Nachhaltigkeit im Urlaub:Wer möchte zwischen Plastiktüten schwimmen?

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Niemand, und doch ist der Müll von Touristen ein großes Problem am Mittelmeer. Dabei könnten Hoteliers und Urlauber viel gegen die Plastikflut tun.

Von Ingrid Brunner

Jeder kennt solche Bilder: Im Wasser treiben Plastikflaschen, dünne Kunststofftüten, Ohrenstäbchen, am Strand liegen Zigarettenstummel, Tampons und Fast-Food-Verpackungen im Sand. Solche Einwegartikel machen den Großteil des Mülls aus, der an den Stränden gefunden wird. Eine oft eklige Hinterlassenschaft. Wer möchte schon zwischen Plastiktüten schwimmen, seinen Liegestuhl im Müll aufstellen? "Outdoorfans und naturverbundene Urlauber wünschen sich eine plastikfreie Natur. Unsere Gäste reagieren da sehr empfindlich", sagt Eva Machill-Linnenberg von Wikinger Reisen. Empfindlich reagieren bedeutet: Sie kommen nicht wieder, buchen ein anderes, hoffentlich sauberes Ziel.

Schon jetzt reinigen viele Hoteliers frühmorgens, lange bevor die ersten Jogger unterwegs sind, ihren Strandabschnitt. Doch das ist nicht die Lösung für ein dringliches ökologisches Problem, das für viele Gastgeber mittlerweile ein existenzielles ist. Schon jetzt beziffert der WWF den finanziellen Schaden, den allein die Tourismusindustrie in den Mittelmeerländern durch Plastikverschmutzung erleidet, auf 268 Millionen Euro pro Jahr. Das Leid, das zudem Meeresbewohnern wie Schildkröten oder auch Vögeln zugefügt wird, ist ohnehin nicht bezifferbar.

Teil des Problems, Teil der Lösung

Was also können Hotels und Übernachtungsbetriebe tun, um der Flut an Plastikmüll Herr zu werden? Dieser Frage geht eine Studie des World Wide Fund For Nature Deutschland - kurz WWF - nach, die im November 2019 veröffentlicht und von Wikinger Reisen finanziert wurde. Ihr Titel: "Stopp die Plastikflut - Wirksame Maßnahmen zur Vermeidung von Einwegplastik und Verpackung im Hotel". Die Hauptautoren Martina von Münchhausen und Bernhard Bauske konzentrieren sich dabei auf die Länder des Mittelmeers. Zum einen, weil pro Jahr mehr als eine halbe Million Tonnen Plastik aus den Anrainerstaaten ins Mittelmeer gelangen. Dies entspreche laut WWF einem Einwurf von 33 800 Plastikflaschen pro Minute.

Zum anderen, weil dort jährlich 200 Millionen Menschen ihre Ferien verbringen. So erfreulich und wünschenswert steigende Gästezahlen für die Gastgeber sein mögen - mit ihnen verschärft sich das Abfallproblem: Um durchschnittlich ein Drittel steigt das Müllaufkommen in der Hochsaison in den Mittelmeerländern; auf Mallorca ist es während der Saison fast doppelt so viel, auf einigen griechischen Inseln sogar dreimal so viel Müll wie in den Wintermonaten. Das Gesetz, das Einwegplastik auf Mallorca weitgehend verbieten wird, tritt erst am 1. Januar 2021 in Kraft.

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Die Urlauber mit ihren Erwartungen an Komfort in den Hotels und allgemein mit ihrem Konsumverhalten sind also Teil des Problems. Sie sollten nach Ansicht der Autoren auch Teil der Lösung sein. Um Wege aus dem Mülldilemma zu finden, führten die Studienautoren in Mallorca, Nizza, Rimini, Zakynthos und Korfu Interviews mit Hotelbetreibern, Experten von NGOs, den lokalen und regionalen Verwaltungen und Abfallentsorgungsunternehmen.

Die Frage lautete: Wie lassen sich alle Hotelbereiche - Küche, Zimmer, Bar, Außenbereiche, Pool und Mitarbeiterräume - weitgehend frei von Einwegartikeln halten? Das Ergebnis lässt sich zusammenfassen unter dem nicht mehr ganz neuen Motto "Reduce, Reuse, Recycle" - sprich, Kunststoffe sollten am besten ganz vermieden, zumindest aber mehrmals verwendet oder recycelt werden.

Damit so wenig wie möglich im Meer landet, haben die Studienautoren eine Reihe von Maßnahmen formuliert. Etwa eine Abfallinventur, Mülltrennung, Recycling. Am Anfang sollte der richtige Einkauf stehen: Anstelle von Einwegverpackungen sollten die Hotels Behälter verwenden, die man zurückgeben kann. Doch schon da beginnt das Problem. Der Handel hält weder Pfandcontainer bereit, geschweige denn Pfandflaschen. Dennoch, am Frühstücksbüffet setzen viele Häuser die Mehrwegidee schon gut um. Doch auf den Zimmern, so das Fazit der Interviews, gebe es Akzeptanzprobleme. "In gehobenen Hotels erwarten es viele Gäste, hochwertige Portionsfläschchen mit Duschgel, Shampoo und Bodylotion vorzufinden", sagt Machill-Linnenberg von Wikinger Reisen. Große Seifenspender an der Wand würden als mindere Qualität wahrgenommen. Auch auf das kostenlose Wasser in der Plastikflasche im Zimmer wollen viele nicht verzichten.

Reiseveranstalter sind da in der Pflicht. Wikinger bittet Gäste, von zu Hause Mehrwegbehältnisse mitzubringen. Auf seinen Südafrika-Reisen hat das Unternehmen nun Wasserspender in den Safarifahrzeugen - das sei eine Ersparnis von 200 000 Plastikflaschen jährlich.

Ist es fair, alles allein den Gastgebern aufzubürden?

Denn nach wie vor gilt die nachfüllbare Wasserflasche als effektivster Beitrag zur Müllvermeidung. "Viele Gäste misstrauen dem Trinkwasser in den Urlaubsorten", sagt Münchhausen. Doch vielerorts lasse sich das Leitungswasser problemlos trinken. Wo dies nicht möglich sei, sollten Hoteliers Wasseraufbereitungsanlagen oder Filteranlagen anschaffen, sagt Münchhausen. Aber nicht jeder habe die Mittel dazu. Bei den Interviews stellte sich heraus, dass der Verkauf von Wasserflaschen für viele Hotels eine wichtige Einnahmequelle ist.

Ist es fair, Nachhaltigkeitsbemühungen allein den Gastgebern aufzubürden? Wäre es nicht Aufgabe der Kommunen, für ein funktionierendes Müllmanagement zu sorgen? "Die Hotels allein können das nicht leisten", räumt Martina von Münchhausen ein. "Doch so lange eine Kreislaufwirtschaft noch nicht funktioniert, müssen wir an die Hotels appellieren, voranzugehen." Tatsächlich tue sich da viel. Während die öffentliche Hand versagt, schließen sich mancherorts Hotels zusammen, um ihr privates Müllmanagement auf die Beine zu stellen.

"Die großen Reiseveranstalter sollten sich mit ihren Partnerhotels zusammenschließen", sagt Münchhausen - gemeinsam vorgetragene Forderungen, sei es an den Handel oder an die Kommunen, hätten viel mehr Aussicht auf Erfolg. Es gebe, sagt Münchhausen, viele engagierte Hotels mit guten Ideen. Aber wichtig sei es auch, die Gäste zu sensibilisieren. Reisende können einen Beitrag leisten: Wasserflasche und Einkaufsbeutel mitnehmen, den eigenen Müll vom Strand zurück ins Hotel tragen - und in Orten mit schwach entwickeltem Müllmanagement den Plastikmüll mit nach Hause nehmen.

"Der Wert einer Reise bemisst sich nicht an der Zahl der angebotenen Plastikfläschchen, sondern an einer abfallfreien Landschaft, an sauberem Wasser, Städten und Stränden", schreiben die Studienautoren. Womöglich ist das bald der neue Luxus.

© SZ vom 09.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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