Süddeutsche Zeitung

Italienische Kulturhauptstadt Parma:Ein Blick zurück, ein Blick nach vorne

Lesezeit: 3 min

Parma bleibt auch 2021 Italiens Kulturhauptstadt und behält für alle Veranstaltungen ihr Motto "Zeit" bei - mit der Pandemie hat es neue Bedeutung gewonnen.

Von Johanna Pfund

Wer durch Parma geht, kommt an Marie-Louise von Österreich nicht vorbei. An einer Hausfassade gegenüber des Palazzo della Pilotta flattert ein Banner, das auf eine Ausstellung über die Habsburgerin hinweist. Einige Schritte weiter lädt das Teatro Regio, das sie bauen ließ, zu einem Besuch ein. Viele Familien aus der Stadt haben dort ihren festen Platz und ihr Hinterzimmer, in dem man sich in den Pausen trifft, denn Musik ist in der Stadt, in der Giuseppe Verdi wirkte, Kulturgut für alle.

Im Palazzo della Pilotta, der von außen mehr einer Festung als einem Palast gleicht, befindet sich die Bibliothek, die Marie-Louise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Auch Krankenhäuser hat sie in ihrer Herrschaftszeit (1815 bis 1847) etabliert. Bis heute wird sie dafür als "gute Herzogin" geliebt. Den Erneuerungsschub, den Marie-Louise der Stadt gab, hat sich Parma auch als Kulturhauptstadt Italiens 2020 und 2021 verordnet. Mit einem ungeahnt aktuellen Motto: Zeit.

Die Corona-Pandemie hat die Pläne zerschlagen, Veranstaltungen müssen verschoben oder digitalisiert werden. Soziale und kulturelle Teilhabe werden ins Virtuelle verlagert. "Unsere Wahrnehmung des Konzepts Zeit hat sich stark geändert", erzählt Kulturreferent Michele Guerra bei einem Gespräch. "Wir waren im Frühjahr eingesperrt in unsere Häuser, aber wir haben immer weiter gearbeitet." Guerra denkt über ein anderes Motto nach: "La cultura che cura" - die Kultur, die heilt.

In der Tat hat sich Parma immer wieder neu erfunden. Zu Recht ist man zwar stolz auf die Kultur des Essens, auf Schinken und Käse, die in der Luft an den Abhängen des Apennins reifen. Doch seit der Zeit der Römer, die mit der Via Emilia die bis heute wichtige Verbindungsstraße zwischen Rimini und Piacenza bauten, hinterließen die jeweiligen Herrscher immer herausragende Kulturdenkmäler, die jedoch immer wieder von Neuem abgelöst wurden.

Eines ist das Baptisterium, ein achteckiges Wunder aus dem 12. Jahrhundert, direkt neben der Kathedrale, aber separat gelegen, ein Sinnbild dafür, dass ziviles und religiöses Leben in Parma schon früh auseinandergehalten wurden. Bildhauer Benedetto Antelami, der für die Kathedrale die berühmte Skulptur der Kreuzabnahme Christi geschaffen hat, gestaltete auch die Monatsbilder, die rundum an den Wänden des Baptisteriums laufen.

Sie schildern, wie man in Parma wirtschaftete. Das Keltern des Weins ist zu sehen, das Schlachten der Schweine im Winter. Den Januar vertritt der zweigesichtige Janus, der zurückblickt in die Vergangenheit und zugleich voraus in die Zukunft.

Was einmal neu war, wird alt. Das mussten auch die Familie der Farnese, aus der Papst Paul III. stammte, feststellen. Sie schuf den Komplex des Palazzo della Pilotta. Das Theater im Palast war seinerzeit Avantgarde. "Es war einzigartig, die Vorwegnahme des Operntheaters", erzählt Stadtführerin Sara Dallacasagrande. Sogar Seeschlachten, natürlich mit dem Herzog als Hauptdarsteller, fanden in dem mit Holz getäfelten Theater statt. Und doch war irgendwann die Zeit dieses riesigen Theaters vorbei: Herzogin Marie-Louise, die einstige Gattin Napoleons, ließ als Alternative das Teatro Regio errichten. Das wirkt heute wieder aus der Zeit gefallen, aber unerbittlich aktuell ist die Sonnenuhr, die Marie-Louise an der Fassade des Palazzo del Governatore anbringen ließ.

Wie die Habsburgerin, so stellte sich auch Parma als Kulturhauptstadt Italiens die Frage, wohin man sich entwickeln will. Ein erster Schritt zur Erneuerung war das Logo. Sollte man das "P" für Parma in der Schriftart darstellen, die Giambattista Bodoni hier entwickelte und die im 18. Jahrhundert in Europa wegweisend wurde? 2015, als Parma von der Unesco in den Rang einer Kreativstadt der Gastronomie erhoben wurde, hatte der kürzlich gestorbene Designer Franco Maria Ricci diese Schriftart für das Logo verwendet.

Parma entschied sich aber für den zeitgenössischen Entwurf eines deutschen Designers, ein glattes, schwarzes "P" mit gefülltem Halbrund. "Das hat heftige Diskussionen in der Stadt ausgelöst", erzählt Dallacasagrande. Unstrittig war zumindest die Farbe, die das "P" begleitet: Das Gelb war immer die Farbe der Herrscher Parmas. So schaut das Logo zugleich zurück und auch nach vorne, wie der Gott Janus im Baptisterium.

Im Rückblick auf das erste Jahr als Kulturhauptstadt wird Kulturreferent Guerra nachdenklich. "Das Programm ist das gleiche geblieben. Nur wir sind anders." Ihrem Komponisten Giuseppe Verdi konnte die Stadt mit der Reihe "Verdi im Park" immerhin einige Veranstaltungen widmen. Die Fornasetti-Ausstellung im Palazzo della Pilotta wurde eröffnet; die Schau "Hospitale", die Rückschau in die Geschichte und zugleich Vorschau war, konnte weitgehend stattfinden. Zum Glück, denn eines ist Guerra wichtig: Jeder Bürger sollte regelmäßig die Chance haben, an einem kulturellen Ereignis teilzunehmen.

Und wenn die Nationalgalerie im Palazzo della Pilotta geöffnet hat, können die Einwohner die Ikone der Stadt bewundern, die auch schon Tickets der Alitalia geziert hat: die "Türkische Sklavin" des Malers Parmigianino. Die Freude an diesem Gemälde hat im Parma die Zeit überdauert.

www.parma2020.it

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5159223
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 30.12.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.