Süddeutsche Zeitung

Portugal:Schwein ohne Schnickschnack

Von der Seezunge zum Eichelschinken: Der Alentejo im Süden Portugals bietet jetzt im Herbst die ganze Bandbreite an regionalen Köstlichkeiten. Eine kulinarische Erkundung.

Von Hans Gasser

Vor der Einkehr bei José Ramos Cardoso, genannt Celso, empfiehlt es sich, ein paar Stunden an der Costa Vicentina zu wandern - später wird man wissen, warum.

Es geht immer oben auf den Klippen entlang, die hier zu spektakulären Sandstränden hin abfallen. Der Atlantik bäumt sich jetzt im Oktober bereits zu ordentlichen Wellen auf, die Luft ist noch ziemlich warm und gewürzt mit Salz und ätherischen Ölen. Bald geht hier die Sonne über Europa unter und wirft die letzten Ausläufer des Kontinents in ein verboten schönes Licht.

Spätestens jetzt sollte man sich Gedanken über die kulinarische Abendgestaltung machen. Noch besser ist es, wenn man bereits einen Tisch in der Tasca do Celso im kleinen Städtchen Vila Nova de Milfontes reserviert hat - die Tasca ist nämlich jeden Abend gut besucht. Tasca heißt eigentlich Kneipe und ist eine Tiefstapelei ersten Ranges. Denn in Wirklichkeit handelt es sich um eines der besten Restaurants des Alentejo, manche sagen sogar: Portugals.

"Wir kochen hier mit mehr Herz als die an der Algarve", sagt der Wirt

Celso ist ein begnadeter Wirt und leidenschaftlicher Esser, was er gar nicht verbergen will. Sein Restaurant mit rotem Fliesenboden, rustikalen Holztischen und einer großen, einsehbaren Küche, in der zwei Köchinnen Regie führen, ist auf angenehme Weise bodenständig. Keine Schäumchen, kein Schnickschnack, stattdessen frischester Fisch aus dem Atlantik und bestes Fleisch und Gemüse, oft im Holzkohleofen gegart. "Wir kochen hier traditioneller, mit mehr Herz", sagt Celso und er meint das im Vergleich zur südlich angrenzenden Algarve. "Dort gibt es zwar mehr Fine-Dining-Lokale, aber wegen der vielen Touristen auch viel austauschbares Essen."

Celso tischt auf: Venusmuscheln mit Weißwein, Knoblauch und Koriander - ein Klassiker, der nicht zu verbessern ist; gefolgt von einer Bruschetta mit einem kurz gebratenen Sardinenfilet, dazu Lourinho, ein Weißwein, der nur ein paar Kilometer weiter hier an der Küste angebaut wird. Genau wie der Carolino-Reis aus dem Sado-Delta, der als saftiges Fisch-Risotto mit Drachenkopf auf den Tisch kommt. Zwischen den Gängen zeigt Celso in der Küche stolz die riesigen Steinbutts, Rochen und Brassen her, die er alltäglich auf der Fischversteigerung in Sines kauft.

Als Hauptgang gibt es aber rosa gegrillte Lende von Limousin-Rindern, die hier auf den Küstenwiesen weiden, begleitet von rauchiger Quitte und Ananas sowie Süßkartoffel-Püree mit Koriander. Wer Letzteren nicht mag, könnte Schwierigkeiten bekommen mit der portugiesischen Küche, denn mit Koriander wird hier großzügig umgegangen. Als Nachspeise bringt der Wirt dann auch noch Sericaia, einen Kuchen, der aus viel Eigelb, Zucker und Zimt besteht und für sich eigentlich eine Mahlzeit wäre. Spätestens jetzt erschließt sich die Wichtigkeit mehrstündigen Wanderns vor einem Besuch von Celsos Restaurant.

Die Küste ist wild und schön, aber das Innenland macht den Alentejo aus

So schön und wild die Küste hier ist: Wer den Alentejo, Portugals größte Region, wirklich kennenlernen möchte, muss ins Hinterland fahren. Ganz einfach deshalb, weil 95 Prozent dieses Landstrichs, der vom Fluss Tejo nördlich Lissabons bis zur Grenze der Algarve reicht, eben Hinterland sind. Und das besteht, speziell im Süden der Region, aus einer ganz besonderen Kulturlandschaft, dem Montado: Mächtige Steineichen oder Korkeichen, luftig auseinander gepflanzt, ziehen sich über die sanften Hügel. Früher wurde dazwischen vor allem Weizen angebaut, weil der Alentejo unter der Salazar-Diktatur zur Kornkammer des Landes bestimmt war. Heute weiden zwischen den Eichen Rinder und Schafe, mancherorts auch die schwarzen Schweine, Porco Preto genannt, die für ihren köstlichen Schinken bekannt sind. Es ist eine extensive Kulturlandschaft, die zu den artenreichsten Gebieten Europas gehört. Noch.

Denn der hochintensive Anbau von kleinstämmigen Olivenbäumen, Mandeln und Beeren nimmt immer größere Flächen ein. Möglich wird dies durch EU-Subventionen und den riesigen Alqueva-Stausee, mit dessen Wasser seit gut zwei Jahrzehnten eine der trockensten und heißesten Landschaften Europas bewässert werden kann. Das hat auch den Weinanbau stark ausgeweitet. Mittlerweile zählt der Alentejo zu den größten Weinregionen des Landes, die Qualität der Weine kann sich mit jenen am Douro messen.

So etwa jene von der Herdade da Malhadinha Nova, einem großen Landgut samt edlem Hotel genau in der Mitte zwischen Küste und spanischer Grenze. Das nur über Schotterpisten und durch savannenartige Montado-Landschaft zu erreichende Weingut baut auf 80 Hektar 14 verschiedene Traubensorten an, darunter etwa den Antão Vaz , einen der bekanntesten Weißweine des Alentejo, der die hohen Temperaturen und die Trockenheit hier besonders gut verträgt. Er passt sehr gut zu den Kreationen des erst 26-jährigen Chefkochs Rodrigo Madeira, der im Eleven, einem mit Michelinstern versehenen Restaurant in Lissabon, gelernt hat. Madeira kombiniert die hervorragenden Zutaten von der eigenen Farm, auf der auch Hühner, schwarze Schweine und Rinder gehalten werden, mit frischem Fisch und Schalentieren von der Küste. So gibt es etwa Calamari-Spaghetti mit Schweinsbäckchen oder Rote Languste mit dem traditionellen Caldo Verde, einem Kohl-Chorizo -Eintopf.

Der Katzenhai war der einzige Fisch, der den Transport vertrug, ohne zu verwesen

Das schmeckt viel besser als es klingt, aber derlei Fine-Dining-Kapriolen sind eher die Ausnahme im Alentejo, der für seine einfachen, ehrlichen Gerichte bekannt ist: Suppen mit eingeweichtem Brot, Açordas genannt, beste Oliven und Olivenöl, gegrilltes Schweinefleisch, Rohmilch-Schafkäse aus Serpa. Das hübsche, weißgekalkte Städtchen mit seinen vielen Kirchen wirkt wie eine Kolonialstadt in Südamerika, alte Männer sitzen vor der Kathedrale, am Hauptplatz gibt es, wie in vielen Städten hier, ein einfaches Restaurant namens "Alentejano", mit rot-weiß-karierten Tischdecken, in dem man all die guten Gerichte verkosten kann. Besonders beliebt ist der Katzenhai-Eintopf, denn es war früher der einzige Fisch, der den weitgehend ungekühlten Transport von der Küste bis hierher überstanden hat, ohne zu verwesen.

Wer immer weiter nach Osten fährt, kommt irgendwann nach Barrancos, wo Portugal endet und die Menschen bereits, wie in Südspanien, vor ihren Häusern sitzen. Hier gibt es im August den einzigen Stierkampf, bei dem, anders als im Rest Portugals, der Stier vor Publikum getötet werden darf; ein Recht, dass sich die Einwohner durch pure Aufsässigkeit erstritten haben. Barrancos, das sehr schön zwischen Hügeln liegt, ist aber auch für die schwarzen, freilaufenden Schweine bekannt, die hier zu Schinken und Chorizo verarbeitet werden.

Ein Meister dieses Fachs ist Andre Carvalho. Der rundliche, temperamentvolle Mann mit buschigen Augenbrauen führt stolz durch die Schinken-Manufaktur Sabores de Barrancos, deren Teilhaber und Ober-Metzger er ist. "Schau mal, die schlanken Fesseln, daran sieht man, dass es ein reinrassiges Porco Preto ist", sagt er, als er durch den gut belüfteten Reifungsraum geht, wo Hunderte Schinken aufgehängt sind. "24 Monate müssen sie mindestens reifen", erklärt Carvalho, "hier in der trockenen Bergluft ist das Klima dafür ideal." Bei der Verkostung säbelt ein Angestellter, kunstvoll wie es sich gehört, dünne Scheiben Schinken vom ganzen Schweinsfuß: Nicht zu salzig, süßlich und nussig schmeckt der. Carvalho zeigt auf die feine weiße Fettmarmorierung des Fleischs. "Das kommt von dem guten Futter, die letzten Monate ihres Lebens fressen sie nur noch Eicheln."

Der Metzger taxiert die frei laufenden Schweine mit liebevollem Blick

Um das zu demonstrieren, fährt er im Lieferwagen der Firma voran zu einem Schweinebauer seines Vertrauens. An einer holprigen Schotterstraße, die von Barrancos zum wunderschönen Naturpark Noudar führt, erreicht er einen großen, umzäunten Steineichenhain. Hier wartet Margarida Fialho. Sie ist die Schwester des Schweinebauern, arbeitet eigentlich in Lissabon, hilft aber an Wochenenden hier aus. "Ich mag die schwarzen Schweine", sagt sie. Es seien intelligente Tiere, die, anders als normale Zuchtschweine, gern und schnell herumrennen. "Noch füttern wir sie mit einer Getreidemischung, aber bald beginnt die Montanheira. Dann bekommen sie von Dezember bis Februar nur noch die Eicheln, die von den Bäumen fallen." Sie pfeift laut durch die Finger, um die auf dem großen Grundstück herumlaufenden Schweine anzulocken, und dann kommen sie auch schon, scheu grunzend und immer wieder erste Eicheln vom Boden fressend. Es ist ein Bild wie auf einem Gemälde aus dem 18. Jahrhundert, als überall in Europa die Schweine noch auf die Baum-Weiden getrieben wurden.

Bis Februar, erklärt Metzger Carvalho, der die Schweine mit fast liebevollem Blick begutachtet, nähmen die jetzt noch eher schlanken Tiere durch die Eichelmast bis zu 50 Prozent ihres Körpergewichts zu. Dann ist Schlacht- und Zahltag. Für ein 150-Kilo-Tier dieser Qualität zahle er 600 Euro - was im Vergleich zu Industrieschweinen eine fürstliche Summe ist.

Und wenn man dann abends im Restaurant zu ein paar eiskalten "Mini-Sagres"-Bieren den außergewöhnlichen Schinken, Chorizo, ein paar milde Oliven isst und auf diese alte Kulturlandschaft schaut, könnte man zum Schluss kommen, dass früher doch so manches besser war. Wie gut, dass das hier, am Rand Europas, immer noch zu sehen und zu schmecken ist.

Reiseinformationen

Anreise: Mit TAP oder Lufthansa nach Lissabon oder Faro, von dort mit dem Mietwagen in den Alentejo

Unterkunft: Es gibt viele schöne Landgüter, die auch Hotels sind, z.B: Monte do Zambujeiro bei Vila Nova de Milfontes, schön gelegen über einem Fluss, DZ ab 140 Euro, montedozambujeiro.com; Herdade da Malhadinha, Weingut und Fünfsterne-Hotel bei Castro Verde, DZ mit Frühstück ab 270 Euro, malhadinhanova.pt; Monte da Estrela bei Amareleja, sehr schönes, familiär geführtes Landhaus, DZ ab 160 Euro, montedaestrela.pt

Restaurants: Tasca do Celso, Fisch und Fleisch vom Feinsten, tascacelso.eatbu.com; Arte et Sal, einfaches aber hervorragendes Fischrestaurant an der Küste südlich von Sines, Tel.: 00351/269 86 91 25; Adega de Talha Piteira, gutes, traditionelles Restaurant mit hervorragendem Amphoren-Wein in Amareleja, abegoaria.pt/adega-restaurante-piteira

Weitere Auskünfte: visitalentejo.pt

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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