Peru:Auf dem Pfad des Geldes nach Machu Picchu

Peru: Nach drei Tagen erreichen die Wanderer die Ruinenstadt Machu Picchu. Die einheimischen Träger sind da bereits unterwegs zu den nächsten Gästen.

Nach drei Tagen erreichen die Wanderer die Ruinenstadt Machu Picchu. Die einheimischen Träger sind da bereits unterwegs zu den nächsten Gästen.

(Foto: Navè Orgad/Alamy/mauritius images)

Der Inkatrail in Peru ist so beliebt, dass der Zugang beschränkt wird. Doch ist das ein Ausweg?

Von Anja Martin

Eduardo Mamani eilt durch seinen Heimatort, klopft an Türen. "Bist du dabei? Kannst du weg?", fragt er auf Quechua. Der Chefträger stellt sein Team zusammen. 26 Rücken braucht er für 14 Touristen. Er ist dafür verantwortlich, dass beim Tourstart keiner fehlt, denn sonst darf die ganze Gruppe nicht loslaufen. Deshalb geht er persönlich zu ihnen. Von übermorgen an werden sie Zelte, Schlafsäcke, Reis, Fleisch, Gemüse, Kaffee, Koka-Tee, Töpfe, Tische, Stühle, eine Gasflasche und eine mobile Toilette tragen - vier Tage lang schwer bepackt über Pässe und Brücken, Steine und Stufen, bis nach Machu Picchu.

Die Männer arbeiten auf dem Inkatrail, einem der berühmtesten Wanderwege Südamerikas. 85 000 Menschen begehen ihn pro Jahr. Ein Klassiker und für viele etwas, das sie einmal in ihrem Leben gemacht haben wollen. Für die Träger eine Möglichkeit, ihr Auskommen aufzubessern - Mal für Mal. Denn keiner ist fest angestellt. Die meisten sind Bauern aus der Gegend. Und sie sind arm.

Während Eduardo klopft, lässt 20 Kilometer Luftlinie entfernt, in der Lobby eines Hotels in Cusco, ein Tourist nach dem anderen sein Gepäck auf die Waage sinken: Mist, immer noch zu schwer! Wieder hinauf aufs Zimmer, auspacken, umschichten, ein neuer Versuch. In die Tasche kommt das, was die Träger den Touristen abnehmen - und das darf bei diesem Anbieter nicht mehr wiegen als sechs Kilogramm. Zwei Drittel gehen schon für Schlafsack und Aufblasmatratze drauf. Braucht man das Insektenspray wirklich? Die Sonnencreme? Was ist wichtiger: Regenhose oder Schuhe zum Wechseln? Plötzlich scheint es nicht mehr albern zu sein, wenn Wanderer ihre Zahnbürsten absägen. Schließlich bringt einen die Höhe schon in Cusco außer Puste. Wie soll das erst auf den Stufen zum Dead Woman's Pass auf 4215 Metern werden? Zumindest beruhigend, dass der Name nichts mit Überforderung zu tun hat, sondern mit der Silhouette des Passes, die an eine liegende Frau erinnert.

Es gibt nicht den einen Inkatrail, es gibt viele. Quer durch die Anden, von Ecuador bis Argentinien. Aber es gibt nur den einen, über den alle sprechen: teils noch mit Steinen gepflastert, samt Treppen und Tunneln, vier Tage, 44 Kilometer und mehr als 70 000 Schritte lang. Das Ziel: Machu Picchu. Wofür der Inkatrail einmal angelegt wurde, wissen die Archäologen genauso wenig, wie sie die Ursprünge der vergessenen Stadt selbst kennen. Die Guides, die ja ohne Geschichten nicht auskommen, behaupten, dass hier die Könige der Inka pilgerten, der Adel der Gesellschaft auf mystischen Pfaden wandelte und Boten mit Nachrichten ihres Weges eilten.

Die Lamas sicherten den Inka die Macht

Der Weg führt durch mehrere Klimazonen, bis hinauf ins Felsige und hinunter ins Tropische. Mit spektakulären Ausblicken in Täler und zu Gletschern, vorbei an Ruinen und Terrassen, vor denen keine Reisebusse stehen, weil nicht einmal eine Straße dorthin führt. Nur Wanderer können sie betreten. Und die Lamas. Sie lieben es, auf den Terrassen zu grasen, springen von Stufe zu Stufe. Keiner muss sie anbinden oder füttern. Früher vergrößerten die Inkas mit diesen Tieren ihr Reich - sie trugen alles und sorgten gleichzeitig für Fleisch und Wolle. Ohne sie wäre das Volk nie so einflussreich geworden - und heute würden ihre Stätten zuwuchern ohne die Tiere, die hier als Rasenmäher eingesetzt werden.

An Bahnkilometer 82 im Heiligen Tal treffen sich Träger und Touristen zum ersten Mal. Es ist der offizielle Startpunkt der Tour. Ein paar Häuser, Bahngleise, ein Parkplatz. Frauen in bunten Röcken, Ponchos und Tragetüchern eilen auf die angehenden Inkatrail-Bezwinger zu, offerieren alles, was man in den nächsten vier Tagen nicht entbehren will: Schokolade, Getränke, Chips, Strickmützen, Taschentücher. Und Gummipuffer für die Wanderstöcke: "Hier! Die brauchst du!" Mit wachem Auge hat eine Verkäuferin entdeckt, dass die Spitzen mancher Stöcke keinen Schutz haben. Ein Trick, oder? Aber nein, es stimmt: Auf machen Abschnitten verlangen die Behörden Puffer, weil die Metallspitzen dem teils noch original steinbelegten Weg schaden könnten.

Das Regelwerk rund um den Wanderweg, auf dem man früher mal einfach so loslaufen konnte, wird beständig länger. Keiner darf den Weg mehr ohne Guide gehen. Zelte werden nur auf markierten Plätzen errichtet. Tickets gibt es nur über Reiseagenturen. Träger dürfen nicht mehr als 20 Kilo schultern. Abfall muss zurückgetragen werden. An Checkpoints wird gewogen, ob die Mülltüten auch schwerer werden. Spülmittel und Seifen müssen biologisch abbaubar sein. Der ganze Trail ist inzwischen durchorganisiert.

"Porter, porter!", klingt es auf dem Inkatrail andauernd. Denn sobald die schwer bepackten Träger daherkommen, sollen Touristen andere warnen und Platz machen, um sie nicht aus dem Rhythmus zu bringen. Touristen und Träger sind zwar auf demselben Weg unterwegs, aber im Grunde kreuzen sich ihre Wege nur. Die Träger sind überall die Ersten und verlassen den Ort als Letzte - am Übernachtungsplatz wie beim Mittagessen. Ihre Tage auf dem Trail sehen anders aus als die der Touristen, die bei mehrgängigen Menüs am Tisch in einem Zelt sitzen, in Igluzelten schlafen, morgens einen Koka-Tee gebracht bekommen plus eine Schale mit warmem Wasser zum Waschen.

500 Menschen am Tag

Die Träger sind für ihr Essen selbst zuständig. Meist gibt es Reis, oft pur. Sie haben häufig keine Schlafsäcke, übernachten zusammen im Ess- oder Küchenzelt oder in einem Unterstand, falls auf dem Campingplatz vorhanden. Kleidung bekommen sie von den besseren Touranbietern gestellt: eine Regenjacke in Unternehmensfarben, Rucksäcke, Wanderschuhe. Trotzdem sieht man auf dem Trail ein buntes Sortiment an Kleidung und Schuhwerk. Entweder die Firmenkollektion ist schon verschlissen oder weiterverkauft. Oder die Begleiter tragen die abgetragenen Schuhe von Touristen, manche wenige auch tatsächlich Sandalen aus Autoreifen.

Seit 2004 ist die Zahl der Besucher auf dem Inkatrail limitiert. Nur 500 Menschen dürfen am Tag losgehen - inklusive Guides, Köchen, Trägern. Rund 40 Prozent der Plätze sind für Touristen reserviert. In der Hochsaison muss man ein halbes Jahr vorher buchen. Das Argument für die Limitierung war, dass dies zum Erhalt des Pfads nötig sei und die Umwelt geschützt werden müsse. Sicher wahr, denn in der Hochsaison waren teils mehr als tausend Wanderer auf dem Weg unterwegs, die Müll hinterließen und die Ruinen beschädigten, während die Träger die Natur zu Feuerholz machten. Auch die Unesco mahnte bereits eindringlich.

Die Beschränkung nützt der Umwelt. Aber auch den Anbietern, an denen keiner mehr vorbeikommt

Allerdings nutzt die Änderung nicht nur der Umwelt, sondern auch den Touranbietern, an denen jetzt keiner mehr vorbeikommt. Auch der Staat profitiert vom Trail: 75 Euro bekommt er von den Veranstaltern pro Tourist. Auch für die Träger und die Guides müssen die Veranstalter Geld abführen, wenn auch nur ein Sechstel des Touristenpreises. Nach Abzug der rund 38 Euro für die Machu-Picchu-Eintrittskarte teilen sich das Kultusministerium und die für Naturschutzgebiete zuständige Behörde Sernanp die Einnahmen, hochgerechnet bleiben mehr als eine Million Euro für jede Partei.

Wer den Inkatrail mit offenen Augen und Ohren geht, hat schnell den Eindruck: Das dürfte ein gutes Geschäft sein - so wenig, wie am Wanderweg getan wird: Pflastersteine werden nicht ersetzt, Toiletten nur ausnahmsweise errichtet, geschweige denn geputzt. Träger müssen Kocher und Gasflaschen mittragen, weil es keine Kochstationen gibt. Vor ein paar Monaten ersetzten die Träger selbst ein Stück Weg, an dem es einen Erdrutsch gegeben hatte. Zu ihrer eigenen Sicherheit, weil von den Behörden nichts unternommen wurde. Die Träger sind organisiert, beraten sich regelmäßig, versuchen ihre Interessen durchzusetzen. Meist geht es um mehr Geld. Dafür haben sie vor ein paar Monaten sogar einen Checkpoint besetzt und aus Protest den Durchgang blockiert. Laut Gesetz müssen Träger inzwischen mindestens elf Euro am Tag bekommen, rund 45 Euro pro Trip. Manche Anbieter zahlen freiwillig mehr, andere aber auch ungerührt weniger.

Ein Business machen auch andere aus dem Weg. "Wir leben gut von den Touristen", sagt Antonia, die viel älter aussieht als die 53 Jahre, die sie ist. Aber ihr Gesicht strahlt. Füllig sitzt sie auf der Bank vor ihrer Hütte in Wayllabamba, an der direkt der Inkatrail vorbeiführt. Perfekt an einem Anstieg gelegen, wo sich die Touristen nach einer Pause sehnen. Und einem Softdrink. Und einem Toilettengang. Das Wasser in Plastikflaschen, das nur die Touristen kaufen, schwankt zwischen drei und zehn Soles, umgerechnet also zwischen 70 Cent und 2,50 Euro. Es wird immer teurer, je weiter hinauf man kommt.

Die Nachfahren der Inka haben hier schon gelebt, bevor der Nationalpark gegründet wurde und auch, als Hiram Bingham vor mehr als 100 Jahren Machu Picchu offiziell entdeckte. Man hat es nicht gewagt, sie umzuquartieren. Allerdings dürfen sie die Häuser, an denen sie nur ein Nutzungsrecht haben, nicht an Fremde weiterverkaufen; sie dürfen nur mit Steinen und Lehm bauen und müssen sich jeden Anbau genehmigen lassen. Mehr als vier Nutztiere zu halten, ist nicht erlaubt. Und die Felder dürfen nicht zu groß sein.

In Antonias niedriger Holzhütte flitzen Meerschweinchen durch die Küche - eine peruanischen Delikatesse, die irgendwann auf dem Spieß landet. Damit ihre Kinder eine vernünftige Bildung bekommen, haben sie und ihr Mann ein Zimmer in Urubamba angemietet, der nächsten Stadt, Luftlinie 20 Kilometer entfernt, denn der tägliche Schulweg wäre zu weit. Sie selbst aber bleibt, wo sie geboren ist. "Langweilig wird mir nie", sagt Antonia und meint damit nicht, dass sie ab und zu einen Kübel Chica für die Träger brauen und die Toilette putzen muss. Sondern, dass jeden Tag fünfhundert Menschen aus aller Welt vorbeischnaufen, was Unterhaltung verspricht.

Am vierten Tag frühmorgens drängen sich die Wanderer am Sonnentor, von dem aus man zum ersten Mal auf Machu Picchu hinunterschauen kann, eigentlich. Gespannt warten alle auf Löcher in der Wolkendecke. Da? Jetzt? Zeichnen sich Terrassen ab oder doch nicht? Wo genau soll sie denn liegen, die Stätte, die wir Wanderer von oben statt nur vom Kassenhäuschen aus sehen sollen. Unendlich zäh sitzen die Wolken im Tal. Das darf doch nicht wahr sein! Drei Tage hoch und runter für den spektakulären Blick, und jetzt lässt sich die Ruinen-Diva nicht blicken? Fürs Draufsicht-Erlebnis bei Sonnenaufgang ist es ohnehin zu spät, die Schlange am Checkpoint hat die Idee zunichtegemacht. Da kommt Bewegung in die graue Decke. Sie verzettelt sich in Schwaden, die ab und zu den Blick freigeben, zumindest teilweise. Länger haben die wenigsten Geduld, denn die besten Bilder für Machu Picchu-Selfies warten ohnehin am "Instagram Spot", innerhalb der Anlage - auch wenn dort jeder knipsen kann, also auch die frisch Geduschten, die in Betten geschlafen haben.

Den ganzen Morgen hat keiner "Porter!" gerufen. Denn zu der Zeit sitzen die Träger mit den ganzen dicken Rucksäcken schon im Zug, sie fahren zurück Richtung Cusco oder in ihre Dörfer. Noch vor Sonnenaufgang haben sie sich von der Gruppe getrennt und sind ins Tal hinabgestiegen, denn sie dürfen nur bestimmte Züge nehmen, die Porter Trains. Die anderen sind für Touristen reserviert. Und so sehen die, die so oft im Jahr den Weg Richtung Machu Picchu gehen, die umschwärmte Stätte am Ende nie. Stattdessen warten sie darauf, dass es bald wieder an ihrer Tür klopft.

Reiseinformationen

Anreise: z.B. mit Latam Airlines von Frankfurt nach Cusco, hin und zurück ab 1100 Euro, www.latam.com

Die Wanderung: Rund 200 Agenturen bieten Touren auf dem Inkatrail an. Seitdem nur 500 Personen pro Tag zugelassen sind, muss jeder Tourist beim Kulturministerium registriert werden, das geht nur über einen Reiseveranstalter. Neben dem klassischen Vier-Tages-Trip gibt es eine Zwei-Tages-Variante, bei der man auch durchs Sonnentor nach Machu Picchu gelangt. Dafür sind weitere 250 Plätze freigegeben.

Reisearrangement: Eine siebentägige Reise mit vier Tagen auf dem Inkatrail bietet der kanadische Anbieter G Adventures für 798 Euro an. Mit Besichtigungen im Heiligen Tal, dem Besuch einer Weberinnenkooperative und einem Restaurantprojekt vor dem Start der Wanderung, www.gadventures.com

Übernachtung: El Retablo, Cusco, ab 112 Euro fürs DZ mit Frühstück, www.elretablo.com

Weitere Auskünfte: www.peru.travel/de

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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