Süddeutsche Zeitung

Rallye von Europa nach Zentralasien:Nicht ohne meine Schrottkiste

Um den Sieg geht es bei dieser Rallye nur am Rande. Wichtiger ist, überhaupt anzukommen in Autos, die nicht mehr als 290 Euro kosten dürfen.

Michael Grimm

Sie nennen es "London-Taschkent-Rallye", aber sie wollen nach Bischkek in Kirgistan. Und wenn die Briten Mike Allen (35), Ben Timms (31) und David Clementine (37) im August zusammen mit etwa 60Gleichgesinnten aufbrechen, dann geht es nicht darum, wer schneller da ist. Es geht darum, überhaupt anzukommen. Denn mitfahren darf nur, wer bereit ist, das mit einem alten, fast schrottplatzreifen Auto zu tun. Etwa zwei Wochen dauert die Fahrt, "je nach korrupten Grenzpolizisten und Schlaglöchern". Die Zweier-Teams helfen sich gegenseitig. Wenn sie nach etwa zwei Wochen in Bischkek ankommen, werden die Autos dort für einen guten Zweck verkauft.

Die Briten sind nicht die einzigen Auto-Abenteurer, die einen derartigen Tross organisieren. Es gibt noch mehr Rennen, die nach dem gleichen Prinzip funktionieren, etwa die Allgäu-Orient-Rallye oder eine Rallye von Dresden nach Banjul in Gambia. Es geht dabei nicht um sportlichen Ehrgeiz, sondern um das Erlebnis, das Gleichgesinnte aus aller Welt miteinander teilen.

SZ: Wie funktioniert die Rallye?

Mike Allen: Unsere Rallyes sind keine klassischen Autorennen. Es geht weniger gegen die Uhr, als vielmehr darum, als Team und mit möglichst vielen Autos das Ziel zu erreichen. Die Autos sollten beim Start nicht mehr als 250 Britische Pfund (etwa 290 Euro, Anm.) wert sein. Am Ende werden sie für einen guten Zweck verkauft. Im Falle der London-Taschkent-Rallye kommt der Erlös einem Waisenhaus in Kirgistan zugute. Gegen eine Startgebühr geben wir allen Teilnehmern eine Routenbeschreibung mit Übernachtungsmöglichkeiten auf den Weg und kümmern uns vorab um die Visa. Nach dem Papierkram geht's los. Unser ältester Teilnehmer bisher war 69 Jahre alt.

SZ: Das heißt, teilnehmen kann jeder?

Allen: Jeder, der Autofahren kann, keine Angst hat vor gartenteichgroßen Schlaglöchern, einen Reifen wechseln kann und auch mal eine Wodkarunde als Gast auf einem kasachischen Dorffest mitmacht.

SZ: Es ist also keine rein britische Veranstaltung?

Allen: Nein. Die Teams kommen außerdem aus Deutschland, Skandinavien oder sogar aus den USA. 2010 haben wir für zwei Amerikaner ein Auto gekauft. Das haben sie bei uns abgeholt und sind losgebrettert. Die übrigen stoßen während der ersten Etappen durch Deutschland und Polen dazu. Die Registrierung für 2011 läuft bereits.

Am 4.August werden wir schätzungsweise mit 35 Autos starten. Unsere Ziele variieren je nach politischer Lage. Die erste Rallye 2005 endete in Taschkent. Daher der Name. In diesem Jahr wollen wir es nach Bischkek in Kirgistan schaffen.

SZ: Was macht für Sie den Reiz aus, mit einer Schrottkarre durch Osteuropa und die kasachische Steppe zu donnern?

Allen: Das Abenteuer. Natürlich könnte man bequem mit dem Flugzeug anreisen und Ausflüge unternehmen. Aber sicherlich würde man auf diese Weise nicht so direkt mit der Bevölkerung in Kontakt kommen.

SZ: Weil man auf ihre Hilfe angewiesen ist?

Allen: Nicht nur das. Natürlich passieren Pannen, und es gibt immer jemanden aus der Bevölkerung oder aus dem Teilnehmerfeld, der einem hilft. Es ist vor allem die Gastfreundschaft, die uns begeistert. Einmal wurden wir nach einem Stopp vom Tankwart noch zum Fußballspielen mit Leuten aus dem Dorf eingeladen.

SZ: Welche Höhepunkte erwarten einen außerdem am Streckenrand?

Allen: Auf einer Etappe durch Kasachstan tauchten neben der Straße plötzlich Reiter auf. Sie spielten eine Art Polo, nur ohne Schläger. Die Spieler saßen ohne Sättel auf ihren Pferden und gingen dabei gut zur Sache. Dann erkannten wir, auf was sie es eigentlich abgesehen hatten. Es war kein Ball, sondern eine tote Ziege. Das war verrückt. Später fanden wir heraus, dass es sich dabei um Buzkashi handelte, ein traditionelles Reiterspiel.

SZ: Wie informieren Sie die anderen über solche Beobachtungen? Wie hält das Teilnehmerfeld auf der Piste untereinander Kontakt?

Allen: Viele twittern oder schicken SMS. Wir empfehlen, in Zweierteams zu reisen und sich in Gruppen von zwei bis drei Autos zusammenzuschließen. Sollte ein Auto liegenbleiben oder es nicht über eine der Grenzen schaffen, kann sich das Team auf die anderen Wagen verteilen.

SZ: Was sind Ihre wichtigsten Ausrüstungsgegenstände?

Allen: Ersatzreifen, Kühlwasser, wasserfestes Klebeband und ein paar Extra-Dollar für korrupte Polizisten.

SZ: Bleibt neben Pedalfuß und Pannenhilfe noch Zeit für Ausflüge?

Allen: Schon auf der Strecke sehen wir mehr als andere Reisende. Aber für Etappenziele wie Auschwitz, Wolgograd oder den Aralsee nehmen wir uns ein paar Tage Zeit. Spannend ist zum Beispiel auch immer, wie nahe man an den Weltraumbahnhof Baikonur herankommt, bevor einen die Wachen stoppen.

SZ: Würden Sie die Rallyes gerne hauptberuflich organisieren?

Allen: Nein. Es ist eine Leidenschaft. Müssten wir davon leben, würde es zu teuer werden und den Charakter der Rallye verderben. Und schließlich steht am Ende noch der gute Zweck. Viele Teilnehmer bringen den Kindern deshalb auch Kleidung, Spielzeug oder Süßigkeiten mit.

Weitere Informationen:

London-Taschkent-Rallye, www.londontashkent.co.uk, E-Mail: missioncontrol@londontashkent.co.uk

Veranstalter ähnlicher Rallyes ausDeutschland: Allgäu-Orient-Rallye, www.allgaeu-orient.de,

Dresden-Dakar-Banjul, www.rallye-dresden-dakar-banjul.com

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Quelle:
SZ vom 24.03.2011
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