Provence:Mit dem Rad durch Omas Kleiderschrank

Lavendelfeld in der Provence

Vorsicht Kitschgefahr: Lavendelfelder, wie sie im Hochsommer in voller Blüte aussehen, gehören zu der explosiven Mischung von all dem, was die Provence zu einem Sehnsuchtsort frankophiler Germanen macht.

(Foto: Joana Kruse/Imago)

Ein bisschen Anstrengung gehört zu einer Genusstour durch die spätsommerliche Provcence dazu - aber bitte nicht zu viel.

Von Arno Makowsky

Wie war das mit dem Lavendel? "Schließt die Augen, atmet tief ein und genießt den aufregenden Duft der sinnlichen Blütenmeere." So zu lesen auf dem Online-Reiseportal "Urlaubsguru". Wir lernen daraus: Erstens sollte man Reiseführerautoren die Verwendung von Adjektiven verbieten. Zweitens: Gelegentlich fällt die Realität gegenüber der Poesie doch etwas zurück. Denn in Wahrheit erinnert der Geruch des Lavendelfeldes erst einmal an Omas Kleiderschrank. Zugegeben, das klingt etwas profan angesichts einer Landschaft voller Sonnenblumen, Olivenhaine, Rosmarinbüsche und Lavendelfelder. Kurz: einer explosiven Mischung von allem, was die Provence zu einem Sehnsuchtsort frankophiler Germanen macht. Und so ist die Assoziation mit Omas Lavendelsäckchen kein Banausentum, sondern die pure Kapitulation vor so viel Schönheit. Ein kleiner Kitschbrecher.

Vorbei also am Lavendelfeld, das nicht mehr ganz so lilafarben-kräftig leuchtet wie im Juli, sondern im Spätsommer eher ins Silbrige tendiert. Es geht ein wenig aufwärts mit dem Fahrrad, noch ein paar Kilometer sind es nach L'Isle-sur-la-Sorgue, einem Städtchen, das für seine Brücken und vielen historischen Wasserräder bekannt ist. Und natürlich für die Barockkirche Notre Dame des Anges. Mit ein wenig Glück kann man ihre berühmten 22 Holzstatuen betrachten, während der Organist eine schwierige Bachfuge übt. Der konsequente Genussradler wird allerdings in erster Linie das Café de France an der Place de la Liberté ansteuern, unter dessen Platanenblättern eine hinreißende Wildschweinpastete serviert wird.

Es ist ja Zeit einzuräumen: Hier ist kein sportlich ambitionierter Rennradler am Start, der die Höhen des Mont Ventoux erklimmen will, ebenso wenig wie ein asketischer Kilometerschrubber. Nein, bei dieser kleinen Tour geht es darum, die Provence zu genießen. Alle paar Kilometer anzuhalten und irgendetwas zu probieren, herumzuschauen, sich ins Café zu setzen und die Beine in einem Bach baumeln zu lassen. Beim kleinen Bauernmarkt einen Banon zu testen, einen Weichkäse, der in getrocknete Kastanienblätter gewickelt wird. Und sich am Abend gemütlich vors Zelt zu hocken, natürlich mit einem Glas Rosé.

Was man für einen solchen Trip braucht? Nicht viel. Ein paar Tage Zeit. Einen Flug nach Marseille. Und ein Fahrrad. Der Transport nach Frankreich ist schwierig und teuer, deshalb reserviert man sich lieber eins direkt am Ort. Zum Beispiel beim Radverleih von Mathieu Julien in Avignon. 14 Euro am Tag kostet ein Trekkingbike bei ihm. Er ist begeistert, wenn mal jemand kein E-Bike leiht, sondern ein ganz normales Fahrrad. Alle wollen sie nur noch die Elektroräder, sagt er, die Nachfrage sei "mega". Er steht in seinem kleinen Laden in der Rue du Limas, kramt eine Pumpe aus der Schublade. "Pardon, aber gehört zum Fahrradfahren nicht auch ein wenig Anstrengung?"

Klar, ein wenig schon. Dafür sorgen schon die Satteltasche mit dem Camping-zubehör und der Rucksack auf dem Gepäckträger. Die Aufgabe, das Gepäck möglichst leicht zu halten, war Gegenstand vieler abendlicher Überlegungen zu Hause auf der Terrasse. Ist der Pulli wirklich notwendig? Ja, zur Sicherheit. Das Schweizer Taschenmesser? Ja, fürs Picknick am Ufer der Sorgue. Der elektrische Rasierer? Nein, Aussehen egal. Der Krimi von Don Winslow? Ja, aber auf dem Handy, nicht als Taschenbuch.

Was die Übernachtungen betrifft, könnte man natürlich diese romantischen provenzalischen Hotels in Betracht ziehen, die überall mit blauen Fensterläden und liebevoller Betreuung locken. Die Alternative? Das winzige grüne Einmannzelt, Gewicht: 2,5 Kilo. Und, ehrlich: Für den Alleinradler ist Zelten reizvoller, aufregender, authentischer. Das Gelärme der Grillen, der Morgentau auf dem Zeltdach, der Café au Lait zum Frühstück in der kleinen Bar. Und beim Auschecken eine Rechnung über 20 Euro. Im Dorf Eygalières in den Alpilles sind es nur 16,01 Euro. "Avez vous un centime - haben Sie einen Cent?", fragt die Dame an der Rezeption. Von wegen Laisser-faire. Der Provenzale nimmt's genau.

Der Campingplatz "Pont d'Avignon" liegt auf einer Insel in der Rhône, gegenüber der legendären Brücke, die nachts beleuchtet ist und die man vom Platz aus sieht. Eine Fähre transportiert die Touristen gemächlich rüber zur trubeligen Altstadt. Hier beginnt und endet die Radreise, die dem Führer "Radregion Provence" entnommen ist und dort als "Große Rundtour um Avignon" vorkommt. Wichtige Kriterien: moderate Steigungen, viele interessante Städte und Dörfer und eine abwechslungsreiche Landschaft durch Weinfelder und Obsthaine. Radwege gibt es in Frankreich nur wenige, es geht über wenig befahrene, idyllische Straßen, entlang der Flüsse Durance und Sorgue, manchmal auch über Schotterwege. An den Orten Le Thor, L'Isle-sur-la-Sorgue, Cavaillon und Saint-Rémy kommt man vorbei. Richtige Sportler würden die 100 Kilometer an einem Tag schaffen. Sie würden aber viel verpassen.

In kurzer Hose ins Gourmetlokal

Im Grunde könnte man auf den südfranzösischen Campingplätzen mühelos einen ganzen Urlaub verbringen, so komfortabel und sympathisch sind sie. Oft sogar mit Pool ausgestattet, was dem Genießer die Weiterfahrt deutlich erschwert. Egal, tagsüber ist es eh zu heiß zum Radeln. Am angenehmsten fährt es sich in den Nachmittagsstunden, wenn das Licht milder wird und die Sonne weniger sticht. Was für ein Vergnügen, durch die Obstfelder bei Le Thor zu gondeln, auf einer Wiese anzuhalten, sich ins Gras zu setzen, einen Schluck Wasser zu trinken. Ein Foto? Alleinfahrer haben die Angewohnheit, ihr Fahrrad zu fotografieren. Erstens, weil sonst niemand da ist, und außerdem, weil es ein Kumpan ist, auf den man sich verlassen kann. Und der einen ansonsten in Ruhe lässt.

Wer mit dem Fahrrad alleine unterwegs ist, wird ja immer wieder gefragt, ob das denn nicht langweilig sei, so ohne Ansprache und ohne Möglichkeit, seine Erlebnisse mit jemandem zu teilen. Die Wahrheit ist: Gerade das ist das Reizvolle - für ein paar Tage. Mal zu sich selbst kommen, nachdenken, beim Radeln seinen eigenen Rhythmus finden, sich mit einem Buch eine Stunde ins Café setzen (und wenn man Lust hat, auch zwei) - das hat was. Wenn man es dann noch schafft, das Handy nur einmal am Tag für ein paar Minuten einzuschalten (für einen Anruf daheim), wird es richtig entspannt.

Das Städtchen L'Isle-sur-la-Sorgue ist eine Station, die allen Wünschen nach idyllischer Selbstfindung bestens nachkommt. Am Campingplatz "Sorguette" fließt der eiskalte Fluss vorbei - ein Bad wird zur Mutprobe. Der ganze Ort ist von Armen der Sorgue eingefasst, unzählige Brücken und charmante Sträßchen laden zum Verweilen ein. Ganz locker absolviert man als Radler auch die Tour durch die Einkaufsgassen, in denen Shops den üblichen provenzalischen Kitsch (Salatbesteck aus Zedernholz, überteuertes Olivenöl, Tischdecken mit Weinrebendekor) anbieten. Für größere Mitbringsel ist leider kein Platz in der Satteltasche.

Weiter geht es, vorbei an Cavaillon, der "Hauptstadt der Melone", in das kleine Gebirge Alpilles. Klingt süß, ist aber ganz schön steil. Also keuchend hinaufgeradelt, Olivenhaine und Cafés am Straßenrand ignorierend, bis ins Dorf Eygalières. Das gilt als eines der schönsten Südfrankreichs. Wobei ja die Erfahrung lehrt, dass jedes dritte Dorf als das schönste von irgendwas angepriesen wird. Diesmal glaubt man es aber sofort: Kleine Steinhäuschen, Feigenbäume und Blumenkästen, sympathische Restaurants erfreuen das Auge. Einen Gastropalast mit allen Arten von Meeresfrüchten, gelegen in einem Château mit fast unerträglich romantischem Innenhof, kann man hier besuchen - oder gleich das Gourmetlokal L'Aubergine, dessen Thunfisch in Kräuterkruste vom Guide Michelin gepriesen wird. Ob die einen mit zerknittertem Hemd aus der Fahrradtasche überhaupt reinlassen? Die Sorge ist unbegründet: Die meisten Gäste kommen in kurzer Hose und T-Shirt. Man bewegt sich nun einmal in einem Land, in dem gutes Essen nichts Feierliches ist, sondern etwas ganz Normales. Ein Land, in dem sich Bauarbeiter zur Mittagspause Tatar bestellen oder Moules-frites, Muscheln mit Pommes. Im besten Lokal von Eygalières wundert sich niemand darüber, dass der Gast vom Campingplatz rübergeschlendert kommt.

Letzte Station der Rundfahrt vor Avignon ist Saint-Rémy de Provence. Eine Kleinstadt, deren berühmtester Sohn der Seher Nostradamus war. Auch hatte die Familie des Marquis de Sade hier ein hübsches Wohnhaus. Erstaunlich, dass Saint-Rémy trotzdem ein außerordentlich charmantes Städtchen ist. Am Samstagvormittag treffen sich Einheimische auf einem Platz unter Platanen, um Tango zu tanzen. Touristen sehen ihnen zu, essen Eis und trinken Pastis.

Man könnte noch Tage hier verbummeln. Doch in Avignon wartet Mathieu auf sein Fahrrad. Die kleine Verspätung ist ihm ganz egal, er sitzt mit einer Flasche Limo vor seinem Laden und blinzelt in die Sonne. "War schön, oder?", fragt er. Nimmt das Rad und gibt die Antwort gleich selbst: "Bien sûr - natürlich!"

Reiseinformationen

Anreise: Flüge von München nach Marseille und zurück bei der Lufthansa ab 150 Euro. Zug vom Flughafen Marseille nach Avignon etwa 20 Euro.

Fahrradverleih: Überall in der Provence werden günstige und gute Fahrräder vermietet. Bei "South Spirit Bike" in Avignon kostet ein Trekkingrad für fünf Tage 70 Euro, ein E-Bike 160 Euro. Im Angebot sind auch GPS-geführte Touren.

Campingplätze: In Südfrankreich gibt es vom spartanischen, aber charmanten Platz mit null Komfort bis zum Luxus-Camping alles. Mit Fahrrad und kleinem Zelt zahlt man pro Nacht um die 20 Euro. Viele Campings haben erstaunlich gute Restaurants.

Radtourenbuch: "Radregion Provence" (Verlag Esterbauer) mit 27 Touren über wenig befahrene Straßen.

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