Portugal:Kreativlabor

Eine Textilfabrik in Covilhã wird von Künstlern und Handwerkern zu neuem Leben erweckt. Modedesigner, Fotografen und Maler müssen hier keine Miete zahlen, sich aber am Erhalt des Hauses beteiligen. Das funktioniert ziemlich gut.

Von Lea Weinmann

Elf Jahre stand alles still. Bis unters Dach stapelte sich die Wolle in den Hallen, in den Büros darüber sammelten sich die Spinnweben. Elf Jahre trieb Francisco Afonso die Frage um, was er mit diesem, seinem Erbe anfangen sollte. Sein Vater hatte dem heute 62-Jährigen den Familienbetrieb hinterlassen, eine Wollfabrik in Covilhã. Die Bergstadt im Nordosten Portugals war jahrzehntelang weltbekannt für ihre Textilindustrie. Zu Spitzenzeiten arbeiteten 420 Menschen in der Fabrik der Afonsos; sie spannen die rohe Wolle der Schafe aus den Bergen der Serra da Estrela zu Fäden und woben sie zu feinen Stoffen.

New Hand Lab

Eine Künstlerin hat einen alten VW-Käfer mit Wolle verziert, dort, wo in der Fabrik die Spulen mit dem Garn standen.

(Foto: JOAO PEDRO SILVA)

In den Achtzigerjahren stürzte das Textilgewerbe jedoch in eine wirtschaftliche Krise, fast alle Fabriken der Stadt mussten aufgeben. Die Afonsos hielten lange durch, erst 2002 beschlossen sie, zu schließen. Zu einem Verkauf konnte sich Francisco aber nicht durchringen. Sein ganzes Leben hatte er in der Wollfabrik verbracht. "Auch nach der Schließung ging er oft in die verstaubten Hallen. "Inmitten der alten Wolle hat er sich an seine Spinnmaschine gesetzt", erzählt seine Frau Ana Paula Costa. Afonso haderte, viele Jahre, bis die Chefin der Tourismusbehörde ihn im Jahr 2013 dazu aufforderte, aus der Fabrik endlich etwas zu machen. Der 62-Jährige ist ein schüchterner Mann. Vielleicht hatte er nur den kleinen Anstoß gebraucht. Jedenfalls fingen er und seine Frau an aufzuräumen.

New Hand Lab

Von außen sieht die alte Fabrik, in der jahrzehntelang Wollstoffe gefertigt wurden, idyllisch aus.

(Foto: Joao Pedro Silva)

Schon zwei Wochen später eröffneten sie das "New Hand Lab", ein "Kreativlabor für Künstler", wie sie es nennen. Im Obergeschoss hat das Ehepaar 13 Ateliers eingerichtet: Modedesigner, Maler, Fotografen, Multimedia- und Modellkünstler arbeiten hier Tür an Tür zusammen - aus der ehemaligen Fabrik ist ein Coworking-Space entstanden. Einzige Mitmachbedingung: "Der Leitfaden dieses Projekts ist immer die Wolle", sagt Afonso.

Ein Designer aus dem Künstlerkollektiv verwendet für seine Kleidungsstücke beispielsweise das Gewebe Burel, einen typischen filzähnlichen Wollstoff aus der Region. Die Jacken, Pullover, Schals und sogar wollbezogenen Schuhe werden hier zum Verkauf angeboten. Dazwischen finden sich wollene Sitzkissen, Stoffpuppen und dekorative Einrichtungsgegenstände. Nicht bei jedem Künstler ist der Bezug zur Wolle offensichtlich. So lichtet ein Fotograf die Kollektionen des Designers ab; ein Multimediakünstler hingegen arbeitet mit altem Ton- und Bildmaterial aus den Textilfabriken der Region.

New Hand Lab

Im New Hand Lab finden immer wieder Events und Konferenzen statt, bei denen die Künstler mithelfen.

(Foto: Joao Pedro Silva)

Die Ergebnisse können Besucher in den großen Hallen im Untergeschoss der Fabrik, dem Höhepunkt des New Hand Labs, betrachten: Dort öffnet sich ihnen eine sehenswerte Mischung aus Museum und kreativer Kunstwerkstatt. Kurze Filme flimmern auf Leinwänden; von den Decken hängen gewebte Kunstinstallationen. Dazwischen stehen immer noch die Webmaschinen der früheren Fabrik.

Auch im alten Arbeitszimmer von Afonsos Vater sieht es so aus, als wäre die Wollfabrik gestern erst geschlossen worden: Auf dem schweren Holztisch steht noch das Tintenfass, daneben liegen zwei Füller. "Den einen hat mein Vater nur zum Schreiben benutzt, den anderen zum Zeichnen", erklärt Afonso. Kein Staubkorn liegt auf dem Tisch. Im Gedenken an seinen Vater will er das New Hand Lab weiter ausbauen. Die Kosten für den Umbau der Fabrik hat das Ehepaar aus eigener Tasche beglichen; von den lokalen Institutionen gab es keine Unterstützung. "Die Künstler müssen keine Miete für ihre Werkstätten zahlen", sagt der Inhaber. Dafür gehe ein kleiner Anteil ihres Umsatzes in einen gemeinsamen Topf, durch den das New Hand Lab finanziert wird. "Wir wollen keinen Gewinn damit machen", betont Afonso. Das Projekt solle sich einfach selbst tragen. Die Anzahl der Bewerber übersteigt mittlerweile die Kapazitäten des "Kreativlabors".

Seit wenigen Monaten ist das Projekt offiziell als Kulturverein eingetragen. Die Räume werden auch immer wieder für kulturelle Veranstaltungen genutzt, bei denen alle Künstler mit anpacken müssen. Er wisse aber noch nicht, in welche Richtung sich das Projekt entwickle. Wichtiger sei die Intention: "Es geht uns nicht nur um das Gebäude, sondern um Identität", sagt Afonso: Das New Hand Lab sei "eine Hommage an alle, die in der Wollindustrie gearbeitet haben."

Kostenlose Besichtigungen sind täglich von 14.30 bis 16 Uhr möglich. Führungen (5 Euro) immer um 15 Uhr, newhandlab.com

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