmacht", sagt Heinze.
Es gibt aber auch Momente, auf die Thomas Heinze hätte verzichten können - nicht wegen der Gefahr, sondern wegen dem Gedränge. Besonders unangenehm ist ihm eine Badebucht in der Chapada Diamantina zur Karnevalszeit in Erinnerung geblieben. Die Chapada Diamantina, ein Mittelgebirge im Bundesstaat Bahia, ist zwar eine wunderschöne Berglandschaft. Zum berühmten brasilianischen Karneval fliehen allerdings Abertausende aus Salvador de Bahia hierher. "Wir gerieten mitten in dieses Chaos badefanatischer Brasilianer, die rücksichtlos und ohne die herrliche Bergwelt eines Blickes zu würdigen zum Wasser drängten. In einer normalerweise sehr menschenarmen Gegend kam man sich vor wie im Gedränge eines überfüllten Weihnachtsmarktes." Im Bild: ein Riesentukan, der mehr als einen halben Meter groß wird
Dabei gibt es in der Chapada Diamantina fantastische Höhlen, tiefe Canyons sowie spektakuläre Wasserrutschen der Natur: Die Dorfjugend schlittert mit dem Fluss Ribeirão do Meio einen schrägen Felshang hinab - im Stehen. Im Idealfall beeindrucken sie mit einem abschließenden Kopfsprung in den Naturpool.
Schöner Kontrast, ein erfrischender Anblick nicht nur für Fotografen: In Brasiliens Wüste Lencois de Maranhensis finden sich hinter weißen Sanddünen tiefblaue Lagunen voll Süßwasser. Auch Szenerien wie diese sind es, die für Thomas Heinze das Reisen ausmachen. Und für die er immer wieder nach Südamerika fährt. Alle Fotos stammen aus dem Bildband von Thomas Heinze, "Südamerika - erlebt und fotografiert".
In dieser Serie stellt SZ.de interessante Reisefotografen vor. Bislang ging es mit ihnen in die Metropolen der Welt, nach Vietnam, tief unter die Meeresoberfläche, zu indigenen Stämmen auf den Philippinen und mitten in die deutsche Städtelandschaft, an Vulkankrater sowie zur wahren Seele der Eisberge, nach Südamerika, Hongkong, nach Taiwan, Island, Bangladesch, in die US-Südstaaten, nach "Senegambia" und Rio de Janeiro sowie in den glühenden Sommer von Tadschikistan. Weitere Episoden zeigten bereits Reisen durch Schottland, Afrika, Armenien, Myanmar, Rumänien, Iran, Spitzbergen und Georgien sowie die Lieblingsorte eines Globetrotters, der alle Unesco-Welterbestätten abbilden will.