Patagonien:Kaiser Wilhelms Baumfriedhof

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Mit dem Katamaran in die Fjorde: Das unruhige Meer und das Krachen des Gletschers sorgen für Titanic-Stimmung, der Whisky wird mit Würfeln aus Gletschereis serviert. Reisende suchen hier nicht nur Stille, sondern auch Abenteuer.

Von Sabine Reuter

Plötzlich drosselt die Valparaiso den Motor und nimmt Geschwindigkeit zurück. Rund 180 Kilometer ist der schnittige, schnelle Katamaran mit 56 Passagieren an Bord von Puerto Chacabuco durch den Canal Moraledo gefahren, fünf Stunden lang durch eine faszinierende Fjordlandschaft mit hohen Bergen und dschungelartiger, üppiger grüner Vegetation.

Cristina Fernandez, Ehefrau des argentinischen Präsidenten Kirchner, am Gletscher Perito Moreno, Patagonien (Foto: Foto: dpa)

Wenn sich der tiefhängende Wolkenschleier über dem vom Wind aufgepeitschten Wasser liftet, tauchen im Hintergrund schneebedeckte Gipfel auf. Der Kapitän steuert scharf am Ufer entlang. Zur Überraschung der Passagiere öffnet sich eine kleine Bucht, ganz hinten stehen Holzhäuser, von Weitem sehen sie wie ein Wigwam aus.

In der Dämmerung sind Feuer und Fahnen schwenkende Gestalten zu erkennen. "Ein Begrüßungsritual der Indianer", erklärt Kitty Kossmann, Tochter deutscher Einwanderer, den Gästen.

Schneebedeckte Vulkane und deutsche Spuren

Einst siedelte der Stamm der Mapuche an den heißen Quellen. Mitte des 19. Jahrhunderts fingen deutsche Siedler an, das fruchtbare Land südlich des Bio-Bio-Flusses urbar zu machen. Sie rodeten die Wälder, betrieben Ackerbau und Viehzucht und vertrieben die Indianer. Viele verteidigten sich hartnäckig und schlossen später Frieden mit den weißen Eindringlingen.

Noch heute ist die Landschaft rund um Puerto Montt von beiden Kulturen geprägt. Holstein-Kühe weiden unter den schneebedeckten Vulkanen neben Mapuche-Farmen; indianische Gebetsfiguren stehen auf den Kinderspielplätzen; in den Telefonbüchern der Region sind spaltenweise deutsche Namen wie Schmidt, Bauer und Müller aufgelistet.

Von Rostock nach Chile

Kitty Kossmanns Vorfahren sind auch dabei. Der Vater ist erst nach dem Bau der Mauer von Rostock nach Chile ausgewandert. Auf einem Segeltörn entdeckte der deutsche Reeder vor 15 Jahren in der Bucht Dorita die Therme Puyuhuapi und eine etwas heruntergekommene Bungalowanlage.

Kossmann mochte das romantische Anwesen, das in den Nebelschwaden des heißen Thermalwassers so geheimnisvoll vor ihm lag. Er erkannte sogleich das touristische Potenzial dieser Weltabgeschiedenheit inmitten wild wuchernder, heilsamer Natur.

Der Deutsche machte sich an den Umbau der alten Hütten, nach dem Vorbild der grazilen Holzkirchen der Isla Chiloé. Unweit der Carretera Austral gelegen, der legendären Straße, die durch den Süden Chiles bis fast ans Ende von Patagonien führt, sollte ein unvergleichlicher Ort für Erholungssuchende entstehen, die nicht nur die Stille, sondern auch das Abenteuer suchen.

Eisige Gletscherwelt

Unweit entstand ein kleines Luxushotel inmitten der Urlandschaft Patagoniens. Heute gibt es im "Hotel und Spa Termas de Puyuhuapi" 33 Zimmer für 78 Gäste. Im nahen Nationalpark Queulat sind sie auf ihrem Abenteuertrip so gut wie unter sich und können Wander- und Biketouren mit Führer oder auf eigene Faust unternehmen.

Die wilden Bäche sind wie geschaffen für Canyoning und Flyfishing. Im warmen Fjordwasser beißen die Lachse zur Freude der Angler besonders gut. Die eigentliche Sehenswürdigkeit aber ist der "Hängende Gletscher", dessen gewaltige Eismassen über einen Bergkamm abkippen.

Entspannung wird zum Ritual

Im Informationszentrum des Naturwunders erfährt der Besucher, dass die Gletscherzunge 1878 noch bis 100 Meter ans Meer reichte. Die globale Klimaerwärmung hat auch den Ventisquero Colgantae zurückgedrängt. Heute bringt eine halbstündige Radtour ins Landesinnere die Schaulustigen zum Eis.

Puyuhuapi ist ein Ort der Kontraste. In den heißen Thermalquellen, unter einer lichten Glashalle gefasst, wird Entspannung zum Ritual. Wer nachts unter klarem Sternenhimmel in den drei Außenbecken untertaucht, spürt den Zauber dieser einsamen Oase besonders intensiv.

Dass Terme de Puyuhuapi nur über das Wasser zu erreichen ist, begeisterte den Schiffsbauer Kossmann ganz besonders. So ließ er schließlich einen Katamaran anfertigen, mit dem man all die vielen Fjorde und Buchten der Umgebung sparsam und schnell erreichen kann. Heute leitet Tochter Christine Kossmann das Unternehmen mit Namen "Patagonia Connection".

Das Kasier-Wilhelm-Tal als Dschungel

Im wilden Süden Chiles entlang der Carretera Austral zählten die Deutschen immer schon zu den Pionieren. Als nach der Revolution von 1848 in ihrer alten Heimat kein Platz mehr für sie war, wanderten die meisten nach Nord- und Südamerika aus.

Der deutsche Geologe Hans Steffen hatte von der chilenischen Regierung den Auftrag, im Süden des Landes nach Siedlungsmöglichkeiten zu forschen. Er entdeckte sie unter anderem im Valle Rio Emperador Guillermo, dem Kaiser-Wilhelm-Tal.

Einst war dieses von undurchdringlichem Dschungel überwuchert, heute sieht es mit verbrannten Stämmen und morschen Ästen wie ein Baumfriedhof aus - Viehzüchter und Ackerbauer haben den Wald gerodet.

Steffens Aufruf waren auch die vier deutschen Einwanderer gefolgt, die 1935 in Puerto Puyuhuapi mit ihrem Schiff landeten. Walther Hopperdietzel ist für Touristen aus der Bundesrepublik der interessanteste: Er gründete eine Teppichfabrik - wahrscheinlich aus Verzweiflung, denn die meiste Zeit des Jahres versinkt Puerto Puyuhuapi in Regen und Schlamm und ist für die Landwirtschaft nicht gerade ein idealer Platz.

Globalisierung in einem Nest

Heute betreibt sein Neffe Helmut Flack die "Fabrik", die so klein wie ein Wohnzimmer ist. Er bezieht die Wolle, die er von 15 Frauen in der häuslichen Fertigungshalle weben lässt, immer noch wie sein Onkel von den Schaffarmen in der Provinzhauptstadt Coyhaique. Aber verkauft werden die Teppiche, der Quadratmeter für 120 Euro, übers Internet in alle Welt.

Globalisierung in einem gottverlassenen Nest, in dem der Besucher in zehn Minuten alles Wesentliche gesehen hat. Die Einwohner von Puerto Puyuhuapi leben vom Fischfang und von der Lachszucht. Und weil an diesem Tag niemand auf der Straße ist, müssen die Männer wohl auf See sein.

Einige haben auch einen Job im Thermenhotel. Wären da nicht das Café Rossbach, das Helmut Flacks Mutter gehört, und die interessante Geschichte der Pioniere, der Besucher wüsste nicht, was er hier zu suchen hat.

Titanic-Stimmung auf dem Schlauchboot

Deshalb bricht der Katamaran alsbald zur Laguna Rafael und dem gleichnamigen Gletscher auf. Dieser ist nur ein winziges Stückchen vom riesigen patagonischen Inlandeis und das nördliche Gegenstück zu den Gletschern der Nachbarn im Nationalpark Los Glaciares im Süden Argentiniens.

Das Schiff nähert sich bis auf wenige hundert Meter der drei Kilometer breiten und 60 Meter hohen Wand aus blauem Eis. Noch können die Passagiere die gewaltigen Ausmaße nur mit dem Fernglas erkennen. Später steigen sie in Schlauchboote um, die Schwimmwesten festgezurrt.

Das unruhige Meer und das Krachen des kalbenden Gletschers, das immer deutlicher zu hören ist, lassen ein wenig Titanic-Stimmung aufkommen. Respektvoll hält der Kapitän Distanz zu den schwimmenden Eisbergen. Der Empfang bei der Rückkehr an Bord ist perfekt inszeniert: Der Whisky on the Rocks wird mit Würfeln originalgetreuen Gletschereises serviert.

© SZ vom 18. 1. 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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