Pisek in Südböhmen:Glänzende Zeiten am Fluss

Hier ist immer Waschtag, auch Touristen dürfen ran - doch die Suche nach Gold macht schon lange nicht mehr reich.

Jochen Müssig

Jaromir ruft: "Schau mal her! Was ist das denn?" Sein Kollege Karel zuckt mit den Achseln, kickt derb gegen den Klotz und antwortet: "Weiß nicht. Komm, mach weiter!" So oder so ähnlich hat es sich der Überlieferung nach zugetragen. Jaromir und Karel, zwei Straßenbauarbeiter, stießen bei Písek, nahe der heutigen Europastraße 49, auf einen zwei Kilogramm schweren Klumpen Gold, den sie aber nicht als solchen erkannten.

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(Foto: SZ-Grafik: Michael Mainka)

Der Fund ereignete sich kurz vor dem Schwarzen Freitag des 13. Mai 1927, als der Kurssturz an der Berliner Börse schlechte Zeiten einläutete, die schließlich im Schwarzen Freitag des 25. Oktober 1929 ihren Höhepunkt hatten: Der Zusammenbruch der US-amerikanischen Börse löste bekanntlich die große Weltwirtschaftskrise aus.

Dieser Tage riecht es wieder nach Weltwirtschaftskrise. Man wähnt sich in ähnlich schlechten Zeiten, wie sie Jaromir und Karel schon erlebt haben. Banker zocken wie Banditen, und Millionen spielen bei diesem realen Monopoly offensichtlich keine Rolle mehr. Verhandelt und überwiesen werden nur noch Milliarden: für Finanzspritzen an unglaubwürdig gewordene Banken, für fragwürdige Konjunkturpakete und horrende Bürgschaften.

Wie menschlich wirkt dagegen die Geschichte von Jaromir und Karel: Einfache Leute finden Gold, viel Gold - erkennen es aber nicht. Trotz der Tragik schöpft man in dieser Gegend ein wenig Hoffnung. Wenn sonst nichts geht, vielleicht geht doch Gold suchen - und finden? In Písek.

Nur schade, dass in dem südböhmischen Städtchen derzeit keine größeren Straßenbauarbeiten stattfinden und der Fluss Otava häufig bis in den März hinein zugefroren ist. Die Otava führt schließlich goldhaltigen Sand mit sich - Písek heißt auf Tschechisch Sand.

Fast alle europäischen Flüsse weisen zwar Spuren von Gold auf, das meist in Form sehr dünner Blättchen im Gestein eingelagert ist, durch Verwitterungsprozesse freigesetzt und dann weggeschwemmt wird. Aber die Otava ist dennoch etwas Besonderes.

Glänzende Zeiten am Fluss

Schon im achten Jahrhundert wuschen die Kelten dort Gold. Im Laufe der Jahrhunderte machte das Edelmetall die ganze Gegend reich. Und der Blick in die Wirtschaftspresse zeigt: Der Goldpreis stieg im Schnitt seit 1970 um rund 600 Prozent. Wenn das kein Anreiz ist, in Písek sein Glück zu versuchen?

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(Foto: SZ-Grafik: Michael Mainka)

Jirí Fröhlich bremst die Hoffnung schnell, durch Goldfunde dem drohenden Dreiklang von Jammer, Not und Elend zu entkommen. Fröhlich ist Archäologe und sagt: "Seit dem Mittelalter sind die Goldadern ausgebeutet und die Schächte geschlossen. Die Otava führt zwar weiterhin Gold mit sich, aber die Partikel sind inzwischen minimal: Für ein einziges Gramm Gold werden 17.000 der winzigen Goldkörnchen benötigt." Am besten ginge es noch am oberen Flusslauf und nach Hochwasser, fügt er hinzu.

Fröhlich spricht aus Erfahrung.

Der 63-Jährige ist in dem 30.000-Einwohner-Städtchen Písek geboren und versuchte es seit seiner Kindheit immer wieder, kam aber nie über eine Gesamtmenge von einem halben Gramm pro Tag hinaus. "Ein schlechter Schnitt", sagt er. "Aber wer seinen Spaß haben will, muss am ersten Samstag im August zum Goldwaschen kommen. Dann stellen sich Dutzende Goldsucher mit hochgekrempelten Hosen in die Otava, um am Goldwäschewettbewerb teilzunehmen." Optimismus kann in Krisenzeiten sicher nicht schaden.

Nur Ungeschickte verlieren ihr Gold

Gleiches gilt für den Spaß: Eine Pfanne zum Waschen kann man gegen eine kleine Gebühr ausleihen, und den geborgenen Goldertrag darf man behalten.

"Zunächst müssen die in der Pfanne schwimmenden wertlosen Partikel ausgeschwemmt werden", erklärt Jirí Fröhlich. Besonders für den Einsteiger gelte es dabei, die Pfanne mit ruhiger Hand in sanft kreisende Bewegung zu versetzen, bis nur noch ein Gemisch aus schweren Sandkörnern, Mineralien und hoffentlich auch Gold übrigbleibt. Das Metall ist knapp 19 Mal schwerer als Wasser und wird deshalb nur von ganz Ungeschickten ausgeschüttet.

Die Touristen-Attraktion des Goldwaschens gibt es seit 1992. Aber reich ist dabei noch keiner geworden. Die Tatsache, dass erst 17.000 Goldkörnchen ein Gramm pures Gold ergeben, lässt krisengeschüttelte moderne Goldwäscher schnell vom Träumen abkommen und in die Realität eintreten, etwa durch die schwere Holztüre des Práchenské Muzeum von Písek, das sich seiner Goldausstellung rühmt.

Wenn man schon kaum etwas findet, möchte man doch wenigstens etwas sehen, etwa von Jaromirs und Karels Goldklumpen. Museumsdirektor Jirí Prásek erklärt zunächst, dass Mitte der 1960er Jahre Reste der einst für den Wohlstand so wichtigen Goldmühlen gefunden wurden, die an die 700 Jahre alt sein müssen. Das sei einzigartig in Europa.

Auf Gold erbaut

Dabei wurde Quarz zerstückelt und so lange gemahlen, bis Gold übrigblieb. Jirí Fröhlich, der ebenfalls für das Museum arbeitet, schrieb darüber das Buch: "Die Goldmühlen der Goldenen Berge". Demnach war der Höhepunkt des Píseker Goldrauschs im 14. und 15. Jahrhundert. Doch schon Ende des 13. Jahrhunderts entstand in der Nähe der heutigen Stadt eine Burg, in deren Resten heute das Museum untergebracht ist.

Gold war auch die Ursache für die Stadtgründung 1245, für die Münzprägeanstalt, für die Überwachung des Verkehrs auf dem Goldenen Steig, Zlatástezka, dem Handelsweg von Passau nach Prag, und schließlich für den königlichen Akt von 1256: Písek wurde in Windeseile zur Königsstadt erhoben. Práseks Geschichtsstunde mutet an wie die Beschreibung einer mittelalterlichen Hausse.

Und bei all dem heutigen Bankensumpf würde man jetzt gerne an der Zeitmaschine drehen, sich als Goldwäscher verdingen und einer freudigen Zukunft entgegensehen. Über den Goldklumpen will der Direktor offensichtlich noch nicht sprechen.

Glänzende Zeiten am Fluss

"Aus der goldenen Zeit stammt auch die um 1265 erbaute Brücke über die Otava, die älteste noch erhaltene Steinbrücke Böhmens", sagt er. Nördlich der Alpen gibt es in Europa nur eine ältere erhaltene Steinbrücke, und zwar die in Regensburg. Die Brücke von Písek ist mit 111 Metern Länge und gut sechs Metern Breite nur unwesentlich kleiner als das Weltkulturerbe von Regensburg. Die Hausse hielt lange an.

Die Stadt Písek war sogar so reich, dass sie 1509 dem König die Burg samt ihrem Besitz abkaufen konnte. Aber dann folgte auch im Böhmen des 16. Jahrhunderts die Baisse. Im Dreißigjährigen Krieg wechselte die Stadt mehrfach die Herrscher und sie verschuldete sich - was einem heutzutage sehr bekannt vorkommt.

"Es dauerte Jahrzehnte, bis sich Písek wieder erholte", sagt der Museumsdirektor. "Und es war erneut das Gold, das der Stadt wieder auf die Beine half."

Die Goldausstellung gibt es seit 1976. Seitdem stillen mehr als 30.000 Besucher jährlich ihr Interesse nach Gold. Es zählt zu den ersten Metallen, die verarbeitet wurden, auch weil es als Element in der Natur vorkommt und nicht erst aufwendig isoliert werden muss.

"Seit alters her steht Gold für Wohlstand, Wertbeständigkeit und Sicherheit", sagt Jirí Prásek. "Aber seit jeher führte die Gier nach Gold auch zu Kriegen, Plünderungen und Eroberungszügen." In Krisenzeiten stellt Gold eine enorme Konstante dar. Das gilt auch anno 2009 noch. Goldmünzen und Barrengold sind von Zentralbanken als Währungsreserve eingelagert, insgesamt etwa 20 Prozent der verfügbaren 153.000 Tonnen Gold weltweit.

Allerdings decken diese Reserven die heutigen Währungen längst nicht mehr. Allein deshalb könnte einem schon angst und bange werden. Der Zwei-Kilo-Brocken von Jaromir und Karel, den ihr Vorarbeiter schließlich doch erkannte und pflichtbewusst meldete, wurde im Lauf der Zeit, besonders im Lauf des Zweiten Weltkriegs, immer kleiner.

Viele wollten etwas davon, Teile wurde abgebrochen, verschwanden. Drei größere Stücke des ehemals Ganzen sind heute im Prager Nationalmuseum zu bestaunen. Ein Stückchen ist in Písek verblieben. Museumsdirektor Prásek kennt exakt die Daten: "46 mal 31Millimeter groß, 17,2 Gramm schwer."

Der Wert heute: gerade mal rund zehn Euro.

Jaromir und Karel würden immerhin jeweils noch vier Pilsner Urquell dafür bekommen.

Informationen

Anreise: Mit der Bahn von München in 6,5 Stunden nach Písek für etwa 60 Euro. Goldgräbermuseum: Práchenské Muzeum, Velké Námestí 114, Písek, Tel.: 00420/382201111, www.prachenskemuzeum.cz, täglich außer Montag von 9-18 Uhr geöffnet. Weitere Auskünfte: Information Centre, Heydukova 97, Písek, Tel.: 00420/382213592, www.pisek.eu

Die nächste Station der Reportagen-Reise liegt in der böhmischen Bierstadt Pilsen.

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