Manche setzen ihre Hunde ins Wasser der Quelle von Crastes, obwohl das verboten ist. Spaziergängerinnen kommen mit Ziehwägelchen vorbei und füllen ihre Vorräte an Heilwasser auf. Und wer will, kann selbst ins Wasser steigen. Ein schmales Rechteck, aus flachen Steinen gemauert, ermöglicht ein Bad unterm Laubdach, Wassertemperatur: 15 Grad. Trinken kann man das Wasser natürlich auch gleich hier. "Doch nicht zu viel, sonst spielt der Darm verrückt", warnt Cécile Delaumone.
Mitten im Wald, in der Nähe des Dorfes Asté in den Zentralpyrenäen, fließt das magnesium- und eisenreiche Wasser. Seit mehr als 400 Jahren wird es etwa bei Ekzemen für Waschungen benutzt, schon vom französischen König Heinrich IV. "Und noch heute raten die Ärzte aus dem nahen Städtchen Bagnères bei bestimmten Krankheitsbildern zu einem Bad in der Quelle von Crastes", sagt die Historikerin Delaumone, die in Asté lebt.
Wasser scheint es in den Hautes-Pyrénées, dem rund 4000 Quadratkilometer großen Grenzland zu Spanien, überall zu geben. Es zwängt sich durch Felsspalten, wird zum reißenden Gebirgsbach, zur tosenden Kaskade oder ergießt sich in einen der rund 300 Seen. "Man sagt, Wasser sei das Blut der Pyrenäen. Das ist, was uns hier leben lässt", sagt Delaumone. Manchmal sprudelt es als Heilwasser einfach so aus dem Waldboden wie in Asté. Andernorts liegt es unter den Kuppeln aufwendiger Bäder-Architektur - wie in den acht Thermen, die die Region vor Kurzem zur "La Grande Route des Spas" ausgerufen hat.
Es braucht nicht viel Zeit, dem Parcours der acht Bäder durch die drei Pyrenäen-Täler Vallée du Louron, Vallée d'Aure und Vallée des Gaves oder bis hoch zur beliebten Tour-de-France-Passstraße am Grand Tourmalet zu folgen. Manche Bäder sind nur wenige Kilometer voneinander entfernt, sie liegen in den Orten Argelès-Gazost, Bagnères-de-Bigorre, Barèges, Beaucens, Capvern-les-Bains, Cauterets, Luz-Saint-Sauveur und Saint-Lary.
Jedes der Bäder hat seine Eigenheiten. Das höchste Thermalbad Frankreichs etwa, Ciéléo - ciel bedeutet im Französischen Himmel -, liegt auf 1250 Höhenmetern im 177-Einwohner-Dörfchen Barèges am Fuße des Col du Tourmalet. Schon Ende des 17. Jahrhunderts wurden in dem damaligen Garnisonsstädtchen verletzte Soldaten kuriert, und auch heute geht es in den gekachelten Gängen, die zu Schlammpackungen oder Hydromassage-Wannen in Einzelkabinen führen, bodenständig zu - und eher familiär. In Barèges wurden im vergangenen Jahr rund 20 000 Einlässe in den Thermalkomplex gezählt, bei etwas mehr als 2500 Kurgästen. Die Vizedirektorin des Bads, Solange Borrat, grüßt die Gäste beim Rundgang durch die neoklassizistische Ruhehalle namentlich.
Tief unter den marmornen Bodenplatten des Ruhebereichs, im Bauch der Therme, produzieren Mikroorganismen in einem Kellerraum ein weiteres Heilmittel des Kurorts: Barégine, ein entzündungshemmendes, wundheilendes Protein. Es entsteht bei der Vermengung von Thermal- mit Leitungswasser und ist im Keller als weißer Schleim zu sehen, der später in Cremes und Massage-Butter Verwendung findet. Mit einem Schild werden Mitarbeiter gebeten, sich nicht selbst zu bedienen. "Sie verwenden es gerne für ihre Pferde", erzählt die 41-jährige Gesundheitswirtschaftlerin Borrat ein wenig verlegen, "vor allem bei Knochenbrüchen oder entzündeten Sehnen und Muskeln."
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Wohl schon zur Eisenzeit hätten die Bewohner der Pyrenäen erkannt, dass die oft warmen Quellen nicht nur ihnen selbst, sondern auch ihrem Vieh guttun, sagt die Kulturführerin Cécile Delaumone. Die Römer haben Thermalbäder gebaut, die meisten der heute noch existierenden Bäder in den Pyrenäen sind römischen Ursprungs. Auch im Mittelalter verlor sich der Brauch des Heilbadens nicht. Aber das "Goldene Zeitalter der pyrenäischen Therme", so Delaumone, habe im 17. Jahrhundert begonnen. "Man musste sich die Geneigtheit des französischen Königs sichern." Also ließ man berühmte Menschen kommen. Françoise d'Aubigné, genannt Madame de Maintenon, Mätresse des Sonnenkönigs, erfuhr bereits 1675 die heilende Wirkung des Wassers von Barèges. Fünf Jahre später ließ der Kriegsminister François Michel Le Tellier hier sein gebrochenes Bein kurieren - und besorgte danach den Kredit für den Ausbau der Thermalanlagen.
Es wurde schick, zur Kur in die Pyrenäen zu reisen. In dem kleinen Orten lustwandelten der europäische Adel und die Pariser Gesellschaft sowieso. "So entstand auch diese besondere Architektur der Bäder, mit Marmorgebäuden, Säulenhallen, Skulpturen", erklärt Cécile Delaumone. Auch Kaiserin Eugénie, Gattin von Napoléon III., besuchte unter anderem den Thermalkurort Luz-Saint-Sauveur nach einer schwierigen Geburt. Nach ihrer Heilung überschüttete Napoléon III. die Pyrenäen mit kaiserlichen Großzügigkeiten. "Er hat die Industrie vorangetrieben und die Eisenbahn gebracht", sagt Delaumone. Doch vor allem: Er ließ die Route Thermale bauen, jene Straße, die von Biarritz bis nach Bagnères-de-Luchon an der spanischen Grenze führte und als Route des Cols bekannt ist. Die Tour de France findet hier oft statt.
Dank dieser Straße reist man heute auf der Grande Route des Spas um einiges bequemer, als es beispielsweise die Mutter Napoléons III. noch tat. Königin Hortense war von den Quellen, der Gegend und dem Empfang, den Cauterets ihr zuteil werden ließ, dermaßen eingenommen, dass man selbst unter Historikern munkelt, ihr Sohn verdanke seine Existenz ihrem Aufenthalt in den Pyrenäen - und der Bekanntschaft mit einem Schäfer dort. Die Bains du Rocher von Cauterets gehören noch heute mit ihren Kiesel- und Jadesteinwänden, der Glasarchitektur, den Kabinen in gedimmtem Licht sowie dem Außenpool mit Blick auf Berge und Kirchplatz zu den elegantesten Einrichtungen der Spa-Straße.
Gleich hinter dem von Bergkiefern umgebenen Städtchen beginnt der Parc National des Pyrénées, hinter den Wäldern liegt Spanien. Kurz vor der Grenze erhebt sich das mächtige Massif du Vignemale mit dem bis auf 3298 Meter reichenden, höchsten Gipfel der französischen Pyrenäen.
Ende des 19. Jahrhundert war Cauterets so beliebt, dass dort Jahr für Jahr 20 000 Thermalbesucher ihren Sommer verbrachten. Heute sind es noch 6000 Kurgäste im Jahr. Die Tramway, eine Bahnverbindung zu den Wasserfällen in den Wäldern, ist abmontiert, die Architektur so charmant wie absurd: Ins Belle-Époque-Kasino mit Schwimmbad und ungenutztem Tanzsaal kommt vielleicht, so überlegt man sich in der Gemeinde, eine Bowling-Bahn.
Das Grand Hôtel d'Angleterre, das seinerzeit die Schauspielerin Sarah Bernhardt abwies, weil sie nicht auf ihre Raubkatze verzichten wollte, birgt heute private Apartments. Die einst drei Meter breiten Flanierwege wurden verschmälert, doch noch immer lächeln die Steinfiguren unter den Balkonen so kokett auf die Spaziergänger herab, als gingen diese durch ein Paris im Gebirge - mit 1000 Einwohnern.
Die Geneigtheit des neu gewählten Präsidenten hat sich indes das größte Städtchen an der Grande Route des Spas gesichert: In Bagnères-de-Bigorre, dem ältesten Thermalort der Zentralpyrenäen, lebte die Großmutter Emmanuel Macrons. Während seiner Schulzeit hat Macron in dem 8000-Einwohner-Städtchen die Ferien verbracht, eine Cousine besitzt hier noch immer ein Kleidergeschäft an der Allée des Coustous, unter deren schattenspendenden Linden jeden Samstag ein Markt stattfindet. Im Ort erzählt man sich, Macron würde hier nach einem Schlösschen suchen. Für präsidiale Pausen.