Paris fürchtet um Prachtstraße:Oh, Champs-Élysées

"Das könnte selbstmörderisch sein": Die schönste Avenue der Welt ist die teuerste Einkaufsstraße in Europa, doch das gefällt den Parisern überhaupt nicht. Sie befürchten nun den Ausverkauf der Seele der Champs-Élysées.

Michael Kläsgen, Paris

Klamotten, Klamotten, Klamotten, die Champs-Élysées rauf und runter. Ja, dazwischen auch ein paar Kinos, Kosmetika, die Showrooms von Renault, Peugeot, Mercedes und Toyota, Bank-Filialen und Schnell-Restaurants. Sonst nur Klamotten: Zara, H&M, Gap, Célio.

Also bei weitem nicht die edlen Marken, abgesehen von Louis Vuitton, der Gelddruckmaschine des französischen Luxus-Konzerns LVMH, der seinen Flaggschiff-Laden 2005 auf eben dem Boulevard öffnete, den manche Franzosen in ironischer Bescheidenheit "die schönste Avenue der Welt" nennen.

Jetzt darf sich die Avenue des Champs-Élysées auch wieder die teuerste Einkaufs-Meile Europas nennen, ergab eine Studie der Immobilien-Profis von Cushman & Wakefield, die jedes Jahr die Mietpreise in den Metropolen dieser Welt vergleicht. Entlang der zehnspurigen Fahrbahn und den endlos breiten Trottoirs zwischen dem Rond-Point des Champs-Élysées und dem Triumphbogen liegt der Durchschnittspreis bei 7364 Euro pro Quadratmeter.

Damit hat sich die Allee den Titel von der Londoner New Bond Street zurückerobert. Doch wer nun ein stolzes "Cocorico" des gallischen Hahns erwartet, sieht sich enttäuscht.

Der Stadt Paris ist die Entwicklung gar nicht recht. "Die Preissteigerung birgt große Gefahren und könnte selbstmörderisch sein", sagt eine Sprecherin. "Nur noch die ganz großen internationalen Marken können sich den Luxus leisten, hier ein Vorzeige-Geschäft zu eröffnen, von dem sie wissen, dass sie damit kein Geld verdienen werden." Die rot-grüne Stadtverwaltung fürchtet eine "Banalisierung" des Boulevards, den Ausverkauf der Seele einer Prachtallee, die auf André Le Nôtre, den genialen Landschaftsgärtner Ludwig XIV. zurückgeht.

Das Staatsunternehmen musste passen

"Außer den paar verbliebenen Kinos und der Geschichte gibt es für Pariser kaum noch einen Grund, sich auf die Champs-Élysées zu begeben." Tatsächlich sieht man im Straßenbild vor allem Touristen, eine halbe Million sollen es jeden Tag sein.

Unten in der Metrostation Franklin D. Roosevelt steht der Name des Halts (oder was auch immer) neuerdings auch in Chinesisch, Arabisch, Japanisch und Russisch.

Zu teuer für den Staat

Der Bartender im Fouquet's kommt auch jeden Tag von weit her, aus einem der Vororte von Paris. Das Fouquet's ist eines von zwei, drei teureren Restaurants auf dem Boulevard. Nicolas Sarkozy feierte hier 2007 im Kreise reicher Gönner hinter verschlossenen Türen seinen Wahlsieg, was ihm noch heute nachgetragen wird.

Die Post weiter unten hat Anfang des Jahres zu gemacht - zu teuer. Der Vertrag lief aus, statt 15.000 Euro Miete verlangten die Eigentümer mehr als 100.000 Euro pro Monat. Da musste das Staatsunternehmen passen. Am gleichen Ort in dem ornamentierten Haussmann-Gebäude verkauft jetzt eine internationale Kette russischen Ursprungs Tee. Im Moment allerdings scheint niemand Bedarf danach zu haben. Am Ende der Meile gegenüber von Adidas hat sich eine vierreihige Schlange vor dem neuen Geschäft von Abercrombie & Fitch (A&F) gebildet.

Das US-Modelabel macht aber im Gegensatz zu allen anderen auf exklusiv, ein wenig so, wie es anfangs auch Louis Vuitton tat: Es werden nur eine Hand voll Kunden, meist Kinder mit ihren Eltern oder Teenager, durch das hohe gusseiserne Tor gelassen. Aber wohin eigentlich? Egal. Der Weg führt über einen mit zarten Bäumchen gesäumten Kiespfad, den zwei gegelte Jungs unablässig mit Rechen glattstreichen, um eine Ecke in das geheimnisvolle Innere von A&F.

"Mehr Besucher als der Eiffelturm"

Diesen Herbst lässt sich noch eine US-Bekleidungskette auf den Champs-Élysées nieder: Banana Republic. Ihr folgt voraussichtlich die Jeans-Marke Levi's. Jedes dritte Geschäft ist inzwischen ein Modeladen. Die Traditionswahrer sehen das Limit erreicht. Dazu gehört auch der konservative Bürgermeister François Lebel, in dessen Bezirk sich die Shopping-Meile befindet. Er argwöhnt über die sich herausbildende Monokultur, die der Prachtstraße ihren "besonderen Charakter" nehme. Viel könne die Politik nicht machen.

Die Stadt hat zwar ein Vorkaufsrecht und sie kann auch Pachtverträge übernehmen. Aber die Immobilienpreise sind so hoch, dass sie diese Rechte nur im Ausnahmefall ausüben kann. Die Entscheidung trifft eine Zulassungskommission der Departement-Verwaltung.

Nach langwierigen juristischen Scherereien mit der Stadtverwaltung obsiegten dort am Ende all die H&Ms. Bei den Touristen kommt das durchaus an. "Die Kosmetik-Kette Séphora", sagt einer der Cushman-Experten, "hat in auf den Champs-Élysées inzwischen mehr Besucher als der Eiffelturm."

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