Radtour:Voll auf die Elf

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Der "2. Grüne Ring" ist eine Freizeitroute, die Hamburg umkreist. Auf 100 Kilometern kann man Kiezfeste, Schiffe und Überraschungen erleben.

Von Anja Martin

Wo ist sie nur, die Elf? Die Elf auf grünem Grund, die einen als Wanderer oder Radfahrer um Hamburg herumführen soll? Rund zehn Kilometer vom Rathaus entfernt zieht sich der sogenannte 2. Grüne Ring am Stadtrand entlang. Er verbindet Parks, Wälder, Seen, Obstplantagen und auch Friedhöfe - also alles, was Natur ist oder an Natur erinnert - ganz gleich wie breit oder schmal. Hundert Kilometer durch die Vorstadt, in acht Etappen zu erkunden, Einstieg überall möglich.

Zum Beispiel am Niendorfer Gehege, im Norden Hamburgs, zwischen Flughafen und Altonaer Volkspark. Definitiv einer der größeren Flecken Grün auf der Rundtour. Wochenendausflügler, Hundespaziergänger und Ponyreitfamilien vergnügen sich im waldbestandenen Naherholungsgebiet. Aber keine Spur vom 2. Grünen Ring, obwohl er laut Etappenplan Nummer Zwei, der das Teilstück Ohlsdorf-Stellingen zeigt, mitten hindurchführt. Keine Elf, nirgends. Im Waldcafé Corell hat man noch nie von dem Ring gehört, obwohl es im Routenplan als attraktiver Abstecher vermerkt ist. Andernorts bietet eine freundliche Dame Hilfe an: "Ich kenne mich hier aus. Was sucht Ihr denn?" Grüner Ring? Die Elf? "Nie gehört!"

Auch zwei Anwohner am Rande des Geheges geben über ihren Gartenzaun hinweg Rat. Der Grüne Ring, was soll das denn sein? Sie wollen uns lieber auf dem grünsten Weg in unsere Zielrichtung lotsen, über die A7 hinweg, um Baustellen herum. "Wenn ihr zum dritten Mal hier vorbeikommt, gibt's n Kaffee", versprechen die Rentner. Was einem schon klar ist, bevor man die Route gefunden hat: Hamburger sind hilfsbereit und verlassen sich mehr auf ihr Alltagswissen als auf Wegweiser. Vermutlich käme man auch schön um die Stadt herum, würde man überall fragen. Den 2. Grünen Ring hat die Stadt Hamburg schon vor dreißig Jahren fixiert, gemeinsam mit dem 1. Grünen Ring, der um die Altstadt herum verläuft, nur einen Kilometer vom Rathaus entfernt, auf den ehemaligen Befestigungsanlagen. Dazu kommen die bereits hundert Jahre alten, vom Oberbaudirektor Fritz Schumacher festgelegten Landschaftsachsen, die strahlenförmig ins Umland reichen. Tatsächlich besteht Hamburg nur zur Hälfte aus echt Städtischem, also Häusern und Straßen. Der Rest ist mehr oder weniger Natur, zumindest nicht Beton.

Die Zaungäste verfolgen ein Polospiel. Und dann das Training des HSV

Um die Grünen Ringe von der Planungsebene in die Köpfe der Leute zu bekommen, hat man den äußeren vor zwölf Jahren beschildert. Seit drei Jahren versucht man, ihn auch publik zu machen: mit Werbeaktionen, einer Kooperation mit Wandervereinen, Infomaterial. Vor zwei Jahren fand erstmals der "Megamarsch" statt, bei dem Teilnehmer in 24 Stunden den Grünen Ring abgingen - 100 Kilometer. Letztes Jahr nahmen schon 3000 Menschen teil. Das bringt Aufmerksamkeit.

Anders als beim inneren Grünen Ring, der die Sehenswürdigkeiten der Stadt versammelt, bewegt man sich auf dem äußeren Ring durch Orte, die kaum Touristen, dafür Hamburger in ihrer Freizeit ansteuern: den Ohlsdorfer Friedhof, Europas größten Parkfriedhof; Teufelsbrück, den Fähranleger an der Elbe, wo man entspannt den Containerschiffen zuschauen kann; den Jenischpark, einen der schönsten Landschaftsgärten Norddeutschlands; den Neuländer See, wo es Leute zum Wakeboardfahren hinzieht. Und natürlich auch das Alte Land, bepflanzt mit Hunderttausenden Apfel- und Kirschbäumen. Das typische Touristen-Hamburg mit Binnenalster, Landungsbrücken, Speicherstadt und Elbphilharmonie ist hier weit weg. Der 2. Grüne Ring beginnt an der Elbe und endet 100 Kilometer später genau auf der anderen Flussseite.

Im Altonaer Volkspark, Teil der ersten Etappe, ist neben dem Stadion des HSV auch dessen Trainingsgelände. Die Fußballer machen Dehnübungen und Sprints, dribbeln über den Rasen. "Die sind heute morgen aus Dresden zurückgekommen. Spiel abgesagt, weil zu wenig Polizei aufgrund von Chemnitz", weiß der Kioskbesitzer, der den Fußballern zuschauen könnte, hätte der Kiosk hinten Fenster. Er war mal ein Trafohäuschen, rund gebaut aus Fehlbrand-Backsteinen. Ein Architekturprofessor entdeckte das eingewachsene Gebäude vor zehn Jahren, weil sein Hund ins Gebüsch gelaufen war. André Röhrs hat es von der Stadt gepachtet und restauriert, mit seinem eigenen und viel gepumptem Geld. Heute steht er alleine hier, nur ab und zu kommen Radfahrer oder Hundebesitzer auf eine Erfrischung vorbei. Bei HSV-Spielen braucht er neun Mitarbeiter am Kiosk. "Das Stadion ist weiterhin voll, trotz des Abstiegs", sagt der 53-Jährige.

Nach einer Bockwurst und Hamburg-Schnack geht es weiter durch den Wald, über Wurzeln, gefühlt durch echte Natur. Weiter zum Dahliengarten, wo sich ältere Damen ihre Lieblingssorten aussuchen und bestellen. Dann wieder Schrebergärten, Ufergrün entlang von Rinnsalen hinter Mehrfamilienhäusern, Sportanlagen. Als Zaungast lässt sich ein Polospiel verfolgen. Samstagnachmittag im Nordosten von Hamburg.

"An manchen Stellen denkt man sich: Kann ja gar nicht sein, dass es da im Grünen weitergeht," sagt Klaus Hoppe, Leiter der Abteilung Landschaftsplanung und Stadtgrün, "aber dann findet sich doch ein Pfad." Er war selbst bei einigen der geführten Touren auf der Freizeitroute 11 dabei. Ja, es gäbe auch ruppige Ecken, aber so sei es halt, beim "Abenteuer Stadtrand". Die Liebe der Hanseaten zu ihrer Heimat kommt der Behörde entgegen: "Hamburger sehen bewusst das Schöne - die Gärten etwa statt der Hochspannungsleitungen, die darüber verlaufen." Und freuen sich, ihre Stadt so zu erleben, wie sie sie noch nicht kennen. Und Touristen bekommen ein Stück Authentizität jenseits von Hafenrundfahrt und Reeperbahn.

Etappe 5, Veddel, links der Elbe. Die erste Elf findet sich sofort. Die Route führt direkt durch ein sonntägliches Straßenfest zur 250-Jahr-Feier der kleinen Elbinsel. Mit Rap gegen Rassismus auf der Bühne, Luftballons, Gözleme und einer Fahrradverkehrsschule mit nahbaren Polizisten, daneben türkische Mütter und Omas mit Kopftüchern. So lässt sich ungeplant Kiezkultur entdecken. Gezielt wäre man hier nie hergekommen - weder als Hamburger noch als Tourist. Dies ist kein Szeneviertel wie St. Pauli und kein Villenviertel wie Winterhude, sondern eins der am wenigsten beachteten Quartiere. Weiter geht's auf der Elf über die Elbe, zurück auf die wohlhabendere Seite. Sonst nutzen Touristen die Neue Elbbrücke nur, wenn sie aus Süden mit dem Auto nach Hamburg hineinfahren. Zeit, um den Ausblick auf Fluss und Stadt zu genießen, haben sie dabei nicht. Doch auch mit dem Fahrrad ist man derzeit abgelenkt: Baustellen durchkreuzen den 2. Grünen Ring hier dermaßen, dass die Suche nach dem eigentlichen Weg zum Verwirrspiel wird.

Entlang der Norderelbe, über Wehre und Brücken, geht es weiter aus der Stadt hinaus. Noch vor ein paar Jahren war hier nichts los. Als ein Modeunternehmer die Idee hatte, in Entenwerder Pontons zu bebauen, glaubte keiner, dass das Leute anziehen würde. Heute sitzen überall auf den Pontons Menschen und genießen Kaffee, Kuchen, Sonne und den Ausblick. Ein modernes Konstrukt aus gelochtem Messing erhebt sich als mehrstöckige, begehbare Struktur. Zum ersten Mal an diesem Wochenende haben hier ein paar Radfahrer schon mal was vom 2. Grünen Ring gehört, auch wenn sie nicht bewusst auf ihm unterwegs sind. So kann man einige Deichkilometer, Auenlandschaften und Vorortstraßen später, als die Elf nicht mehr zu finden ist und man frustriert im Industriegebiet landet, mit der S-Bahn getrost wieder ins Innere der Stadt fahren. Hin zu den Orten, zu denen einem jeder Passant den Weg weisen kann.

Infos: www.hamburg.de/wandern-im-gruenen

© SZ vom 14.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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