Peru:Bis zur Insel der strickenden Männer

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Peru ist tatsächlich Eldorado - für neugierige Reisende nämlich. Eine sechsteilige Schatzsuche in einem der vielseitigsten Länder der Erde.

Von Dominik Prantl

Eldorado, da hatten die gierigen Konquistadoren aus Europa ausnahmsweise mal recht, liegt tatsächlich irgendwo zwischen dem Amazonas und der Westküste Südamerika, in oder rund um das heutige Peru. Das sagenhafte Reich aus Gold ist aber keine Stadt mit glitzernden Palästen oder ein riesiger Tempel, und die Schätze sind auch kein Gold oder sonst etwas nach konquistadorischen Maßstäben Brauchbares. Es sind Erlebnisse - und Erkenntnisse.

1. Saure Fische

Liebe geht durch den Magen, das weiß jedes Kind, und das gilt auch für Peru. Nach der Tempel- und Kirchenhatz im 3400 Meter hoch gelegenen Touristentreffpunkt namens Cusco geht es deshalb gleich am zweiten Tag in die lokale Kochschule in einer Seitenstraße - und weiter für eine Stippvisite auf den Mercado Central San Pedro. Zwischen fetten Schweineärschen und mumifizierten Lama-Föten als Talisman erwirbt der Tourist im Schlepptau des Kochs ein paar profane Maniokwurzeln für die frittierten Maniokecken (Yuquitas a la huancaina), Zwiebeln für die in Zitronensaft kaltgegarte Forelle (Ceviche) und Paranüsse für die Pralinen (Chocotejas). Das Kochen selbst ist zwar mehr ein Zuhören, Anweisungen befolgen und Schnipseln. Dennoch fühlt man sich am Ende erhaben über jenes touristische Fußvolk, das Ceviche nur aus den überteuerten Restaurants der Hauptstraße kennt und ihren Pisco Sour noch nie selbst schütteln musste. Weil der Siegeszug von Food-Fotografen in Cusco wohl noch bevorsteht, bleibt als weitere Erkenntnis: Niemals von der optischen Gestaltung peruanischer Kochkurs-Kataloge abschrecken lassen! Das selbst Gekochte sieht viel besser aus.

2. Zu Gast bei Fremden

Der Inka-Trail zum Touristenmagneten Machu Picchu soll schon Monate im Voraus ausgebucht und voller Müll sein, zumindest steht das so in den Reiseführern. Genau wissen wir es nicht, denn wir wählen die Alternative, den Salkantay-Trek. Benannt ist er nach einem vergletscherten Sechstausender, der am zweiten Tag auf dem Weg über den 4600 Meter hoch gelegenen Salkantay-Pass rechts liegen gelassen wird. Wohnen kann der ambitionierte Geher während der Viertagestour bei lokalen Familien wie Flor und Edwin Espinoza Sotelo, die sich mit anderen Einheimischen entlang des Treks zu den Refugios Salkantay zusammengeschlossen haben. Flor scheint manchmal vom Erfolg ihrer eigenen Initiative überrascht zu sein; sie sagt jedenfalls: "Die Mundpropaganda ist überwältigend." Erst kürzlich haben sie ihre Gästeunterkunft in Soraypampa zu einer kleinen Lodge ausgebaut; wer vor zwei Jahren schon einmal dort war, erkennt sie kaum wieder. Es ist ein Beispiel dafür, wie Tourismus auch ohne multinationale Konzerne funktionieren kann. "Zur Hochsaison wie Weihnachten sind wir schon Monate im Voraus ausgebucht", sagt Flor. Das ist schön für ihre Familie, führt aber auch zu der zweiten Lektion, dass die Alternative zum Inka-Trail wohl schon bald keine Alternative mehr ist.

3. Komische Vögel

Nordöstlich von Machu Picchu - dazu sei an dieser Stelle nur gesagt, dass man die alte Inka-Stadt als Tourist einmal gesehen haben muss, und zwar: genau einmal - liegt der Manu Nationalpark, ein Regenwald-Reservat. Wer Glück hat, bekommt für die zwischen drei und acht Tage dauernde Tour einen wie David Livia zur Seite gestellt. David ist ein Typ, der zu vielem eine Meinung hat und sie dennoch keinem aufdrängen möchte. Der jeden Jaguar und jedes Wasserschwein mit bloßem Auge sieht und dennoch von einem eigenen Swarovski-Fernglas träumt. Der nie geflogen ist in seinem Leben, aber jeden Vogel kennt. Einer dieser Vögel ist der Hoatzin, ein krallenbewehrter Wiederkäuer mit Tauchgangqualitäten, dem sogar schon eine Verwandtschaft zum ausgestorbenen Dinovogel Archäopteryx angehängt wurde. Jedenfalls ist er eine schräge Laune der Evolution. Wegen seines strengen Geruchs nennen ihn die Menschen hier "Stinking Bird", sein Wert als Delikatesse hält sich arg in Grenzen. Geschicklichkeit dagegen ist nicht seine Sache, der komische Vogel stellt sich beim Flug über den Regenwaldtümpel an wie ein besoffenes Huhn (von der Landung ganz zu schweigen). Auch wenn man daraus die Erkenntnis ableiten könnte, dass Stinker mehr vom Leben haben, freut man sich abends in der kleinen Urwaldlodge doch sehr über die Dusche.

Vielsagende Mützen, junge Mumien und "ein schöner Berg"

4. Unter der Haube

Über den grenzüberschreitenden Titicacasee sagen die Peruaner, dass Titi auf peruanischem Boden liege und Caca (bedeutet genau das, was man vermutet) auf bolivianischem, wobei man in Bolivien den gleichen Witz erzählt, nur andersrum. Klar ist aber, dass der See auf 3810 Metern der höchste schiffbare der Erde ist und die schwimmenden Inseln aus Schilf ebenso zu Peru gehören wie die Isla Taquile, die Insel der strickenden Männer. Die Männer verstecken sich keineswegs für ihre Leidenschaft, und angeblich stricken sie ihre Mützen nicht nur für all die Touristen aus Australien, Arizona und Augsburg, sondern auch für den alltäglichen Bedarf. An der Mützen-Musterung lässt sich erkennen, wer ein Dorfchef ist und wer mal einer war, wer schon verheiratet ist und wer nicht. Heiraten darf als Stricker wiederum erst, wer die Maschen so eng setzen kann, dass kein Wasser mehr durch die Mütze sickert (wobei die Mütze angeblich erst durch das Fett der Haare richtig dichtet). Wer dann Nachwuchs in die Welt setzt, muss gleich weiterstricken: je eine Mütze in Form der trompetenförmigen Nationalblume Cantuta für jedes Kind. Auch sonst hat die abgeschiedene Insel dem Rest der Welt einiges voraus: Es gibt keine Hunde auf Taquile, und es braucht keine Polizei; der Arzt, so heißt es, leide an Unterbeschäftigung und sei deshalb meist auf dem Festland. Was bleibt, ist die nächste Lektion: Männer an die Masche!

5. Junge Mumien, alte Mädchen

Juanita liegt mitten in Arequipa, der schönsten Stadt Perus. Juanita ist eine junge Frau, eigentlich noch ein Mädchen, und sie wurde 1995 unterhalb des 6288 Meter hohen Ampato-Gipfels gefunden. Sie war schon damals mehr als 500 Jahre alt, denn Juanita ist ein sehr altes Mädchen, ein mumifiziertes Menschenopfer. Das - archäologisch betrachtet - peruanische Gegenstück zum in jeder Hinsicht weitaus älteren Ötzi ist heute noch im Museo Santuarios Andino in Arequipa zu sehen. Wer den großen Fehler begeht, nur einen einzigen Tag in Arequipa zu verbringen, sollte sich dieses Museum vornehmen, dazu das Kloster Santa Catalina - und das ganze durch einen Besuch in der Chocolaterie Chaqchao versüßen. Das Chaqchao dient nicht nur als Bio-Schokofabrik, sondern auch als Craftbier-Verkaufsstelle, Backpacker-Treffpunkt und Lehranstalt für Liebhaber von Kakaoprodukten. Es ist zwar nicht ganz klar, ob der Schokoladenkurs nur wegen des trendigen Themas oder doch auch wegen des feschen Chocolatiers so gut besucht ist, aber die Hauptbotschaft nimmt man mit: Echte Schokolade kommt mit den vier Zutaten Kakakobutter, Kakaomasse, Zucker und Milchpulver aus. Oder anders: Die meisten Produkte sind Mist!

Peru: SZ-Karte

SZ-Karte

6. Atemlos durch die Nacht

Direkt vor Arequipa ragen die zwei Vulkane Misti und Chachani in den meist wolkenlosen Himmel, wobei der Misti als Hausberg gilt und der Chachani als einer der am leichtesten zu besteigenden Sechstausender der Welt. Leicht ist freilich Definitionssache bei 6075 Metern, was immerhin 200 Meter mehr sind als beim Kilimandscharo. Wer die Höhe gut verträgt, kann sich vom Geländewagen-Parkplatz auf 5000 Metern innerhalb eines Tages rauf- und runterschnaufen. Wer die Höhe nicht verträgt, der leidet höllisch. Da hilft es dann auch wenig, sich für die Tour bei einem Bergführerbüro wie dem von Carlos Misto Zárate, 59, einzubuchen. Carlos' Vater hat das Unternehmen Carlos Zárate Adventure um 1970 gegründet und steigt im Alter von 94 Jahren immer noch auf Berge. "Die ganze Familie arbeitet im Unternehmen", sagt Carlos Zárate II. und meint weniger den zwölfjährigen Enkel Carlos als seinen Sohn, der natürlich auch Carlos heißt. Jedenfalls sind all die Carlos' Zárates von zwölf bis 94 Jahren der Meinung: "Der Chachani ist ein schöner Berg." So wirklich nachvollziehen kann man das nach einem stundenlangem Geröllhatscher durch Dunkelheit und dünne Luft nicht einmal, wenn man am Gipfelkreuz angekommen ist. Aber zumindest weiß man danach ganz sicher, dass auch ein einfaches Bett Eldorado sein kann.

Informationen

Anreise: Flüge über Madrid nach Lima für weniger als 700 Euro gibt es z.B. Air Europa. Die Buslinie Cruz del Sur ist für viele Individualtouristen die erste Wahl www.cruzdelsur.com.pe.

Kochschule: Die Kochschule Peruvian Cooking Classes in Cusco schlägt andere Anbieter preislich oft um Längen, Halbtageskurs 39 US-Dollar, www.peruviancookingclasses.pe.

Salkantay Trek: Der Trek erfordert allein wegen der Höhe bis auf 4600 Meter und Tagesetappen von bis zu 28 Kilometern eine gute körperliche Verfassung. Für Reisende mit kleinem Budget und ohne Zelt eignen sich die lokalen Anbieter von Refugios Salkantay (vier Tage für 170 US-Dollar), www.refugiossalkantay.com.

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