Port Lockroy in der Antarktis:Im Wendekreis des Pinguins

Auf der Insel vor der Antarktis wohnen nur drei Menschen und Hunderte Vögel, doch sie bekommen Besuch, sehr viel Besuch - zur Freude der Eselspinguine.

Karin Steinberger

Natürlich nerven sie manchmal. Am frühen Morgen, wenn die Gletscher hinter dem Haus knarzen wie alte Dielen und die Pinguine vor der Tür noch zu müde sind, um Steine vom Nachbarnest zu klauen, wenn das dumpfe Licht der Nacht die Berge anstrahlt und Pfannkucheneis lautlos über das Wasser schwebt. Natürlich will man in so einem Moment nicht 300 Leute vor der Hütte stehen haben. Schon gar keine Touristen. Aber es hilft ja nichts, sie kommen trotzdem.

Egal, zu welcher Uhrzeit das Schiff um den verschneiten Lécuyer Point biegt, Rick Atkinson steht schon vor der Tür und wartet. Auch wenn sie manchmal nerven, all die Menschen, die die Antarktis heimsuchen. Er braucht sie, weil er einen Laden hat - und ein Anliegen.

Er will von der Geschichte dieses Ortes erzählen und davon, wie sie die Hütte 1996 renoviert haben, er will erklären, was sie bewirken wollen mit der Erhaltung der historischen Stätten in der Antarktis. Und noch ein Anliegen hat er. Er hat Schmutzwäsche - da freut man sich, wenn ein Schiff so groß ist, dass es länger bleibt.

Er steht also da und wartet, bis die ersten Anlegeboote der MS Fram unten am Strand ankommen und mit ihnen die Biologen und Historiker und Expeditionsleiter vom Schiff. Sie bringen Neuigkeiten aus der Welt hinter dem Eis, nehmen die Wäsche mit und stecken Orientierungs-Fähnchen in den Schnee. Rick Atkinson quatscht mit ihnen, man kennt sich. Und im Laden bereiten seine "girls" alles vor auf den großen Ansturm.

Port Lockroy, 64°49' südliche Breite, 63°31' westliche Länge, eine Insel bei der antarktischen Halbinsel, bewohnt von drei Menschen und Hunderten Eselspinguinen und Antarktischen Kormoranen, umrahmt von Gletschern und Eis und Wasser.

Es waren die Franzosen, die die Bucht 1904 entdeckten, die Norweger, die sie bis 1931 als Walfangstation nutzten und die Engländer, die sie 1944 zu einem ihrer Stützpunkte der "Operation Tabarin" machten, um Schiffsbewegungen des Feindes zu kontrollieren und alte Treibstoffdepots zu zerstören.

Drei Hütten, ein Fahnenmast, ein Windmessgerät und die südlichste Poststation der Erde. Kein Ort in der Antarktis wird von so vielen Menschen besucht wie dieser.

Letztes Jahr, sagt Rick Atkinson, seien sie fast Opfer ihres eigenen Erfolgs gewesen. Früher kamen drei bis vier Schiffe in der Saison zwischen November und März, heute 160, zwei bis drei am Tag. Mehr geht nicht. Wenn zu viele da sind, schickt er schon mal eines weg.

Es ist ein Platzproblem, die Goudier Insel ist winzig. Und die hintere Hälfte der Insel ist noch dazu für die Pinguine reserviert. Außerdem erlauben die Regeln der Internationalen Vereinigung der Antarktisveranstalter (International Association of Antarctica Tour Operators, IAATO) nicht mehr als 100 Menschen gleichzeitig an Land.

Schiffe mit mehr als 500 Gästen dürfen hier überhaupt nicht anlanden, die fahren einfach vorbei an Port Lockroy und schauen rüber auf die kleine Hütte und die 618 Pinguinpärchen drumherum. Überrannt in der Antarktis - so weit ist es schon gekommen.

Dann kommen die ersten Touristen. Es ist das immer gleiche Ritual: Die Uhrzeit wird verglichen, eine halbe Stunde hat jeder, dann muss er wieder an Bord. Sie halten Fotoapparate in den Händen wie Waffen, tragen Antarktis-Anoraks und Gummistiefel. So nahe wie hier kommen sie Pinguinen nie wieder, fünf Meter Mindestabstand, das ist eine Regel in der Antarktis - aber hier brechen die Pinguine die Gesetze.

Im Wendekreis des Pinguins

Sie ignorieren diese Wesen, die über ihre Insel laufen, an ihren steinernen Nestern vorbei, hinauf zum Bransfield House, wo es einen Laden gibt und einen Postkasten. Es ist Brutzeit. Sie müssen Steinchen sammeln.

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(Foto: SZ-Grafik: Baka)

Und da nicht mehr viele Steinchen da sind, holen sie sie aus dem Nest des Nachbarn. Alle holen ihre Steinchen beim Nachbarn. Die Frauen schreien, die Männchen klauen. Dann schießen sie roten Kot durch die Gegend. Bei Wind kann man Pinguinkolonien kilometerweit riechen.

In der Nacht ist gleich vor der Insel ein kleiner Eisberg explodiert, ein Winzling verglichen mit dem, was sonst noch hier herumschwimmt. Aber es war ein Knall, den Rick Atkinson so schnell nicht vergessen wird. Und jetzt knallt es noch mal. Es klingt wie ein Schuss.

Rick Atkinson schaut runter zum Eisberg, der Expeditionsleiter schaut runter zu den Booten. Ruhig bleiben nur die Pinguine und die Touristen. Manchmal, sagt Rick Atkinson, habe man das Gefühl, dass viele gar nicht wissen, wo sie sind. Selbst ein Winzling kann hier lebensgefährlich sein - die Welle, das Eiswasser.

Natürlich weiß Atkinson, dass es nicht jedermanns Sache ist, hier zu leben, auf einer winzigen Insel, zwischen stinkenden Pinguinen und Wal-Skeletten. Aber er mag das Leben in der Antarktis, "es ist komplexer als anderswo". Den Gestank blendet er aus, schwer fällt ihm das nicht.

Die Schönheit der Landschaft ist berauschend, der Blick entschädigt für vieles. Das Leben hier ist zwar immer noch hart, aber es ist nicht mehr so wie damals, als Männer wie Ernest Shackleton monatelang um ihr Leben und das ihrer Mannschaft kämpften. 1916 war das, damals waren Hunde noch erlaubt und Killerwale bedrohten die Menschen - nicht andersherum.

92 Jahre ist das her, Hämorrhoiden gehörten in dieser Zeit ebenso zu einer Antarktisreise wie gebratene Pinguinleber mit Seehundnieren zum Frühstück.

Shackleton traf es noch schlimmer, das Schiff war im Eis zerborsten. Mit drei kleinen Ruderbooten dümpelten sie wochenlang im Eiswasser herum, die meisten von ihnen hatten die Ruhr und die Rationen waren dürftig: Ein heißes Getränk am Tag und einen Schiffszwieback. Morgens schaust du ihn an, mittags lutscht du ihn und abends isst du ihn.

Rick Atkinson hat neun Tonnen Material, für den Shop und das Team. Und ein paar Dosen aus den fünfziger Jahren stehen auch noch herum. Verhungern werden sie nicht. Aber weil Atkinson Ire ist und ein Mann, der gerne scherzt, schwärmt er von den Zeiten, als Frauen hier noch nicht erlaubt waren. Dann lacht er. Es ist seine Art, die ewig gleiche Frage zu beantworten: "Wie geht das mit zwei Frauen und einem Mann in der Antarktis?"

Im Wendekreis des Pinguins

- "Es geht sehr gut", sagt er und zeigt das kleine Zimmer, in dem sie viereinhalb Monate zu dritt schlafen und essen. Die zwei Frauen stehen jetzt im Laden und verkaufen Postkarten, und dann stempeln sie die Postkarten, die die Menschen von hier verschicken. 80.000 pro Saison. "Es braucht, bis sie ankommen, aber sie kommen an", sagt Atkinson.

Mit dem Laden und der Post finanzieren sie die Arbeit des UK Antarctic Heritage Trust, der historische Stätten wie diese renoviert. Shackletons Hütte etwa wäre beinahe in private Hände gekommen, das haben sie verhindert. Und hier sah es aus wie auf einer Müllkippe, bevor sie den Ort hergerichtet haben.

"Renovieren ist billiger als wegräumen", sagt er und grinst. Vielleicht ist es auch eine Art, den englischen Anspruch zu zementieren auf einem Kontinent, der keinem gehört. Noch keinem. Aber das Gerangel hat schon längst begonnen.

Adrenalinjunkies und Wissenschaftler

Es wird ja immer irrer am Ende der Welt. Alles mögliche tummelt sich im Eis: Umweltschützer, japanische Walfänger, Wissenschaftler, Adrenalinjunkies. Die Extremsportlerin Evelyne Binsack kam am 28. Dezember 2007 am Südpol an. Aufgebrochen war sie in der Schweiz, sie hatte 27.000 Kilometer in 454 Tagen zurückgelegt. 25.000 Kilometer auf dem Fahrrad, 1200 Kilometer auf Skiern, den Rest zu Fuß: Mit 2,5 Millionen Schritten durch die Antarktis.

Sie machen Formationssprünge über dem Südpol, Gewaltmärsche bei 50 Grad unter null, Marathons im ewigen Eis. Und die Touristen: 1992 waren es 6000, 2006 dann 30.000.

Allein ist man hier nur noch selten.

"Aber sie haben die Walfänger verjagt", sagt Atkinson. Mehr als 3000 Wale sind hier in der Bucht erlegt worden. Ihre Knochen liegen noch heute am Strand, weiß und ausgebleicht. Und auch wenn jeder Stiefelabdruck im Schnee zur Pinguinfalle werden kann, ohne die Touristen könnte man das Erbe dieses Ortes nicht bewahren, sagt Atkinson. Und Wissenschaft macht auch Dreck.

Die amerikanische Polarstation McMurdo galt jahrelang als größte Mülldeponie der Antarktis, bis 1972 gab es dort sogar einen Atomreaktor. Die Russen sollen den 3623 Meter tiefen Vostok-Bohrkern mit Petroleum aufgefüllt haben. Doch seit Touristen kommen, müssen sie aufräumen, vorbei sind die Zeiten, als man den Müll einfach auf die nächste Eisscholle legte.

"Das ist übrigens der meistfotografierte Pinguin der Antarktis", sagt Rick Atkinson und zeigt hinunter auf ein Tier am Eingang der Hütte. Da liegt er, einen fußbreit entfernt nur von all den Gummistiefeln, die täglich an ihm vorbeischlappen. Der Pinguin brütet. Über ihm knattert der Union Jack im Wind.

Sie haben in den letzten Jahren untersucht, wie das ist mit Mensch und Tier. Deswegen ist auch die hintere Hälfte der Insel für Touristen gesperrt. Keine wissenschaftliche Arbeit sei das, sagt Atkinson, aber eine Untersuchung. Sie zählen Nester und Eier. Herausgekommen ist, dass auf der Inselseite, auf der Menschen erlaubt sind, mehr Pinguine brüten.

"Erstaunlich, nicht? Wir vermuten, dass die Menschen die Raubmöwen vertrieben. Raubmöwen lieben Pinguineier." So ist das also, der Pinguin geht dahin, wo der Mensch ist.

Dass jetzt in einem fort irgendwelche Schiffe irgendwelche Eisberge rammen, ist eine andere Sache. Nach dem Untergang des Kreuzfahrtschiffs Explorer im November ging die Diskussion los. Mittlerweile sei der Öko-Tourismus die größte Gefahr für den Südkontinent, sagen Umweltschützer.

Rick Atkinson sagt: "Old boat, bad luck." Im Shop ist jetzt die Hölle los und Atkinson geht zum Briefkasten, hält die Klappe auf, Postkarten fallen hinein, die Leute mögen das.

Die Explorer war der Pionier des Antarktis-Tourismus, noch wisse niemand, was passiert sei. Vielleicht ein growler: solides Eis, glatt wie Glas, hart wie Stein, durchsichtig und tief im Wasser. Wenn so etwas herumschwimmt bei Wellengang, kann man es leicht übersehen. Viel wichtiger sei, dass sich alle an die selbst auferlegten Regeln halten, freiwillig, weil ja keiner hier die Einhaltung der Gesetze kontrollieren kann, sagt Atkinson.

Manchmal fliegen Wissenschaftler über Touristengruppen, um zu sehen, ob nicht mehr an Land sind als erlaubt. Aber was, wenn einer sich nicht daran hält?

Im Wendekreis des Pinguins

Immer öfter kommen Privatyachten, da führt Frauchen schon mal ihren Hund Gassi mitten in einer Pinguinkolonie.

"Ich bin gespannt, wann die ersten chinesischen Schiffe kommen", sagt Atkinson, der vor der Hütte steht wie eine Statue.

Dann fragt ihn eine Frau: "Vermissen Sie nicht die Farben hier im Eis?"- "Aber es gibt hier doch viel Farbe", sagt er und zeigt in bläuliche Gletscher, auf weiße Berggipfel. Es gibt Süßwassereis und von Solekanälen durchzogenes Meereis, Inlandeis, das von 200.000 Jahre alten Schneefällen herrührt, Schelfeis, Pfannkucheneis, Plankton im halbflüssigen Eisbrei und bräunliche Algen.

Keine Farbe? Was soll man hier vermissen?

Es ist eher andersherum, er vermisst die Antarktis, wenn er nicht hier ist. "Aber Eis ist wie Eiscreme, es braucht Minusgrade. Die hat es aber immer öfter nicht mehr. Dann geht es schnell." Atkinson schaut am Union Jack vorbei und sagt, dass man früher die Berge dort hinten nicht sehen konnte, weil der Gletscher höher war. Jetzt können sie die Berge sehen.

Die Gletscher fließen nur so weg. Gerade in der Westantarktis sei der Klimawandel offensichtlich, das ganze Ökosystem sei hier im Wanken. Das wolle man den Menschen mitgeben, jeder Tourist müsse Botschafter werden für den Schutz der Erde.

"Man kann nur hoffen, dass der Kontinent groß genug ist, um das zu überstehen", sagt er, geht am meistfotografierten Pinguin der Antarktis vorbei, zu den Booten und kümmert sich um das Wesentliche: "Ah, da kommt ja die Wäsche."

Informationen

Die nächsten 13-tägigen Expeditionskreuzfahrten von Hurtigruten in die Antarktis finden wieder ab November statt: Linienflug nach Buenos Aires, Charterflug nach Ushuaia. Weiter mit dem Schiff: Drake Passage, Deception Island, Neumayer- und Lemaire-Kanal, Paradise Bay, Port Lockroy, Half Moon und Cuverville Island; anschließend Rückreise nach Deutschland. Preis inklusive Flug ab 3730 Euro pro Person, www.hurtigruten.de

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