Süddeutsche Zeitung

Queen eröffnet Museumsschiff "Cutty Sark":Schiff royal

Vor fünf Jahren war der letzte Teeklipper des Britischen Empire ausgebrannt, nun übergab Königin Elisabeth II. das restaurierte Museumsschiff der Öffentlichkeit - wieder einmal.

Alexander Menden

Wenn man vom Zwischendeck der Cutty Sark, in dem sich früher chinesische Teekisten und australische Wollpakete stapelten, den Bugraum betritt, mag man es nicht glauben: In diesem winzigen, trichterförmigen Gehäuse sollen zwanzig Matrosen geschlafen haben? Hier, wo die Wellen gnadenlos gegen den Vordersteven donnerten, während die Cutty Sark den Indischen Ozean durchpflügte?

Doch, doch, versichert eine sprechende Galionsfigur mit schottischem Akzent von einem Bildschirm herab: "Hier lagen sie in ihren Etagenkojen, bis der Ruf 'Alle Mann an Deck!' erscholl."

Es ist schon etwas seltsam, auf einem 143 Jahre alten Schiff an jeder Ecke von Animationen, Filmen und Touchscreen-Präsentationen mit Details zur Geschichte der britischen Seefahrt, zum Welthandel im 19. Jahrhundert oder zu den Lebensbedingungen auf einem Dreimaster versorgt zu werden. Ähnlich seltsam wie der gläserne Aufzug, der neuerdings sämtliche Decks der Cutty Sark miteinander verbindet.

Aber sie ist eben längst mehr als ein Schiff. Sie ist Symbol für die einstige Dominanz des Empire auf den Weltmeeren, für jene Frühform der Globalisierung, die der britische Seehandel mit Fernost einst darstellte. Und sie ist eine Überlebende, in mehr als einer Hinsicht.

Früher, vor ihrer nun abgeschlossenen, 60 Millionen Euro teuren Instandsetzung, waren hier im Zwischendeck Galionsfiguren aufgereiht. Es waren so viele, dass man den Eindruck gewinnen konnte, die Ladung der Cutty Sark habe aus halbnackten, hölzernen Seejungfrauen bestanden. Tatsächlich stammten sie von Schiffen, die weniger Glück gehabt hatten, die den Stürmen zum Opfer gefallen oder abgewrackt worden waren.

Die Cutty Sark ist die letzte ihrer Art, der einzige noch existierende Teeklipper der Welt. Noch immer erhebt sie ihre Masten am Themseufer in Greenwich, wo sie seit 1954 liegt. Hier übergab die junge Königin Elisabeth II. das Schiff 1957 erstmals der Öffentlichkeit.

2007, ein Jahr nach Beginn der längst geplanten Renovierungsarbeiten, verursachte ein nicht abgeschalteter Staubsauger ein Feuer an Bord. Damals sah es zunächst so aus, als sei ein Großteil der Originalsubstanz verlorengegangen.

Doch obwohl der Schaden nicht unbeträchtlich war, stellte sich heraus, dass vor allem die Stützgerüste den Flammen Nahrung gegeben hatten. Die meisten Planken waren zu diesem Zeitpunkt ausgelagert. So blieb letztlich doch viel von der alten Cutty Sark erhalten. Sie hatte wieder einmal überlebt.

Es war das bisher letzte Drama in der an Abenteuern reichen Geschichte dieses Klippers. Jahrzehntelang fuhr sie zwischen London, Indien, Japan, den Philippinen, China und Australien hin und her, und brachte vor allem Wolle und Tee nach England. 1872 verlor sie ein vielbeachtetes Rennen von Shanghai nach London gegen den rivalisierenden Klipper Thermopylae, der eine ganze Woche vor ihr eintraf.

1880 gab es einen Mord an Bord; er inspirierte den Autor Joseph Conrad zu einer Kurzgeschichte. Die Cutty Sark überstand Stürme, Meutereien und den Tod eines Kapitäns, den die Haie fraßen. Von 1895 an stand sie in portugiesischen Diensten, bis sie 1922 schließlich in England endgültig vor Anker ging.

Die Renovierung war auch ohne Feuer dringend notwendig gewesen; 15 Millionen Besucher hatten ihre Spuren hinterlassen. Die rostenden Eisenspanten mussten behandelt und in Form gebracht, Kiel und Hauptdeck erneuert werden. Der Rumpf ist frisch mit Messingplatten verschalt, und dank der neuen Präsentation kann man ihn jetzt auch in seiner ganzen schlanken, glänzenden Pracht bewundern: Die Cutty Sark steht, aufgebockt mittels Stahlverstrebungen, in einer begehbaren Rinne.

Die Froschperspektive auf den gut 85 Meter langen Schiffskörper ist nicht weniger als spektakulär. Auf Höhe der früheren Wasserlinie schützt ein das ganze Schiff umgebendes Glasdach den Rumpf vor Wind und Wetter.

Am Mittwoch hat Elisabeth II. die Cutty Sark zum zweiten Mal in ihrer Amtszeit eröffnet. Der Klipper ähnelt heute mehr als vor 55 Jahren einem Museum. Doch beim Blick über den Bugspriet auf die Themse hinaus, mit dem Knirschen der Takelage im Ohr, wirkt es für Augenblicke, als könnte die Cutty Sark jederzeit wieder auf große Fahrt gehen.

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SZ vom 27.04.2012/kaeb
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