Ozeanriese muss durchs Nadelöhr:Ein Schiff wird kommen

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Der Kreuzfahrtdampfer "Aidadiva" schippert von Papenburg nach Emden - diesmal kam Europa glimpflich davon.

Arne Boecker

Es gibt viele Möglichkeiten, ein Kreuzfahrtschiff zu begleiten, wenn es aus der Papenburger Meyer-Werft hinaus auf die Ems schwimmt. Anfänger nehmen das Auto - und stecken schnell im Stau.

Auskenner rollen mit dem Rad auf dem Deichweg nebenher.

Der Superprofi Heiner Unkel, Optiker aus Leer, umschwirrt den Kreuzfahrer mit dem Sportflugzeug. Er fotografiert durch ein Seitenfenster, das der Fahrtwind offenhält. Unkel muss nur aufpassen, dass er dem NDR-Hubschrauber nicht in die Quere kommt, aus dessen Kanzel - mehrfach gesichert - ein Kameramann hängt.

Ostfriesland ist flach und still. Die Kühe, die auf fetten Weiden stehen, können weit gucken und kriegen dabei nicht viel zu sehen. Zweimal im Jahr aber drängen zwischen Papenburg und Emden Zehntausende Menschen an das Ufer der Ems.

Dann schickt die Meyer-Werft ein neues Schiff Richtung Nordsee. Am Samstag ist es die Aidadiva. Für solche Pötte ist die Ems eigentlich nicht geeignet. Also müssen sich die Leute von der Meyer-Werft eine Menge einfallen lassen, damit die Schaulust der Massen nicht in Schadenfreude umschlägt.

Dass bei der Überfahrt der Norwegian Pearl im November halb Europa im Dunkeln lag, weil sicherheitshalber eine Stromleitung abgeschaltet wurde, war schlimm genug.

Marina Goman und Jürgen Konopka sind per Wohnmobil aus Bochum angereist. Sie hatten selbst mal ein Neun-Meter-Schiff, mussten das Hobby aber aufgeben. "Mir wird auf See immer übel", sagt Marina Goman.

Heute reißen die Bochumer richtig Kilometer runter, um Schiffe aus sicherer Entfernung zu betrachten. In Papenburg haben sie sich an der Werftschleuse postiert. Am Ufer stehen Hunderte Wohnmobile in Fünferreihen, 20.000 Menschen machen das Ausdocken zum Volksfest.

45.000 Tonnen schwer und 32 Meter breit ist die Aidadiva. Das bedeutet, dass die Schleuse an jeder Seite nur sechseinhalb Meter Platz lässt.

Wenn das klappt, so mag mancher denken, dann geht auch ein Kamel durchs Nadelöhr!

Aber Zentimeter um Zentimeter gleitet das Schiff durch den Engpass, beblitzt aus Unmengen von Fotoapparaten. Von Bord dröhnt "Time to say goodbye". Wer die Aidadiva an diesem Tag bis Emden begleitet, hört die Schmonzette bestimmt hundert Mal, nur gelegentlich abgelöst von Rod Stewarts "Sailing" und Hans Albers' "La Paloma".

Marina Goman und Jürgen Konopka sind nicht mehr dabei; Montag ist ihr Urlaub zu Ende.

Rückwärts durch das Nadelöhr

Schon seit 1795 baut Meyer in Papenburg Schiffe, damals Segler aus Holz. Mitte der achtziger Jahre stieg die Werft ins Kreuzfahrt-Geschäft ein. Von den trubeligen Ems-Passagen profitiert die gesamte Region. Auf Tage sind Hotels, Restaurants und Wohnmobil-Stellplätze ausgebucht, viele verbinden das Spektakel mit einem Kurzurlaub. Im vergangenen Jahr drängten zudem fast 300.000 Schiffs-Freunde in das Besucherzentrum, das Meyer gebaut hat.

Renate und Jan Haake aus Neumünster haben sich genau überlegt, wo sie der Aidadiva begegnen wollen. Weil die Ems in Mark Mitling eine Schleife zieht, sammeln sich hier die meisten Fotografen. Jan Haake ist Ship-Spotter.

Mit der Kamera jagen diese Leute außergewöhnliche Schiffe. "Zuletzt war die Queen Mary in Hamburg dran", erinnert sich Jan Haake, während er die Kamera vorbereitet. Jahrelang ist er auf Handelsschiffen gefahren. "Das steckt einfach drin", erklärt Renate Haake das Hobby ihres Mannes.

Mit einer dicken Decke über den Beinen hat sie es sich in einem Campingstuhl bequem gemacht. Auch sie hält eine kleine Digitalkamera schussbereit.

Jetzt haben die Haakes aber keine Zeit mehr zum Reden, von den 13 Decks der Aidadiva lugen die obersten schon übers Land. Dann biegt sie um die Ecke, begrüßt von den Resten ein paar Böllern, die vom Silvesterfeuerwerk übriggeblieben sind. Vorneweg der Schlepper Bremerhaven, hintendran der Schlepper Wolf.

Die gut 250 Meter lange Aidadiva selbst fährt rückwärts, weil sie auf diese Weise besser zu manövrieren ist. An Bord liegt das Kommando bei der Emdener Lotsenbrüderschaft. Ihre Aufgabe ist vergleichbar mit der, einen 30-Tonner-Brummi rückwärts über einen Waldweg zu rangieren, mit je einem Jeep vorn und hinten.

Mit dem roten Kussmund, der ihren Bug lachen lässt, zählt die Aidadiva zu jenen Schiffen, die Jüngere auf Kreuzfahrt locken sollen.

Reeder und Reiseveranstalter wollen weg vom betulichen Traumschiff, hin zum legeren, sportlichen Disko-Dampfer. Scheint zu klappen: Im vergangenen Jahr gingen erstmals mehr als eine Million Deutsche an Bord. Die Papenburger Meyer-Werft ist bis 2012 ausgelastet.

Für den Bau der Aidadiva, der zweieinhalb Jahre dauerte, hat Meyer 315 Millionen Euro bekommen. Der Kussmund soll Ende April Palma de Mallorca ansteuern und dann vor allem im westlichen Mittelmeer kreuzen.

In Weener mussten sie eine Eisenbrücke demontieren, damit das Schiff durchpasst. Auch hier ballen sich auf den Deichen Tausende. Ein bemaltes Bettlaken wünscht der Aidadiva "allzeit gute Fahrt".

Johann Gorgen aus Darmstadt hat das Stativ so ausgerichtet, dass er das Schiff bei der Brückendurchfahrt aufnehmen kann. Auch er ist Ship-Spotter. Früher hat Gorgen Flugzeuge fotografiert, dann aber auf Schiffe umgeschult. "Die Pötte haben sooo viel Kraft und sind dabei doch sehr elegant", schwärmt er.

Wenn die Meyer-Werft ein Schiff ausdockt, lässt sie das Gandersumer Sperrwerk schließen, um die Ems zu stauen; für die Aidadiva musste der Fluss zudem vertieft werden, damit das Schiff wirklich immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel hat. Bagger holten 100.000 Kubikmeter Sand und Schlick aus dem Fluss.

So erreicht die Aidadiva am Sonntagmorgen ohne Zwischenfall Emden. Sogar in der Nacht haben Menschen auf den Deichen gestanden, um das hell erleuchtete Schiff an sich vorüberziehen zu lassen.

In Emden schauen die Techniker noch mal tief in den Schiffsbauch, bevor sie den Kreuzfahrer auf Testfahrt in die Nordsee schicken. Ship-Spotter freuen sich schon auf den Herbst: Dann dockt Meyer die Norwegian Gem aus.

© SZ vom 12.3.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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