Jazzband in Paris:Ü80-Party

Francois Mayer
Dixieland Seniors

Sicher die coolste Seniorenband von Paris: die Dixieland Seniors.

(Foto: privat)

Die "Dixieland Seniors" treten in einem winzigen Pariser Club auf. Manche ihrer Mitglieder musizieren schon seit den Vierzigerjahren miteinander.

Von Evelyn Pschak von Rebay, Paris

Er sagt den Satz vermutlich nicht zum ersten Mal. Aber der Witz, der eigentlich gar keiner ist, ist immer noch so gut, dass das Publikum im Jazzkeller Le Petit Journal in Paris ihn lachend goutiert. Der nächste Song, den sie spielen würden, erklärt der Posaunist François Mayer, stamme vom Komponisten Irving Berlin, "I lost my heart in Dixieland". "Wir mögen ihn in unserem Orchester besonders gerne, hat er doch bis ins hohe Alter von 98 Jahren komponiert - das lässt uns natürlich auch noch ein wenig Hoffnung".

Mayer ist 95 Jahre alt, hat aber mehr als genug Puste für einen dreistündigen Auftritt. Auch der Rest der Band, der Swing-Feeling hinaus in die Pariser Nacht trägt, wird dem Namen der Band gerecht: "Dixieland Seniors" nennen sich die Musiker, da passt der Song von Irving Berlin doch gleich doppelt.

Dixieland-Musik entstand, als weiße Musiker New-Orleans-Jazz nachahmten. An diese Musikrichtung der 1920er Jahre haben Mayer und seine Truppe ihr Herz verloren. Der Autodidakt spielt im Tail-gate-Posaunenstil. Der entwickelte sich, als Jazzbands Anfang des 20. Jahrhunderts zur Konzertwerbung auf offenen Wägen spielend durch die Straßen fuhren. Ganz hinten, wo die Wagenklappe - im Englischen "tail gate" - heruntergelassen war, konnte der Posaunist seinen Posaunenzug ausführen, ohne die Bandkollegen zu stören. "Das waren Laienmusiker", erläutert Mayer: "Um die Noten richtig zu spielen, begannen sie den Ton ein wenig zu tief und arbeiteten sich dann hinauf, bis sie den Ton genau richtig erwischten." Auch Mayer liebt diese Glissandi.

Dixieland Seniors, Paris

Jugendstilglas, dunkles Holz, federnder, tiefroter Teppich: Die Dixieland-Seniors treten in dem winzigen Keller-Club Le Petit Journal auf.

(Foto: Evelyn Pschak von Rebay)

Gespielt wird in einem winzigen Keller-Club, der etwa 60 Zuhörer fasst. Seit 1971 gibt es hier Live-Jazz. Stars aus Frankreich sind in dem Club bereits aufgetreten, etwa der Chansonnier und Jazz-Gitarrist Sacha Distel, aber auch internationale Jazzgrößen wie der Bebop-Schlagzeuger Kenny Clarke. Mehr Platz hatten die allerdings auch nicht - wirbt doch schon die Club-Broschüre mit legendärer "So-nah-am-Genie-wie-nie"-Enge: "Hier verspricht die Nähe zwischen Musikern und Publikum Abende voller Austausch", steht da zu lesen. Und wirklich: Sobald Mayer seinen Posaunenzug ganz ausfährt, bohrt sich sein Schalltrichter schon in die Publikumsgruppe am nächstgelegenen Tisch, wo inmitten der Gäste sowieso Mayers Whisky-Cola-Glas für die Erfrischung zwischen den Stücken steht. Nur mit einer "gorgée de whisky", einem Hauch Alkohol, betont er. Sonst leide die Performance.

Und schließlich steht der 1925 geborene Pariser ja nicht allein auf der Bühne, sondern mit seinen Dixieland Seniors. Sechs weitere Musiker bestreiten den Abend mit dem 95-Jährigen, die übrigen fünf Männer tragen wie Mayer rote Hosenträger, rote Fliege, manche sogar rote Socken. Die einzige Frau, am Banjo, trägt einen roten Schal. Sie würden an einem ausgewogenen Geschlechterverhältnis arbeiten, beteuert Mayer am Mikrofon in einem gekonnten Mittelding aus Seufzer und Schmunzeln: "Ich gebe aber zu, da ist noch Luft nach oben."

Die roten Accessoires der Musikeroutfits verweisen auf die Farben des Studienjahrs der Elitehochschule École polytechnique - im Französischen einfach X genannt -, an der Mayer 1945 sein Ingenieursstudium begann - und eine Jazz-Band mitgründete.

Eine ganze Menge geschichtsschreibender Franzosen befinden sich unter den Absolventen der Hochschule. Darunter allein drei französische Präsidenten, zum Beispiel Valéry Giscard d'Estaing, den Mayer einen Freund nannte. Mayer machte Karriere als Ingenieur. Damals blieb dem Familienvater keine Zeit, die Posaune herauszuholen. Doch als 1995 der 50. Jahrestag des Studienbeginns anstand, wurde die damalige Studenten-Combo gebeten, zu den Feierlichkeiten den alten Jazz erklingen zu lassen. Von acht Mitgliedern hätten sechs sich wieder zusammengetan, erinnert sich der Pariser: "Und es hat so gut geklappt, dass wir beschlossen, weiterzumachen." Als Dixieland Seniors, waren doch alle inzwischen in den Siebzigern. Und natürlich, weil das Wort Dixieland ein "X" im Namen trägt, so wie die Ingenieursschule.

Seit 1997 spielt die Band in der Bar, die einen besonderen Charme hat

1996 erhalten die Jazz-Senioren ihre Chance im Petit Journal: "Ein Angebot, in der Berliner Philharmonie zu spielen, hätte uns auch nicht mehr erfreuen können", so erzählt Mayer von den Anfängen. Seit 1997 spielt die Band regelmäßig in dieser Bar, die einen eigenen Charme hat: Jugendstilglas, dunkles Holz, federnder, tiefroter Teppich. François Mayer, Mitbegründer und Bandleader der Gruppe, ist inzwischen der letzte Polytechniker der Originalformation von 1946.

Manchmal scheiden Mitglieder aus, weil es ihnen zu anstrengend wird. Oder sie sterben, beziehungsweise schließen sich "Louis Armstrong und Sidney Bechet im Musikerparadies an", wie es die Jazzer auf der Hülle ihres 2021 erschienenen fünften Albums ausdrücken. Aber es kommen neue hinzu, etwa der französische Klarinettist Alain Marquet, Jahrgang 1942, den Mayer sich erst gar nicht anzufragen traute. "Genauso gut hätte man mir vorschlagen können, Roger Federer zu fragen, ob er nicht mit mir mal Tennis in Wimbledon spielen würde", witzelt Mayer und wirft dabei theatralisch die Arme hoch. Doch Marquet sagte zu.

Und nun spielt Lead-Trompeter Daniel Pélissier also mit Alain Marquet ein Call-and-Response, wie das charakteristische Ruf-Antwort-Muster im Jazz genannt wird: Marquets Klarinette gibt ein melodisches Motiv vor, das klingt mitunter wie eine Frage. Pélissier antwortet mit seiner Trompete. Die anderen Musiker nicken beifällig im Takt, bis auch sie wieder einsetzen: Philippe Jamet am Schlagzeug, Sandrik de Davrichewy am Klavier, das Ehepaar Hélène und Marc Chevaucherie an Banjo (sie) und Tuba (er).

Ab und zu, so erzählt Mayer, schaue Daniel Barda bei den Proben vorbei, ein Jugendfreund Pélissers - und einer der wichtigsten Jazzposaunisten Frankreichs. Er kam anfangs, um die Band mit Ratschlägen zu unterstützen, erinnert sich François Mayer. "Also fragte ich ihn - als Autodidakt an der Posaune - ob es Sinn mache, in meinem Alter noch mit dem Unterricht anzufangen." Als Barda das bejahte, habe er ihn sofort als Lehrer verpflichtet. "Und er hat meine Art zu spielen von Grund auf verändert." So viele Fortschritte habe er gemacht, vor allem im Alter zwischen 80 und 86 Jahren. "Wenn man schon etwas älter ist", kokettiert er, "und alles eigentlich schlechter wird, ob Augenlicht oder Bewegungsapparat, und es dann eine Sache gibt, in der man plötzlich besser wird - das heitert ganz schön auf!"

Jeden zweiten Mittwoch des Monats findet im Le Petit Journal ein Konzert der Dixieland Seniors statt, das nächste am 8. September - einen Tag vor dem 96. Geburtstag von François Mayer. Le Petit Journal, 71 Boulevard Saint-Michel, Beginn 21 Uhr, der Eintritt ist frei. Reservierung unter Tel.: 0033-1 43 26 28 5

https://www.facebook.com/Le-Petit-Journal-Jazz-Club-101592104876434/

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