Kolumne Hin und weg:Prag ohne Bier

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Wenn das keine Einladung ist: ein Heißluftballon in Tschechien. (Foto: Slavek Ruta/IMAGO/ZUMA Wire)

In der tschechischen Hauptstadt werden organisierte Kneipentouren untersagt. Darauf sollte man unbedingt anstoßen.

Glosse von Stefan Fischer

Jetzt also auch Prag. Der Stadtrat der tschechischen Hauptstadt hat unlängst mit Stimmenmehrheit beschlossen, dass künftig kein Bier mehr an Touristen ausgeschenkt werden darf. Jedenfalls nicht zwischen zehn Uhr abends und sechs Uhr morgens und für den Fall, dass Touristen sich in dieser Zeit zu organisierten Kneipentouren zusammentun. Diese Form der kollektiven und von einem Veranstalter angeleiteten Zecherei soll fortan verboten sein. Wen man nämlich wie beinahe überall auch in Prag unter gar keinen Umständen mehr haben möchte, ist der Paria unter den Urlaubern: der Sauftourist.

Auf den ersten Blick, um nicht zu sagen: nüchtern betrachtet, mag das einleuchtend wirken. Jedoch sind an diesem behördlichen Beschluss gleich mehrere Aspekte betrachtenswert. Da ist einmal der Mechanismus von Angebot und Nachfrage. Zahllose Städte und Regionen locken Urlauber mit Alkohol an, sei es mit billigem (Prag) oder teurem Bier (München), mit rotem (Törggelen in Südtirol) oder weißem Fusel (Heuriger in Wien). Doch wehe, solche Angebote stoßen auf Nachfrage. Einzig München bekennt sich noch recht unverhohlen zu den Sauftouristen, wobei die Wiesn zuletzt bedenklich in Richtung Champagner-Prominenten-Party gekippt ist.

Das führt zu einem zweiten Aspekt in dieser Angelegenheit: Aus Prag ist zu vernehmen, man wolle auf kultiviertere, wohlhabendere Touristen setzen. Man kann Prag durch beinahe jedes beliebige Tourismusziel ersetzen, von Mallorca bis Tallinn: Überall muss dringend und sofort ein Qualitätstourismus her, mit Premium-Gästen. Mindestens kurios daran ist, dass nicht nur in Prag Kultiviertheit und Wohlstand schlicht gleichgesetzt werden, als ob das eine das andere bedingen würde.

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In dieser Logik ist demnach nicht willkommen, wer sich kein erstklassiges Hotel und kein Sternerestaurant leisten kann, wer Metro statt Taxi fährt, für kleines Geld ein Museumsticket kauft statt für große Summen Logenplätze in der Oper und wer abends ein Pils trinkt und nicht eine Magnumflasche Bordeauxwein. Auch dann nicht, wenn er ungeachtet seiner Kleinmütigkeit weder nächtens die halbe Stadtbewohnerschaft aus dem Schlaf grölt noch hinter jedes zweite Hauseck kotzt.

Das Problem des globalen Tourismus ist, dass die Gutsituierten allein nicht ausreichen, um ihn am Laufen zu halten. Dass zwar manche Urlauber durch eine Stadt bummeln und nur drei Kugeln Eis kaufen – aber kämen sie nicht, die Eisdiele schließen müsste. Dass man mit der Schnickschnack-Boutique erst mal denselben Umsatz erwirtschaften und außerdem so vielen Angestellten ein Einkommen sichern muss wie mit einer Die-Hände-zum-Himmel-Partykneipe.

Die verbale Geißelung der Sauftouristen deshalb verlogen zu nennen, weil auf die eine oder andere Weise eben doch beinahe alle Einheimischen von ihnen profitieren, trifft die Sache jedoch nicht wirklich. Besieht man sich, wie lange schon, wie halbherzig und dementsprechend jedes Mal vergeblich Initiativen gestartet werden, die den Sauftourismus eindämmen oder ganz ausrotten sollen, bleibt eigentlich nur ein Schluss: Die öffentliche Debatte über urlaubsbedingte Alkoholexzesse ist eine besonders subtile Marketingstrategie. Damit wird letztlich allen Tanktouristen signalisiert: Hier bei uns gibt es die passende Infrastruktur, hier seid ihr unter euresgleichen. Bei uns ist am Tresen immer noch ein Platz frei. Nur sagt man es eben am besten verklausuliert. Kommt besser an.

Stefan Fischer mag laute Menschen nicht, egal ob trunken oder nicht. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
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