Städteurlaub in Oslo:Schlafen unter Strom

Städteurlaub in Oslo: Wie vor einer Bühne sitzen die Gäste an der Bar in der ehemaligen Schalterhalle der Elektrizitätszentrale, heute das Hotel Sommerro.

Wie vor einer Bühne sitzen die Gäste an der Bar in der ehemaligen Schalterhalle der Elektrizitätszentrale, heute das Hotel Sommerro.

(Foto: Francisco Nogueira)

Wo früher die Elektrizität der Stadt Oslo verwaltet wurde, kann man jetzt in einem Art-déco-Hotel logieren. Mit dem Gebäude verbinden viele Einheimische besondere Erinnerungen.

Von Evelyn Pschak von Rebay, Oslo

"Die letzten Wochen waren für mich wie Geschichtsunterricht", resümiert Dominic Gorham seine Erlebnisse als Empfangsherr im Sommerro House, der jüngsten Hotelneueröffnung Oslos. Der gebürtige Brite hält sich viel in der Lobby auf, damit er immer ein Auge hat auf die automatische Glasschiebetür, durch die ein steter Gästefluss hereinströmt. Wenn jemand beim Eintreten etwas ratlos stehen bleibt, zwischen Café-Bar und Restauranteingängen, ist Gorham auch schon an seiner Seite.

Manchmal braucht der Eintretende allerdings gar keine Hilfe, sondern möchte nur eine Anekdote loswerden, die ihn mit dem historischen Ziegelgebäude verbindet. Denn das neue Hotel ist im ehemaligen Oslo Lysverker untergebracht, dem 1931 finalisierten, heute denkmalgeschützten Elektrizitätswerk-Verwaltungsgebäude der Hauptstadt. "Eine Frau hat mir erzählt, wie ihr hier das Staubsaugen beigebracht wurde", erzählt Gorham. Ein sehr vermögender Norweger habe ihm wiederum, den Tränen nahe, erzählt, wie er als Kind mit seinem Vater das öffentliche Bad im Untergeschoss besuchte, "um sich in einer der Wannen gegenseitig abzuschrubben." Früher gab es eben nur in wenigen Wohnungen eigene Waschvorrichtungen, präzisiert er. Viele Osloer hätten hier im Vestkantbadet auch schwimmen gelernt.

Mitte November soll das geschichtsträchtige Schwimmbad restauriert wiedereröffnet werden, auch für Gäste, die nicht im Hotel wohnen. "Das Gebäude hat eine sehr große Bedeutung für die Bewohner des westlichen Teils der Stadt", sagt der Hotelmitarbeiter. Das Hotel liegt in Frogner, dem Viertel mit den höchsten Grundstückspreisen Norwegens, mit vielen um 1900 erbauten Villen. Auch der Amtssitz des norwegischen Premierministers und das königliche Schloss befinden sich hier. Und, wenige Schritte vom Sommerro House entfernt, det norske Nobelinstitutt, in dem bis heute das Nobelpreis-Komitee tagt und die Preisträger verkündet werden.

Städteurlaub in Oslo: Die originale Art-déco-Lampe beleuchtet mehrere Stockwerke des denkmalgeschützten Gebäudes.

Die originale Art-déco-Lampe beleuchtet mehrere Stockwerke des denkmalgeschützten Gebäudes.

(Foto: Francisco Nogueira)

Vom Denkmalamt kamen strenge Auflagen, erinnert sich Gorham. So durfte an der Struktur des Hauses nichts verändert werden. Alles blieb original: die Raumgröße der ehemaligen Büros und jetzigen Hotelzimmer, die Holzverkleidung der Gänge. Und die schmucken Details der Architektur: Noch immer baumelt die originale Art-déco-Deckenlampe wie ein langer, weiß schimmernder Ohrhänger durchs konzentrische Treppengehäuse, sämtliche Stockwerke hinab bis in die Lobby - wenn auch mittlerweile restauriert und mit LEDs betrieben. "An diesem Gebäude musste man auch nichts verändern, genauso wie es ist, ist es gut" findet Gorham. "Das sagen uns auch die Einheimischen, die uns hier besuchen. Normalerweise will ein Norweger nicht zeigen, dass er viel Geld verdient." Und mit flamboyantem Stil komme man hier eigentlich auch nicht weit: "Aber dieses Gebäude hatte davor schon Grandeur, wir haben es nur entstaubt."

Mitverantwortlich für diese Entstaubung ist Lars Haukeland, Partner des Osloer Büros LPO arkitekter, unter dessen Ägide der Umbau 2016 begann. Von Anfang an sei ihnen eines wichtig gewesen: "Man sollte sich beim Hereinkommen fühlen, als käme die Historie hier wieder zum Leben." So sei beispielsweise das Pistaziengrün der Lobby zu Art-déco-Zeiten eine recht wichtige Farbe gewesen: "In den 1930er-Jahren wurden die kohlebeheizten Gebäude schnell schmutzig. Eleganz erzeugt man über Farbe und Einrichtung." Für letztere hatte der Architekt das Inneneinrichtungsbüro GrecoDeco an seiner Seite, die für ihre Motivsuche und das maßgefertigte Mobiliar tief in der Landeskunstgeschichte forschten. Allein 21 verschiedene, opulent-ornamentale Teppich- und Stoffmuster gestalteten die Kreativen für das Hotel, inspiriert vom norwegischen Künstler Gerhard Munthe.

Städteurlaub in Oslo: Stilvoll wirken die Zimmer...

Stilvoll wirken die Zimmer...

(Foto: Francisco Nogueira)
Städteurlaub in Oslo: elegant die Badezimmer...

elegant die Badezimmer...

(Foto: Francisco Nogueira)
Städteurlaub in Oslo: ...und wie aus einem 50er-Jahre-Film die ehemaligen Besprechungsräume.

...und wie aus einem 50er-Jahre-Film die ehemaligen Besprechungsräume.

(Foto: Francisco Nogueira)

Im heutigen Restaurant Ekspedisjonshallen wurden früher die Stromrechnungen bezahlt, erinnert sich Haukeland. Als gebürtiger Osloer musste er in diesen Räumlichkeiten auch die Elektrizität für seine Wohnung beantragen. Damals, so erzählt der 70-Jährige, waren links und rechts in den Seitenschiffen des hallenähnlichen, sechseinhalb Meter hohen Raums zentrale Empfangsschreibtische aufgebaut, vor denen man sich als Kunde richtig klein vorkam. "Heute", so der Architekt, "haben wir die Situation umgekehrt: An der Bar sitzen die Gäste nun erhöht." Und überblicken so die Bartender bei ihrer Zubereitung von Cocktails aus den 1930er-Jahren.

Ein Fresko des norwegischen Malers Per Krohg, der in Paris bei Matisse studiert hatte, nimmt die komplette Rückwand des Restaurants ein: geschwungene Stromleitungen, die sich wie ein Theatervorhang über der Szenerie einer Stadt öffnen. Unterhalb eines Stauwerks züngeln schäumend Wellen. Es sind Turbinen zu sehen, rauchende Ziegelschlote. Und Arbeiter, die im Blaumann und Schweiße ihres Angesichts ein weiteres Kabel verlegen. Dahinter geben die großflächigen Fensterfronten kubischer Villen den Blick frei auf Wohnzimmer, deren Bewohner die Vorzüge der Elektrizität genießen.

Städteurlaub in Oslo: Das Wandgemälde zeigt die Segnungen und Mühen der frühen Elektrifizierung.

Das Wandgemälde zeigt die Segnungen und Mühen der frühen Elektrifizierung.

(Foto: Francisco Nogueira)

In der doppelstöckigen Rotunde mit Restaurant, Bar und Dachterrasse samt Rooftop Pool, die Lars Haukeland mit seinem Architekturbüro auf das historische Gebäudedach gesetzt hat, ist es hingegen am schönsten, sobald das Licht gedimmt wird. Dann funkeln die Lichter der Innenstadt draußen um so mehr, Schiffe kreuzen blinkend den Oslofjord. Wie eine fliegende Untertasse schwebt das gläserne Gefüge über dem fast hundert Jahre alten Bau. "Das war auch die Idee dahinter", schmunzelt Haukeland, "denn in den 1920er- und 1930er-Jahren entstanden in den Magazinen die ersten Zeichnungen zu diesen Ufos - und die Besessenheit dafür."

Städteurlaub in Oslo: Die Rotunde auf dem Dach bietet einen schönen Blick über Oslo. Aber auch innen ist es sehr stilvoll.

Die Rotunde auf dem Dach bietet einen schönen Blick über Oslo. Aber auch innen ist es sehr stilvoll.

(Foto: Francisco Nogueira)

Manch ein Osloer, der noch originale Vasen und Glasfigurinen aus jener Zeit hatte, konnte zur Inneneinrichtung des Hotels sogar beitragen. Denn das Hotelmanagement ließ den norwegischen Online-Marktplatz Finn.no nach Art-déco-Objekten durchforsten.

Die stehen nun im ganzen Haus verteilt. Und das ist groß: 231 Hotelzimmer, ein kleines Kino, ein Theater, derzeit mit eigener Zaubershow, ein Wellnesstrakt mit Fokus auf Schlaftherapie. Dazu sieben Bars und Restaurants mit insgesamt 574 Sitzplätzen: Etwa das TAK, ganz oben in der gläsernen Rotunde, mit der Fusionsküche der Fernsehköchin Frida Runge aus norwegischen Produkten und japanischen Zubereitungsarten. Oder dem Plah im Erdgeschoss, wo der Kochbuchautor Terje Ommundsen lokal Gewachsenes mit Thai-Aromen kreuzt. Derweil intoniert der selbstspielende Steinway-Flügel im Teesalon des Hotels das Chanson Ne me quitte pas zu frisch gebackenen Scones - verlass mich nicht. Ach, hatte man ja gar nicht vor. Solange keiner kommt, der einem das Staubsaugen beibringen will oder an Stromrechnungen erinnert, bleibt man doch gerne noch ein Weilchen.

Sommerrogata 1, 0255 Oslo, Doppelzimmer mit Frühstück ab 260 Euro, sommerrohouse.com

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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