Pow Wow in Kanada:Tanz der Freiheit

Pow Wow Kanada First Nations

Ein Tänzer der Ojibwe beim Pow Wow auf Manitoulin Island.

(Foto: Ontario Tourism)

Auch Bleichgesichter sind den Stämmen auf Manitoulin Island willkommen. Doch ein "Pow Wow" ist keine Pocahontas-Show: Die Tänze erinnern an uralte Traditionen - und daran, wie die Kultur der First Nations ausgelöscht werden sollte.

Von Klaus Vogt

"Mein spiritueller Name ist Little Hummingbird, Kolibri." Falcon Tabousegai vom Stamm der Ojibwe schaut noch immer etwas betrübt, als er sich seinen Gästen offenbart. "Als ich als kleiner Junge diesen Namen von den Stammesältesten bekam, war ich sehr enttäuscht. In diesem Alter träumt man noch davon, eines Tages Wilder Wolf oder Starker Bär zu sein, oder zumindest ein Rolling Thunder - aber Kolibri?" Der Guide auf Manitoulin Island zuckt mit den Achseln. "Heute kann ich gut damit leben. Schließlich ist der Kolibri in unserer Kultur so etwas wie ein Bote, ein Kommunikator, ein Vermittler von Wissen."

Und das ist Falcon: Er gehört zum Team des "Great Spirit Circle Trail". Diese Organisation bringt Besuchern auf Manitoulin Island im Lake Huron Leben, Geschichte und Kultur der "First Nations of Ontario" nahe ("First Nations" ersetzte in Kanada die umstrittene Bezeichnung "Indianer"). Mit 2766 Quadratkilometern Fläche und einer Küstenlinie von 1600 Kilometern ist Manitoulin Island die größte Insel der Erde, die in einem See liegt.

Sie wird von den First Nations Kanadas die "Insel des großen Geistes" genannt, hierhin soll sich Manitou nach der Erschaffung der Welt zurückgezogen haben. Heute leben auf der Insel die Stämme der Ojibwe, Pottawatomi und Odawa.

Lagerfeuer und Trails durch dunkle Wälder

Etwa in der Mitte des Eilands liegt M'Chigeeng, dort ist das Hauptquartier des "Great Spirit Circle Trail". Von hier aus organisieren Falcon und seine Kollegen Touren, Events und Workshops, "um unsere Kultur mit unseren Gästen zu teilen, nicht um sie zu verkaufen", erklärt Falcon. Zwar berichtet auch er nicht kostenlos am Lagerfeuer von den Legenden der Ureinwohner, bereitet Manitoulin-Tee und Fladenbrot. Aber: "Es war höchste Zeit, dass unsere Traumfänger nicht mehr aus Plastik sind und in China produziert werden."

So lernt man auf dem "Medicine Walk" die vier heiligen Kräuter der Ureinwohner kennen: Tabak, Zeder, Weißer Salbei und Sweet Grass - ein einheimisches Kraut, das leicht nach Waldmeister riecht und wie die anderen drei in Zeremonien verbrannt wird, um Mutter Erde zu danken.

Zu Fuß, per Fahrrad oder auf dem Pferd entdecken Urlauber die Insel. Wanderwege wie der "Cup & Saucer Trail" führen sie durch dunkle Wälder, deren Tannen und Birken so eng stehen, dass nur wenige Lichtstrahlen durch die verschränkten Äste fallen. Bis sich der Weg weitet und den Blick freigibt auf schwindelerregend hohe Felsplateaus und die steil abfallende Küste: Zehn Meter unter den Wanderern schwappt das grünblaue Seewasser des Lake Huron an die Felsen.

Pow Wow - Familientreffen der Ojibwe

Wer will, lernt im "Woodlands" auch das Trommelbauen und Trommeln. Das Original hören die Gäste bei den jährlichen Familientreffen der Ojibwe, den Pow Wows. An fast jedem Wochenende findet irgendwo in Ontario eines statt und auch wer nicht zur Familie gehört, darf kommen.

An diesem Wochenende meint es Manitou allerdings nicht gut mit dem Wetter: Am ersten Tag des Pow Wow regnet es in Strömen. Eilig wird das Stammestreffen in die Eishockey-Arena von M'Chigeeng verlegt. Nun müssen die Tänzer mit dem nackten Betonboden vorlieb nehmen, statt ihre Runde auf der grünen Wiese zu drehen.

Die Gruppe der Sänger und Trommler hat es sich in der Mitte der Spielfläche so bequem wie möglich gemacht. Auch der MC, "Master of Ceremony", hat seinen Platz am Spielfeldrand eingenommen und unterhält die erwartungsvollen Anwesenden mit einigen anzüglichen Witzen.

Am Rand der Arena hält auch der Häuptling Hof

Während manche Tänzer noch von ihren Verwandten angekleidet und geschminkt werden, laufen sich andere schon warm: Sie stampfen rhythmisch durch die Halle. Wer heute nicht in die alten Trachten schlüpft, um selbst zu tanzen, trägt lässige, nordamerikanische Freizeitmode: Hoodies, Sweatshirts, Sneaker oder Cowboystiefel.

Es ist ein Kommen und Gehen. Da werden Verwandte, Nachbarn und Freunde begrüßt oder Fast Food auf Papptellern zwischen den anderen Zuschauern hindurch jongliert. Tänzer, die gerade nicht dran sind, stehen lachend mit anderen in der Raucherecke.

Die Zuschauer haben sich mit ihrem Essen und Fotoapparaten auf Campingklappstühlen am Rand der Arena eingerichtet. Hier hält auch der Häuptling Hof: Chief Josef Hare wird ehrfurchtsvoll von Familien- und Stammesmitgliedern begrüßt. Hinter ihnen stehen Journalisten und Touristen Schlange, um nach einer Fotoerlaubnis zu fragen.

Keine aufgesetzte Pocahontas-Inszenierung

Denn nicht für diese Zuschauer haben die Tänzer ihre prachtvollen Trachten der Bell Dancer oder Grass Dancer angelegt, sondern für sich und die anderen First-Nation-Mitglieder. Respektvoll halten sich die Gäste zurück, schlendern an den Souvenirständen entlang und achten auf die Ansagen des MC: Er kündigt an, welche Tänze und Rituale nicht fotografiert werden dürfen.

Dennoch sind die Neugierigen willkommen. Immer wieder sieht man sie mit den Ojibwe-Tänzern, die sie nach einer Fotoerlaubnis gefragt haben, zusammenstehen und angeregt plaudern. Manche trauen sich sogar, an den für das Publikum offenen Tanzrunden teilzunehmen und die Schritte der Tänzer unbeholfen nachzuahmen. Ausgelacht werden sie nicht, die Ojibwe freuen sich über ihr Interesse.

Der Pow Wow hat mit aufgesetzten Pocahontas-Inszenierungen für Touristen nichts zu tun. Das Treffen ist intim und familiär, die Tänze auf sympathische Art unperfekt. Da rennt den Tänzern ein kleines Kind zwischen die Beine und ein Mädchen stolpert mit hochrotem Kopf zwischen den anderen Tänzerinnen umher. Es ist sichtbar froh, als seine Runde in der Arena vorbei ist. Dennoch geht es hier um mehr als ein fröhliches Zusammenkommen mit Tanzeinlagen. Es sind "dances of resistance", Tänze des Widerstandes.

Misshandlungen und Missbrauch

Ein Widerstand gegen die Schatten der Vergangenheit, als Kinder der First Nations mehr als 150 Jahre lang von der kanadischen Regierung und vor allem der katholischen Kirche aus ihren Familien gerissen wurden, ihnen ihre Sprache und Kultur verboten wurde - und das bis in die 1980er Jahre (mehr über die Residential Schools und ihre Folgen erfahren Sie hier).

Noch heute wollen viele der Älteren nicht über diese schlimme Zeit reden, über Misshandlungen und Missbrauch, die Zwangsarbeit, die Verbote, die Erniedrigungen.

Chief Josef Hare beobachtet mit Wohlwollen, dass die jüngeren Generationen ihre historischen Wurzeln und ihr kulturelles Erbe wiederentdecken, und den Besuchern auf Manitoulin Island näherbringen. Wie Falcon, der Kolibri: Auch er ist auf dem Pow Wow und achtet genau darauf, dass während der heiligen Zeremonien kein ignorantes Bleichgesicht auf den Auslöser seiner Kamera drückt.

Mit dem Kanu auf den See

Am nächsten Morgen meint es Manitou gut, das Wetter ist schön. Man ist auf den traditonellen Pow Wow Ground am Stadtrand von M'Chigeeng umgezogen, mitsamt den Imbisswagen mit Ojibwe-Tacos und anderem Fast Food. Sie sind hier nicht fehl am Platz, der Pow Wow Ground dient an anderen Tagen auch als Baseballspielfeld.

Link-Tipps

Manitoulin Island: www.manitoulin-island.com, www.manitoulintourism.com

Great Spirit Circle Trail: www.circletrail.com

Pow Wow Kalender: www.powwows.com

Auf diesem werden vielleicht neue Legenden geschrieben, wenn sie auch nicht so eindrucksvoll sein mögen wie die althergebrachten: Mit den Besuchern lenkt Falcon am Tag nach dem Pow Wow Kanus auf den See. Dort erzählt er von seiner Tante, die einmal zum Fischen herausgefahren sei, als das Wasser zu kochen begann und sich schwarz färbte.

Die "Water Lynx" - eine riesige Seeschlange mit Pantherkopf und Tatzen - habe sie in die Tiefe ziehen wollen. Zeit, sich auf den Rückweg zu machen, finden die Touristen und paddeln schneller. Wer weiß schon, welche Geschichten der Ojibwe wahr sind.

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