Serie "Gute Reise":Geben Sie nichts auf Online-Bewertungen!

Reiseethik Gute Reise: Bewertungen

Was viele Kritiker nicht bedenken: Ihre Bewertung gibt viel Einblick in die Psyche des Autors.

(Foto: Illustration: Alper Özer)

Hotels, Restaurants, Sehenswürdigkeiten - alles wird von Urlaubern bewertet. Warum wir uns davon wenig versprechen sollten.

Von Sarah Schmidt

Die Inka-Ruine Machu Picchu ist die sehenswerteste Sehenswürdigkeit der Welt. Vor der Scheich-Zayid-Moschee in Abu Dhabi und der Tempelanlage Angkor Wat in Kambodscha. Das hat das "Traveller's choice"-Ranking von Tripadvisor ergeben, nach eigenen Angaben mit mehr als 200 Millionen Bewertungen und Erfahrungsberichten das größte Urlaubs-Portal der Welt.

Und wenn es überhaupt eines Beweises bedarf, dass sich der Bewertungs-Wahnsinn des Internets selbst ad absurdum führt, dann ist es das: eine Hitliste der beeindruckendsten Monumente der Menschheitsgeschichte, die Charts der erhabensten Denkmäler. Egal ob Petersdom, Golden Gate Bridge oder die Chinesische Mauer (Platz 4, 11 und 16), jedes dieser Monumente steht in seiner Einzigartigkeit und seiner Bedeutung für sich - keine Rangliste könnte dem sinnvoll gerecht werden.

Das hindert die Online-Seiten und Portale nicht daran, es trotzdem zu versuchen. Nicht nur Kaffeemaschinen, Weltliteratur und Telefonanbieter kämpfen im Internet um Sternchen und Bestnoten, auch aus dem Urlaub ist ein großes Assessment-Center geworden. Die digitale Welt macht aus dem Reisenden einen Punktrichter, der kritisch über die Performance sämtlicher touristischer Angebote wacht - vom Hotel über das Museum bis zur winzigen Imbissbude.

Allüre eines Gourmet-Restaurant-Kritikers

Schon vor der Buchung werden akribisch die Kommentare der bisherigen Reisenden studiert. Der Bacon auf dem Frühstücksbuffet war nicht richtig kross und das Handtuch kratzig? Da buchen wir aber nicht! Die finale Entscheidung für ein Reiseziel samt Unterkunft kommt schließlich der Wahl des kleinsten Übels gleich - findet sich doch auch für das schönste Hotel noch ein kritteliger Eintrag, der unter der reißerischen Zeile "Nie wieder!" ein Horror-Szenario schildert.

Und wer sich bereits vor der Abreise die Allüre eines Gourmet-Restaurant-Kritikers angelesen hat, der wird sie auch während des Urlaubs immer mit dabei haben: die gedankliche Checkliste samt Rotstift. Service, Sauberkeit, die Breite des Lächelns beim Personal, das Angebot am Frühstücksbuffet ... Bei jedem Lapsus gibt es Punktabzug - und sei es wegen der nicht ordentlich genug gefalteten Tagesdecke, zu viel oder zu wenig Eis im Getränk, zu viel oder zu wenig Schärfe im Essen. Nach der Rückkehr wird digital abgerechnet.

Vom Korrektiv zur Marktmacht

Dabei waren die Online-Bewertungen einst sinnvoll. Machten sie die Reisenden doch unabhängig von den Hochglanz-Prospekten und Photoshop-Bildern, die noch aus der ranzigsten Absteige ein mondänes Luxusquartier machen. Das Feedback der Gäste, das früher in der hintersten Schublade einer Hotelrezeption verschwand, steht nun für die ganze Welt einsehbar online.

Da mussten eine Reihe Pensionen, Restaurants und Reiseführer umdenken, die sich zuvor darauf ausruhen konnten, dass der nicht versiegende Strom des Urlaubstourismus ständig neue Kundschaft in ihre Servicewüste schwappt.

Doch längst ist aus den Online-Bewertungen mehr als ein Korrektiv der weichgespülten Reisekatalog-Welt geworden. Die Rankings auf den einschlägigen Portalen sind mittlerweile selbst eine Marktmacht. Studien zufolge sind die Online-Bewertungen für einen Großteil der Reisenden bereits wichtiger als jede andere Informationsquelle, seien es der Berater im Reisebüro oder die Tipps von Freunden und Bekannten. Kein Wunder also, dass es immer wieder Berichte gibt, dass Hotels und Restaurants mit gefälschten Bewertungen die eigenen Ratings nach oben und die der Konkurrenz nach unten manipulieren.

Herrscher über eine fünfstufige Sterne-Skala

Doch auch bei den Bewertungen der Touristen, die tatsächlich ihren Urlaub in einem Hotel verbracht haben, ist durchaus Skepsis angebracht. Der Kunde ist König - und sei es als Herrscher über eine fünfstufige Sterne-Skala. Und die Spannbreite der Wertungen ist beachtlich. Da fällt das selbe Hotel beim miesepetrigen Meckerer in sämtlichen Kategorien durch. Während der anspruchslose Alles-spitze-Finder sich wortreich in schwülstigen Schwärmereien ergeht.

Was viele selbsternannte Restaurant- und Hotelkritiker jedoch nicht bedenken: Jede Bewertung gibt ebenso viel Einblick in Charakter und Psyche des Verfassers wie in die tatsächliche Leistung des Ferienetablissements. Vor allem die Lektüre der zum Teil seitenlangen Beschwerdetiraden ist nicht nur eine spannende Milieustudie, sondern könnte auch ganzen Generationen angehender Psychotherapeuten als Anschauungsmaterial dienen. Auch für jene, die sich tatsächlich über ein potenzielles Reiseziel informieren wollen, sind die anonymen wie intimen Einblicke durchaus aufschlussreich: Wo sonst bekommt man einen so schonungslosen Überblick, welche Gesellschaft am Hotelpool oder All-inclusive-Buffet zu erwarten ist?

Für den perfekten Urlaub gibt es keine Formel

Am besten, mindestens aber am entspanntesten reist, wer sich gar nicht um all die Rankings und Ratings und Sterne schert. Wer es schafft, das Anspruchs- und Leistungsdenken zumindest für die paar Urlaubswochen des Jahres daheim zu lassen. Das Ansinnen, sich den perfekten Urlaub, einer Formel gleich, zu ergoogeln, muss scheitern: Addiere Erlebniswert und Sonnenstunden des Urlaubsziels mit der Sterne-Kategorie des Hotels mal Service-Wertung, minus Individualitätsfaktor geteilt durch Preis-Leistungs-Verhältnis - das funktioniert nicht. Das offenbart der Blick in all die Bewertungen, aus denen so viel Frust und Enttäuschung spricht.

Natürlich können ein mieses Zimmer oder zweieinhalb Wochen Regenwetter einem den Urlaub vermiesen - doch eine gelungene Reise hängt von anderem ab: Davon, ob es dem Reisenden gelingt, sich auf eine neue Umgebung und andere Menschen einzulassen. Weniger zu bewerten und viel mehr zu genießen.

Alle bisherigen Folgen der Serie gibt es unter sz.de/gutereise

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: