Quer durch Kanada: The Canadian:Nur keine Hektik

Es gibt viele Möglichkeiten, Kanada zu queren. Eine ganz besondere ist der Canadian, der seit vielen Jahrzehnten von Toronto nach Vancouver fährt. Und von Vancouver nach Toronto. Ein Tagebuch.

Verena Wolff

Der Canadian ist kein gewöhnlicher Zug - er ist der ganze Stolz der Eisenbahngesellschaft Viarail. Seit 1955 kreuzt er das Land: als Zug Nummer eins von Toronto nach Vancouver und in die andere Richtung. Die Tour dauert drei Tage, 11 Stunden und 42 Minuten - vier Nächte und drei ganze Tage.

Quer durch Kanada: The Canadian: DerCanadianbraucht für die Strecke von Toronto nach Vancouver genau 5022 Minuten.

Der

Canadian

braucht für die Strecke von Toronto nach Vancouver genau 5022 Minuten.

(Foto: Foto: Viarail)

Tag I: Einschiffen

Der Tag in Toronto neigt sich dem Ende. Die Geschäfte sind seit geraumer Zeit geschlossen - es ist Samstag, da schließt die Stadt um sieben Uhr abends ihre Pforten. Zumindest so lange, bis die Restaurants und Clubs später am Abend überlaufen werden und das Partyvolk die Nacht zum Tag macht. Im Sommer relaxen die Menschen um diese Zeit am Ontariosee, unweit der belebten Innenstadt - sie genießen ein gutes Essen mit traumhaftem Blick auf das Wasser oder einfach in den letzten Sonnenstrahlen des Abends.

Warten auf ein großes Abenteuer

In der Front Street, einer der nächsten Straßen zum kleinsten der Großen Seen, füllt sich indes langsam ein Raum. 50 Quadratmeter ist er vielleicht groß, nordamerikanisch-zeitlos-klassisch eingerichtet. Die Sessel sind zweckmäßig, in ihrem Blumenmuster dominieren Farben wie bordeaux, beige und grün. In der Mitte des Raums Blumen, üppige Töpfe auf den ersten Blick - Plastik auf den zweiten.

Die Menschen, die sich hier langsam sammeln, haben alle eine mehr oder weniger große Reise vor sich: Sie gehen um 22 Uhr Ortszeit an Bord des den Canadian, des Zuges, der sie von Toronto nach Vancouver bringt. Oder an einen der Unterwegsbahnhöfe. Drei Tage, 11 Stunden und 42 Minuten dauert diese längste Reise, die auf der Schiene am Stück möglich ist. 4466 Kilometer reißt der Zug dabei ab.

Die Leute in den klassisch gemusterten Stühlen passen hierher: Sie sind überwiegend in ihrer zweiten Lebenshälfte und haben vor allem eines: Zeit. Denn natürlich ist die Strecke von Kanadas größter Stadt an die Westküstenmetropole schneller mit dem Flugzeug zurückzulegen - Flugzeit etwa vier Stunden, mit den drei Stunden Zeitunterschied von Ontario nach British Columbia kommt man fast zur Startzeit an. Auch auf zahlreichen anderen Wegen lässt sich das Land queren - mit dem Auto etwa oder dem Wohnmobil, mit dem Zelt auf dem Fahrrad oder auf dem Motorrad. Das kann wenige Wochen oder ein Jahr. Da sind die vier Tage im Canadian noch vergleichsweise übersichtlich.

Der Weg ist das Ziel

Aber all jenen, die den Zug besteigen, geht es nicht um Schnelligkeit. Und sie haben ein paar Schrullen. Die eine Frau mit Dauerwelle und der blauen Jogginghose liest ihrem Mann einen Teil der Zeitung vor - den interessiert das mäßig, er ist gerade in einen anderen Teil der Globe and Mail vertieft und schlürft nebenbei Tee vom Warte-Buffet. So ähnlich wird es bei den beiden wohl auch am Frühstückstisch zugehen.

Die Frau hinten in der Ecke erklärt ihre Mann schon zum vierten Mal die Essensmodalitäten: "First come, first serve" heißt es beim Frühstück - wer zuerst da ist, wird auch zuerst bedient. Und das schon ab sechs Uhr morgens. Mittag- und Abendessen gibt es in zwei Schichten - die Bahn-Mitarbeiter haben die Vorlieben der Reisenden bereits aufgeschrieben, bevor auch nur einer einen Fuß in die Wartelounge der ersten Klasse gesetzt hat.

Ein Kind springt aufgedreht rum - das kleine japanisches Mädchen rennt sich müde, so hoffen die Eltern. Doch der Aufruhr um den Kinderwagen ist die einzige Abwechslung in dem Saal. Der Rest der Herrschaften ist eher gesetzt - da gibt es den Mitsechziger mit dem Panamahut und der Bermuda, die Lady in beißendem Pink mit ihrer gut gefüllten Gürteltasche und eine Gruppe älterer Damen, die noch schnell nach einer Sitzgruppe mit eine kleinen Tischchen in der Mitte sucht.

Komfort der Wirtschaftswunderjahre

Eingestiegen wird, wie an nordamerikanischen Bahnhöfen üblich, sehr gesittet. Und das ist gut, denn die chromblitzenden Wagen des Zuges scheinen kein Ende zu nehmen. Es gibt verschiedene Aufgänge, jeder landet in der Nähe einer Tür und kann gleich sein Abteil beziehen. Suiten gibt es hier, Schlafwagenabteile mit Stockbetten, wie man sie von den Nachtzügen in Deutschland kennt und so genannte single berths: Kammern für Alleinreisende, kaum größer als das Bett, das sich auf der Wand klappen lässt. Ein wahres Wohnklo - denn er das Bett am Tag einklappt, muss zwangsläufig die Füße auf der dick eingefassten Toilette lagern, um es einigermaßen bequem zu haben.

Das Bett allerdings stellt sich als unerwartet bequem heraus - allerdings nur für jene, die nicht größer sind als 1,80 Meter. Und, eine echte Überraschung: Es gibt Duschen an Bord. Pro Wagen eine, schön wie im Schwimmbad - aber immerhin. Bei fast 84 Stunden Fahrt ist das nicht zu unterschätzen.

Tag II: Ontario, immer nur Ontario

Tag II: Ontario, immer nur Ontario

Quer durch Kanada: The Canadian: Gespannte Ruhe: Wie wird es sein, vier Tage auf der Schiene?

Gespannte Ruhe: Wie wird es sein, vier Tage auf der Schiene?

(Foto: Foto: Verena Wolff)

Aufstehen, duschen, frühstücken - letztlich ist auch im Zug wenig anders als zuhause. Man muss allerdings durch den Klimaanlangen-gefrosteten Zug, um unter die Dusche am Ende des Wagens zu gelangen - aber es könnte schlimmer sein. Das Frühstück ist eine entspannte Angelegenheit - um sechs Uhr morgens haben noch nicht allzu viele Reisende Hunger. Eier gibt es, das Omelette des Tages, Frühstücksflocken oder eine riesige Zimtschnecke, dazu Kaffee und Saft. Besser können es viele Hotel auch nicht.

Danach: Sitzen im Dome Car, dem Wagen mit der gläsernen Kuppel, die Rundumblick auf die grünen, von Seen durchzogenen Mischwälder Kanadas gibt. Stundenlang geht das so, mal dreht der Zug eine weitläufige Kurve nach rechts, mal nach links. Von Elchen, die es hier zuhauf gibt, erzählt Phil, ein Ex-Militär und passionierter Jäger aus der Hauptstadt Ottawa den drei Frauen aus Australien, die in den Reihen vor ihm sitzen. Auch Bären sollen hier im Norden Ontarios leben - doch bis zum Abend haben alle nur ein paar Biberburgen in den hunderten Seen entdeckt, und die eine oder andere Entenfamilie. Nichts Imposantes aus dem Tierreich entlang des Weges also.

Zwei Stopps im Nirgendwo

Sehr interessant aber: Die zwei Stopps, die auf dem Programm stehen. Der erste in Foleyet, der zweite in Hornepayne. In den ersten fährt der Zug mehr als eine Stunde zu früh - und obwohl es einen Fahrplan gibt, fährt er nach kaum einer Viertelstunde weiter. "Die Leute, die hier zusteigen wollten, sind schon da" sagt Schaffner Lou. Kein Wunder - denn wenn hier der Zug einfährt, kriegt es das ganze Dorf mit.

Der zweite Halt mit mehr als einer Stunde Aufenthalt ist das Dörfchen Hornepayne, das wohl schon bessere Tage gesehen hat. Einen General Store gibt es hier, vielleicht hundert Meter von den Gleisen entfernt. Und da findet sich denn auch der ganze Zug wieder - zwischen Chips und Bonbons, Videokassetten, Sekundenkleber, Angeln und Ködern, kalter Cola und Sonnenschutzmittel.

Die Passagiere aus der Coach Class müssen sich mit neuem Proviant eindecken, denn in ihr Ticket ist weder eine bequeme Pritsche noch eine einzige Mahlzeit eingeschlossen. Nach knapp 100 Minuten in diesem Dorf, das angeblich heute von der Holzindustrie lebt - kein Handyempfang, kein Internet, keine öffentlichen Telefone - geht es weiter wie schon den ganzen Tag: Kiefern, Birken und immer wieder bunte Blumen entlang des Weges, dazu Seen, soweit das Auge reicht. "Aber kein Getier", beklagen die australischen Damen.

Am Abend, in der zweiten Schicht, ein schlichtes, aber äußerst wohlschmeckendes Drei-Gänge-Menü: Salat oder Suppe, Prime Rib, Forelle, Huhn oder Vegetarisches, Käsekuchen oder Schokoladentorte als Dessert. Und dann ein Film im Unterhaltungswagen, Bingo, Scrabbeln, Puzzeln oder einfach ausführliches Aus-dem-Fenster-schauen. Inzwischen ist der Zug so weit im Norden, dass es um 23 Uhr noch nicht richtig dunkel ist. Und sicher wird es morgen sehr früh hell - aber das ist gut so. Denn heute Nacht gewinnen die Passagiere eine Stunde beim Übertritt von der Eastern in die Central Time. Und noch dazu steht am Morgen bereits um acht Uhr früh ein Stopp an in Winnipeg, dem Zentrum Manitobas.

Tag III: Endlich wieder eine Stadt

Tag III: Endlich wieder eine Stadt

Quer durch Kanada: The Canadian: Auch kleine Dinge machen glücklich: In jedem Wagen gibt es eine Dusche.

Auch kleine Dinge machen glücklich: In jedem Wagen gibt es eine Dusche.

(Foto: Foto: Verena Wolff)

Wieder hat der Canadian eine Kohle mehr aufgelegt - und fährt bereits um kurz nach sieben Uhr morgens in den Bahnhof von Winnipeg ein. Die meisten Gäste aus den Schlafwagen sitzen zu dieser Zeit beim Frühstück - und Kellnerin Leslie hält alle an, sich bei Eiern, Toast und Pfannkuchen nicht allzu sehr zu beeilen. "Wir sind zwar da, aber die Mitarbeiter der Bahn noch nicht", sagt sie. Mit anderen Worten: Zwar steht der Zug auf dem Gleis, doch die Türen können noch nicht geöffnet werden. "Das kann noch 15 oder 50 Minuten dauern", sagt sie.

Es dauert eine Zeit irgendwo dazwischen - draußen laufen kleine, flinke Erdhörnchen Amok, die älteren Herrschaften sitzen geschniegelt und gebügelt in ihren Abteilen und warten darauf, dass die Türen endlich aufgehen. Der Tag lässt sich jedenfalls gut an - die Sonne scheint, der Himmel ist blau - und es wird sich herausstellen, dass das Thermometer fast 30 Grad anzeigt. Eine gute Abwechselung zum Norden Ontarios, wo mancher Reisende seiner warmen Jacke nachgetrauert hat, die unerreichbar im Koffer ist - im Gepäckwagen, gleich hinter der Lok.

Endlich ist es so weit - die Eisenstangen werden von den Türen entfernt, die gelben Höckerchen unter die letzte der fünf Stufen gestellt - und die Passagiere kennen kein Halten mehr. Um 11.30 Uhr, so wurde mehrfach angemahnt, ist der letzte Einstieg, Punkt 12 Uhr mittags rollt der Zug mit der Nummer eins weiter durch die Prärie. Das macht knapp vier Stunden Aufenthalt in einer Stadt, für die man wohl auch nicht viel mehr Zeit braucht.

"Winterpeg" im Sommer

Einige Zugreisende haben eine Bootsfahrt auf dem Fluss gebucht, andere nehmen an einer geführten Tour durch die Stadt teil, die den Spitznamen "Winterpeg" trägt. Es ist kalt in Manitoba, wenn der Herbst kommt und der Winter und oft auch noch im Frühjahr. Nicht so an diesem Tag - die Sonne brennt, Wolken sind nicht in Sicht - und die Stadt wacht gerade auf. Die Geschäfte machen erst um zehn auf, noch eilt kaum jemand zur Arbeit - auch wenn außerhalb Winnipegs die ersten Staus nach zwei Tagen reiner Natur zu sehen waren.

The Forks, La Fourche, heißt ein kleines Viertel nördlich des Bahnhofs, in dem es alternative Läden gibt, Cafés und einen Markt mit vielen kleinen Geschäften und Ständen. Hier treffen sich einige der Reisenden und schlürfen einen Cappuccino in der Sonne, ehe sie sich ausführlich die Beine vertreten. Im übersichtlichen Einkaufsviertel, in den Parks, am Flussufer - oder irgendwo dazwischen.

Nach dem Wiedereinstieg zeigt sich ein anderes Bild im Zug - die Crew hat gewechselt. Winnipeg und Vancouver sind die Stützpunkte der Besatzungen - aus Toronto kommt niemand. Statt Bernadette, Lesley und Susan sorgen nun Jim, Jill und Renée für frisch bezogene Betten und schmackhafte Nahrung.

Auch die vorbeirauschende Landschaft hat sich geändert, seit am Morgen die Sonne aufgegangen ist. Wo die zwei Tage zuvor Bäume und Seen das Bild prägten, ist es jetzt flach. Flach wie in Ostfriesland. "Wenn hier einer abhaut, kann man ihn noch drei Tage lang laufen sehen", sagen die Kanadier. Auch ist es nicht mehr ganz so einsam wie in den vergangenen Stunden und Tagen. Immer wieder gibt es kleine Siedlungen, der Raps blüht satt gelb, und die Rinderherden bearbeiten die grünen Wiesen. Was man hier macht, außer Farmer zu sein, fragt ein Teenager beim Abendessen in die Runde. "In Manitoba und Sasketchewan?", fragt der weit gereiste Kanadier Phil: "Hoffen, dass man jung stirbt."

Tag IV: Rein in die Prärie, raus aus der Prärie

Tag IV: Rein in die Prärie, raus aus der Prärie

Quer durch Kanada: The Canadian: Der Fahrplan der kleinen Ortschaft Foleyet ist übersichtlich.

Der Fahrplan der kleinen Ortschaft Foleyet ist übersichtlich.

(Foto: Foto: Verena Wolff)

Die Nacht war keine stille - und dann fällt auch noch das Frühstück aus. Zwischen Sasketchewan und Alberta hat es nicht nur geregnet, Blitze sind immer wieder über die Prärie gezuckt. Das Land ist noch immer äußerst flach - aber es gibt weiterhin Straßen, kleine Dörfer, hin und wieder einen Autofriedhof, auf dem wahre Schätze aus den Sechzigern auf die endgültige Verrostung warten.

Syl, die ältere Dame mit dem grell pinken Hosenanzug und dem passenden Hut lässt ihrem Unmut schließlich freien Lauf: Geschlafen habe sie seit Toronto nicht mehr richtig, sagt die 81-Jährige aus der Universitätsstadt Guelph in Ontario. Und warum man den Zug nachts nicht so fahren könne wie meist am Tag - dass er eben nicht so scheut wie ein wilder Stier, sondern sanft auf den Schienen dahingleitet. Doch die Zeiten des Gleitens sind ohnehin vorbei, je weiter es nach Westen geht, um so mehr wackelt es in den zig Wagen des Canadian.

Der heute servierte Brunch ist nicht nur für die Kellner im Speisewagen eine wahre Herausforderung - so mancher Passagier hat so sehr mit seinem Kaffee zu kämpfen, dass er die Tasse gleich auf dem Unterteller stehen lässt und das Getränk schlürft.

Endlich Berge

Wieder ist auf der Reise eine Stunde gewonnen - bei der Überfahrt in die Prärieprovinz Sasketchewan beginnt auch gleich die Mountain Time - somit ist man noch früher wach als ohnehin schon. Der Brunch ist gleich zwei Dingen geschuldet, die an Tag drei auf dem Programm stehen: einem frühen, kurzen Aufenthalt in Edmonton und dem Stopp am Mittag im Jasper Nationalpark, wie Restaurantchefin Jill erklärt.

In Edmonton regnet's, und die Bahn hat offenbar die Außenstelle des Bahnhofs bekommen - die eigentlich beeindruckende Skyline und das Leben der Stadt sind relativ weit entfernt. Da nutzt der einstündige Aufenthalt also nur, um kurz auf ein stationäres Klo zu eilen und wieder zurück in die Wärme und Trockenheit der eigenen zweieinhalb Quadratmeter. Es soll noch weiter regnen am Vormittag in Alberta - der Wagen mit der gläsernen Kuppel hätte zwar jetzt langsam schöne Landschaften im 360-Grad-Blick zu bieten, doch es tröpfelt auf's Glasdach und die Aussicht ist mau.

Langsam zeigen sich die Anfänge der Rocky Mountains, das Land wird bewaldeter und wesentlich hügeliger. Wer allerdings auf der kanadischen Traverse Spektakuläres wie etwa im Schweizer Glacier Express erwartet, ist schief gewickelt. Es gibt weder abenteuerlich Anstiege noch Fahrten über schwindelerregend hohe Viadukte oder schmale Brücken über Felsschluchten. Der höchste Punkt, den der Zug in den Rocky Mountains passiert, liegt im Jasper Nationalpark und ist kaum über tausend Meter hoch - die Berge drumherum erreichen immerhin die Viertausender-Marke.

Viel Abwechslung - und Nebel

Dennoch ist die Landschaft beeindruckend - Berge, Flüsse, Seen, soweit das Auge reicht. Der Mount Robson, die höchste Erhebung, versteckt sich unter Wolken. Das allerdings ist nichts ungewöhnliches, wie Zugbegleiter James sagt: "Eigentlich kann man den Berg nur an insgesamt zwei Wochen im Jahr klar sehen." Der Moose Lake, einer der größten Seen der Provinz, liegt etwa acht Meilen lang links der Gleise, rechts ziehen sich immer wieder reißende Flüsse mit sattgrünem Wasser entlang. Doch das alles kommt hinter der steinernen Station in Jasper - dem zentralen Ort inmitten des weltbekannten Nationalparks. Kurz ist der Aufenthalt hier - aber um einen kurzen Blick auf die übersichtliche Einkaufsstraße zu erhaschen, reicht es gerade. Souvenirs gibt es da und Sportausstatter, Fudge, Felle und alles, was ein echter Cowboy braucht.

Ein Hotel Astoria macht den Anfang eines ganzen Reigens von Unterkünften, überhaupt scheinen die Planer dieses kleinen Ortes sich das eine oder andere Beispiel an den bekannten Alpen-Vorbildern genommen und das Ganze dann nach Nordamerika übersetzt zu haben.

Jasper ist auch der Ort des großen Bettenwechsels: viele derer, die bereits seit Toronto im Canadian gesessen haben, steigen in den Rockies aus. Sie machen Urlaub hier, gehen wandern oder fahren durch den weiten Park. Zahlreiche andere steigen zu - und nehmen das letzte Stück, die 534 Meilen bis nach Vancouver auf diesem Weg mit.

Prickelndes aus British Columbia

Zurück im frisch gesäuberten Zug schenkt Renée Bruneau unter der Glaskuppel Spumante aus British Columbia aus - und plaudert ein bisschen aus dem Nähkästchen. Seit fünf Jahren bereits begleitet die dunkelhaarige junge Frau Gäste auf der Strecke zwischen Vancouver und Winnipeg - im Notfall auch mal bis nach Toronto. Die schönste Reisezeit, sagt sie, seien definitiv Frühjahr und Herbst - der Natur wegen.

Und die Richtung? "Immer von Toronto nach Vancouver, von Ost nach West." Denn wer in Vancouver einsteige, fahre durch die Rockies - und dann wird die Landschaft vergleichsweise öde. "Zumindest hat man den Eindruck, wenn man erst durch British Columbia und Alberta fährt." Andersherum hingegen scheinen die Gegenden gar nicht so einfältig - aber das Beste kommt trotzdem zum Schluss.

Renée, die auf dieser Tour Service-Managerin ist, hat schon so einiges erlebt auf ihren Fahrten: "Im Winter ist es besonders spannend - dann wird es auf der Strecke sehr kalt und kann viel schneien", berichtet sie. Das Problem: Die Wassertanks der Züge frieren ein, Toiletten und Duschen funktionieren dann nicht immer einwandfrei. Überhaupt kann die Wasserversorgung problematisch werden. Gefroren, sagt sie, habe aber an Bord noch niemand: "Strom und Heizung sind kein Problem."

Harte Winter auf der Schiene

Der Fahrplan allerdings kann an kalten Tagen zu einer besonderen Herausforderung werden. Eingeschneit sei zwar noch kein Zug gewesen - "dafür fahren auf der Strecke zu viele Güterzüge". Doch wenn etwa ein Zug entgleist und ein anderer ebenfalls Probleme hat, kann die Lage verzwickt sein. "Wir hatten das mal ein paar Stunden von Vancouver entfernt", erinnert sie sich. "Der Güterzug vor uns entgleiste und der Zug, der hinter uns fuhr, hatte ein technisches Problem." Das Ende vom Lied: 18 Stunden Verspätung.

Auch mit ihren Passagieren erleben die Begleiter immer wieder spannende Geschichten, erzählt Renée - doch muss kurz eine Pause einlegen, an ihr Zugmikrofon gehen und folgende Durchsage machen: "Bär links, Bär links." Einen kleinen Bären hatten die Passagiere im Wald gesehen - das soll niemandem im Zug vorenthalten werden. "Unweit dieser Stelle hier, ein paar Meilen hinter dem Bahnhof von Jasper, wollte mal ein Passagier aussteigen. Er hatte ein Kajak dabei und fünf große Kisten mit Proviant", erzählt sie. Der Zug hielt also, der Mann stieg aus. Und musste mit seiner sperrigen Fracht eine Böschung hinab, eine Straße queren und eine weitere Böschung hinunter, um auf seinen Fluss zu kommen. "Und das vor den Augen aller im Zug." "Aber", sagt sie, "wenn es sicher ist, erfüllen wir unseren Gästen alle Wünsche".

Besonders gerührt hat sie eine Geschichte aus der Comfort Class, der Holzklasse des Zuges. "Da war ein junges Paar, das ist von Toronto nach Vancouver gefahren. Sie hatten nicht viel Geld, wollten aber diese Reise machen. Eines Abends bestellte der Mann einen Tisch im Speisewagen und kam mit seiner Freundin zum Essen. Wir gingen nicht davon aus, dass etwas außergewöhnliches passieren würde - und plötzlich fällt er auf die Knie und macht ihr einen Heiratsantrag", erzählt Renée.

Nur keine Hektik

Auf dieser Tour allerdings scheinen wirklich aufregende Dinge nicht zu passieren - und doch ist es nie langweilig an Bord. Die einen puzzlen, die anderen unterhalten sich mit neuen Bekannten, wieder andere schauen einfach aus dem Fenster und lassen sich von der Landschaft beeindrucken. Auch ein Mittagschläfchen ist drin - oder eines kurz vor dem Abendessen. Entschleunigung pur.

Beim Abendessen, second call, gibt es wieder ein klare Ansage: Zeitenwechsel, wir sind in der Pacific Time angekommen. Weiter geht es nicht in Kanada. Neun Stunden minus zu Deutschland. Bald ist das Ziel erreicht.

Tag V: Am Ziel

Tag V: Am Ziel

Quer durch Kanada: The Canadian: Passagiere wie Zugbegleiter nutzen den Aufenthalt in Hornepayne, um sich die Füße zu vertreten. Viel mehr geht nicht.

Passagiere wie Zugbegleiter nutzen den Aufenthalt in Hornepayne, um sich die Füße zu vertreten. Viel mehr geht nicht.

(Foto: Foto: Verena Wolff)

Beim Aufwachen am Tag fünf ist das Ziel bereits in greifbare Nähe gerückt - schon nach dem Frühstück ist die Skyline von Vancouver zu erahnen. Nach vielen Tagen und unterschiedlichen Landschaften scheint es voll draußen: Straßen, Autos, Häuser, alles dicht gedrängt.

Ein letztes Frühstück - und dann packen alle ihre Sachen zusammen und warten gespannt in ihren Abteilen darauf, dass der Canadian endlich in den Pacific Central Bahnhof einfährt. Auch hier ist der Zug früh dran - nicht ganz so früh wie in den Dörfern in der Prärie Ontarios, aber immer noch eine gute halbe Stunde. Die Sonne lacht vom Himmel, als sich die Türen schließlich öffnen. Und alles springt aus dem Zug, soweit das die Knochen noch zulassen.

Schön war die Fahrt, beeindruckend und etwas Einmaliges. Da sind sich die Passagiere einig - vor allem die, die die gesamten 4466 Kilometer von Toronto nach Vancouver zurückgelegt haben. Kein vergleich mit dem Flugzeug. Aber jetzt ist es genug. Jetzt muss eine Dusche her, die nicht wackelt und ein Bett, bei dem man nicht das Gefühl hat, direkt auf den Schienen zu liegen. Und einfach ein bisschen Platz und frische Luft.

Reiseinformationen

Informationen

Quer durch Kanada: The Canadian: DerCanadianfährt wahrhaft durch die schönsten Landschaften Kanadas.

Der

Canadian

fährt wahrhaft durch die schönsten Landschaften Kanadas.

(Foto: Foto: Viarail)

Der Canadian fährt als Zug Nummer eins von Toronto nach Vancouver und in die andere Richtung. Die Tour dauert von Ost nach West drei Tage, 11 Stunden und 42 Minuten, vier Nächte und drei ganze Tage. In Toronto fährt der Zug am Samstag, Dienstag und Donnerstag, abends um 22 Uhr, los. Zahlreiche Unterwegsbahnhöfe kann der Canadian anfahren - wenn jedoch 48 Stunden vor Halt niemand seinen Zustieg ankündigt, fährt der Zug durch.

Der Zug hat verschiedene Klassen: Die Silver-and-Blue-Class ist quasi die erste Klasse, hier inkludiert das Ticket die Schlafmöglichkeit und Vollpension im Speisewagen, dazu kleine Snacks und Getränke an einer Bar. Die Schlafmöglichkeiten reichen von Suiten über etwa drei Quadratmeter kleine Einzelzimmerchen mit Waschbecken und Toilette, über die in der Nacht das Bett geklappt wird. Jedes Abteil hat einen Trinkwasseranschluss und Strom - und pro Wagen gibt es eine Dusche. Es empfiehlt sich, nur das Nötigste in ein kleines Gepäckstück zu packen - denn ein großer Koffer verknappt den ohnehin schon schmalen Platz noch zusätzlich.

Im vorderen Teil der Züge befindet sich zudem die so genannte Comfort Class - Großraumwagen, in denen die Sitze ausgezogen werden können und jeweils zwei gegenüberliegende Doppelsitze eine (enge) Liegefläche ausmachen. Auch hier gibt es einen Speisewagen - allerdings sind in den entsprechenden Ticketpreisen noch keine Mahlzeiten oder Getränke enthalten.

Anreise:

Air Canada fliegt täglich von Frankfurt nach Vancouver sowie mehrmals am Tag nach Toronto. Für einen Aufenthalt von bis zu maximal drei Monaten benötigt man zur Einreise einen mindestens sechs Monate gültigen Reisepass.

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