Süddeutsche Zeitung

Plöckenpass:An der Grenze

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Timau gehört zwar zu Italien, gesprochen wird aber ein deutscher Dialekt. Im Ort erinnert eine Museums-Initiative an den Gebirgskrieg.

Von Carlos Collado Seidel

Von Udine kommend, diesem allzu unbekannten alten Städtchen des Friaul mit seien Straßencafés, dem quirligen Leben in den engen Straßen und den prachtvollen Palazzi in Sichtweite der Alpen, ziehen die Autoschlangen über die Tauernautobahn nach Norden. Auf Höhe von Tolmezzo führt indes eine Straße den Karnischen Alpen entgegen und zum Plöckenpass hinauf. Fernab der Touristenströme geht die Fahrt durch stille Dörfer in eine Gegend, in denen sich seit Jahren nicht zu viel verändert zu haben scheint. Wie im kleinen, menschenleeren Gasthaus am Straßenrand von Timau. Hier steht immer noch eine Jukebox an der Wand, in der die Vinylplatten darauf warten, in vergangene Zeiten zu entführen.

Timau ist ein abgeschiedener Ort mit gerade einmal 300 Einwohnern. Er liegt am nördlichen Ende der nordöstlichsten Region Italiens, Friaul-Julisch Venetien. Gesprochen wird dort vorwiegend ein Kärntner Dialekt, in dem der Ort "Tischlbong" und auf Hochdeutsch Tischelwang genannt wird. Im Friaul heißt er indes Tamau. So kommen die verschiedenen Kulturen zum Ausdruck, die in dieser Gegend die Zeiten nebeneinander überstanden haben. Die Wirtin spricht wie der Großteil der Timauer den alten Kärntner Dialekt und freut sich über den unverhofften Besuch. Denn es kommen nicht viele Fahrzeuge vorbei.

Timau ist aber nicht nur ein entrückter Ort, sondern auch ein Ort der Erinnerung an die Gebirgskämpfe im Ersten Weltkrieg. Vor einem beflaggten Haus stehen eine Kanone und kniehohe Geschosse: Es ist das Museo della Grande Guerra - wie der Erste Weltkrieg in Italien noch immer genannt wird, als Ausdruck für einen Krieg, der alles bis dahin Vorstellbare übertraf. Vor vier Jahrzehnten wurde das Museum durch eine Initiative des Ortes begründet. Hinter den Exponaten, den Uniformen, Schautafeln, Fotos, einem mit einem Munitionsband geladenen Maschinengewehr, den Fetzen stählerner Geschosse, steht das Schicksal der Soldaten und das der Familien, die in der Heimat um die Rückkehr der Männer bangten.

Die Exponate erzählen vom Alltag oben in den Bergen: Von in Felsnischen eingeigelten Soldaten, die dem Wind, der gleißenden Sonne, der Eiseskälte und den Schneestürmen ausgesetzt waren. Sie sprechen von den Erfrierungen, dem Hunger und dem Durst. Und von erbitterten Kämpfen auf dem ausgesetzten Gestein, davon, wie die Soldaten Tag und Nacht dem marternden Geräusch der Presslufthämmer des Gegners ausgesetzt waren. Denn diese trieben Meter um Meter einen Stollen unter die Stellung, um diese herauszusprengen.

Und sie berichten von den Portatrici, den Frauen, die mit schweren Körben auf dem Rücken auf die Gipfel gingen und die Soldaten versorgten. Ihnen ist auf dem Hauptplatz des Ortes ein Denkmal gewidmet worden. "Berge in Flammen" hat Luis Trenker diese Zeit melodramatisch getauft und damit ein Heldenepos begründet, welches der Realität nur wenig entsprach. Im Ossarium, dem Beinhaus einer Kapelle am Ortsrand von Timau, ruhen 1764 Getötete, darunter 73 österreichische Soldaten.

Hier befindet sich auch der Einstieg zu den Stellungen auf den Bergen. Verbindungsstollen wurden einst ins Gestein geschlagen, dazu Gräben angelegt, die auf den Kämmen verliefen, die Stellungen zwischen Freikofel und Pal Grande wurden teils in Beton gegossen. Freiwillige kümmern sich heute um die Erhaltung und Pflege dieser Bauten, wollen damit dem Vergessen entgegenwirken.

Von Timau aus schlängelt sich die Straße zum Plöckenpass hinauf, eine Wegstrecke, die einst, vor dem Bau dieser Straße, nur mühsam zu erreichen war. Auf der Passhöhe beginnt eine Wanderroute zwischen dem Cellon oder Frischenkofel und dem Kleinen Pal; es ist ein Freilichtmuseum, das von einem ehemaligen Oberst des österreichischen Heeres begründet wurde mit dem Ziel: "Wege, die einst Fronten trennten, sollen heute verbinden." Und auch hier sind es wieder Freiwillige, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Teile der Stellungen zur erhalten, als Mahnmal gegen den Krieg.

Unten auf der Kärntner Seite in Kötschach findet man ein weiteres Museum. Auch hier liegen die stummen Zeugen des Krieges in den Vitrinen. Darunter zwei verblichene, von Kugeln zerschossene Stahlhelme, ein italienischer und ein österreichischer, dicht beieinander. Zwei Museen, die die gleiche Geschichte erzählen und sich dem Frieden verpflichtet fühlen, nur wenige Kilometer voneinander entfernt. Dazwischen eine nur mehr von Hinweisschildern markierte Grenze. Heute wird der Karnische Höhenweg auch Friedensweg genannt. Genutzt wird er stark. Mountainbiker rauschen die alten Versorgungswege entlang.

Timau: www.museograndeguerratimau.com; Kötschach: www.dolomitenfreunde.at/museum

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SZ vom 04.02.2021
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