Orangen-Ernte in Süditalien:Die Sonne Siziliens

Im Winter werden rund um den Ätna die Blutorangen geerntet und in den Norden Europas gebracht. Wer jetzt auf die Insel fährt, erlebt sie von ihrer schönsten Seite - und kann sich direkt vom Baum bedienen.

Helmut Luther

Als junger Mann verbrachte Angelo Scollo einige Zeit im kalten Norditalien. Sizilien, seine Heimat, interessierte ihn damals nicht. "Es gab bei uns weder Industrie noch Fremdenverkehr, wir lebten als Selbstversorger", erzählt er. Deshalb wollte Scollo vor mehr als 30 Jahren unbedingt raus - aus der Enge des Dorfes, wo man einander misstrauisch beäugte. Der stämmige, eher klein gewachsene Mann dachte damals nicht im Traum daran, die familieneigene Zitrusplantage zu übernehmen. Bis er eines Tages aus Heimweh sizilianische Orangen kaufte.

Sizilien Italien Orangen

Während in anderen Teilen Europas gerade der Winter eingekehrt ist, sind die Temperaturen im Orangenhain schon frühlingshaft.

(Foto: Zane - Fotolia)

Sie schmeckten scheußlich", sagt der 51-Jährige, während er an diesem Wintermorgen mit einem Kleinlaster zur Contrada San Severino rumpelt, der Hügelzone zwischen Caltagirone und Grammichele, wo sich sein Orangenhain befindet. Er hat es sich noch mal überlegt und bewirtschaftet heute nach Bio-Richtlinien sieben Hektar mit Zitrusfrüchten.

Auf der Ladefläche stapeln sich leere Plastikkisten, in der Fahrerkabine liegen Scheren und Zangen, es ist Erntezeit. "Die Kunden wollen jetzt alle gleichzeitig beliefert werden", sagt Scollo. Er fährt vorbei an überwucherten Mauern aus Lavagestein, an Gärten mit blühenden Mispelbäumen und Bougainvilleen. Die Orangenplantagen bestehen aus kilometerlangen Baumreihen, aus deren Blätterdächern die Früchte hervorleuchten. Sie prägen das Bild im Calatino Sud Simeto, der fruchtbaren Region südlich von Catania.

Von Arabern eingeführt

Vermutlich haben Araber die aus Asien stammenden Orangenbäume auf Italiens größter Insel heimisch gemacht. In der Landessprache heißt die Blutorange arancia rossa, wahrscheinlich entstand sie vor Jahrhunderten durch Mutation. Nach Ansicht der Einheimischen gedeihen die beliebtesten Sorten Sanguinelle, Tarocco und Moro nur im fruchtbaren Hügelgebiet am Fuß des Ätnas richtig gut. Aus dieser Gegend kommt ein Großteil der europäischen Ernte, auch der Ware, die jetzt in deutschen Supermärkten zu finden ist: Die Sanguinelle enthält am meisten Vitamin C, die fast schwarze Moro ist besonders saftig, die Tarocco gilt mit ihrem ausgewogenen Zucker-Säureverhältnis als beliebteste unter den sizilianischen Orangen.

Doch selbst im Land, wo Orangen und Zitronen blühen, hadert man mit dem milden Winter. "Die Temperaturen sinken zurzeit nicht unter zehn Grad, das ist ungünstig", sagt Scollo. "Damit sich Schale und Fruchtfleisch dunkelrot färben, braucht die Orange kühle Nächte." Die Morgensonne scheint fast schon frühlingshaft lau auf den terrassierten Hang.

Exodus der Jungen

Scollo schneidet zwei für den Laien identische Früchte vom Baum. "Zuerst die und dann diese probieren!", befiehlt er. Die erste schmeckt sauer wie Orangen aus dem Supermarkt, die zweite überraschend süß. "Sublim", schwärmt der Zitrusbauer, "danach kommt nur noch das Paradies!" Die gute Frucht ist reif, die andere nicht. Um eine hohe Qualität zu erzielen, staffelt Scollo die Ernte in drei Durchgänge. Großbetriebe räumten ihre gigantischen Plantagen in einem Rutsch ab, sagt er.

Die Landschaft hat ihren eigenen Charme: eine stille, teils menschenleere Welt ohne idyllische Häfen mit Fischerbooten, ohne Hotelburgen und Restaurants mit englischer Speisekarte. Entlang der Orangenstraße Via dell' Arancia Rossa von Caltagirone in Richtung Syrakus fährt man durch uraltes Bauernland. Mit Dörfern, die wie Adlernester auf Felskanzeln kleben. Rundherum dehnen sich Getreideäcker und Zitrusplantagen aus.

In die Hänge, die für den Anbau zu steil sind, haben Schaf- und Ziegenherden spinnennetzartige Pfade getrampelt. Die "Straße der Blutorange" wurde vom Konsortium zum Schutz der sizilianischen Zitrusfrüchte ins Leben gerufen. Mit Dorffesten, bei denen es Spezialitäten zu verkosten gibt, sollen mehr Touristen angelockt werden. Einige Bauern vermieten Fremdenzimmer. Wer will, kann bei der Ernte mithelfen.

Architektonisches Gesamtkunstwerk

Sehr gefragt scheint das Angebot bislang nicht zu sein. Die Angestellte im Tourismusbüro von Grammichele wühlt lange in den Regalen, bis sie ein paar verstaubte Prospekte zum Thema findet. Dabei ist das Städtchen ein architektonisches Gesamtkunstwerk. Nach einem Erdbeben 1693 wurde Grammichele komplett neu erbaut. Auf der einschüchternd großen Piazza Carafa in Form eines Sechseckes, von der schnurgerade Straßen in symmetrisch angelegte Stadtquartiere führen, fühlt man sich wie in einer toskanischen Renaissancestadt.

Die Kirchen, stuckverzierten Palazzi und das protzige Rathaus zeugen von Grammicheles Glanzzeit als Handelszentrum. Doch das ist lange her. "Wir haben das Geld, das wir als Gastarbeiter in Deutschland verdienten, in die Renovierung unserer Häuser gesteckt. Jetzt wohnen wir allein, weil die Jungen emigrieren", klagt ein Rentner, der in der Bar neben dem Palazzo Comunale beim Kartenspiel sitzt.

Im etwa zehn Kilometer entfernten Caltagirone ist es ähnlich. Alte Männer treffen sich auf der Piazza Umberto I. Aus Langeweile beobachten sie die im Stundentakt anrollenden Busse. "Den Fremden gefällt es hier. Wohl deshalb, weil sie gleich wieder abhauen können!", vermutet ein untersetzter Mann mit Baskenmütze. Es klingt verwundert und ein bisschen stolz.

Wundermittel Honig

Dabei gibt es in der Stadt, deren kastenförmige Steinhäuser sich wie eine Himmelsleiter über einen Tuffkegel hinaufziehen, einiges zu sehen. Etwa die barocke Kathedrale San Giuliano, die von einer gewaltigen Kuppel überragt wird. Von der mit Majoliken geschmückten Treppe Santa Maria del Monte zweigt ein Gassengewirr ab, durch das schwarz gekleidete Greisinnen trippeln, ehe sie in einer Kapelle verschwinden. Es riecht nach Feuer - in den Olivengärten verbrennen die Besitzer das Holz des Winterschnitts.

Orangen-Ernte in Süditalien: Das Orangenanbaugebiet im Südosten von Sizilien

Das Orangenanbaugebiet im Südosten von Sizilien

(Foto: SZ-Grafik)

Von der Landwirtschaft wird in der Region keiner reich. Trotzdem begegnet man den Orangen überall. Händler bieten entlang der Straße Saft an. Vor ihren Feldern stehen Männer in klobigen Bergstiefeln und verkaufen die Früchte kistenweise, das Kilo zu 30 Cent. In den Trattorien gibt es "arancini". Unter der goldgelb gebackenen Schale der "kleinen Orangen" stecken scharf gewürzte Reisbällchen, eine sizilianische Spezialität. Und in der Pasticceria am Hauptplatz von Vizzini bekommt man zum Espresso Collorelle, mit Zucker übergossene Ringe aus kandierter, fein geriebener Orange.

Während die Süßigkeit auf der Zunge zergeht, zitiert der Barbesitzer einige Zeilen von Giovanni Verga. Der berühmte Vertreter des italienischen Naturalismus habe über der Pasticceria gewohnt, erzählt er. Hier habe er an "I Vinti" gearbeitet, die Besiegten. Der Titel passt auf die jungen Männer, die draußen auf der Piazza herumlungern - sie sind wie viele hier arbeitslos.

Geschäftig hingegen geht es in Zafferana Etnea am Fuß des Ätna zu. "Wir erzeugen 20 Prozent des in Italien verkauften Honigs", sagt Cinzio Cavallaro mit einem stolzen Lächeln. Der hagere Mann mit Dreitagebart ist einer von etwa 1000 Imkern des Ortes. "Früher arbeiteten hier alle als Schafbauern, heute leben wir vom Zagara-Honig". Zagara, so werden im italienischen Süden die Orangenblüten genannt.

Cavallaro, Imker in dritter Generation, hütet den goldfarbenen Schatz in dicken Edelstahlfässern, die im Keller seines Hauses in der Via Roma stehen. Für den Verkauf füllt er den Honig mit einer Metallkelle in Ein-Kilo-Gläser. Um seinen Arbeitsplatz muss man Cavallaro beneiden. Zafferana Etnea liegt an der Ostflanke des Ätna inmitten üppiger Gärten, die mit Lavasteinmauern voneinander abgegrenzt sind. Der Blick geht über Weinreben, Granatapfel-, Orangen- Feigen- und bizarr gewachsene Olivenbäume. Tief unten glitzert der Golf von Catania.

Keine Angst, nur Respekt

Der Vulkan hat erst kürzlich wieder Asche ausgestoßen, die Krümel liegen noch überall herum. Ob der Imker keine Angst hat? "Nur Respekt", meint Cinzio Cavallaro. Schließlich lebten die Menschen hier seit je vom Reichtum, den der Ätna schenke: ein optimales Klima, die fruchtbaren Böden und die subtropische Fülle der Orangenplantagen, aus denen die Bienen den süß-herben Zagara-Honig gewinnen. Der sei so begehrt, da er gegen Husten, Kopfschmerzen und Halsweh helfe, außerdem wie ein Beruhigungsmittel wirke.

Sein Großvater, so Cavallaro, habe sich den Honig auf frische Wunden gestrichen, um die natürliche Heilung zu beschleunigen. "Er ersetzt eine ganze Apotheke", behauptet Cinzio Cavallaro und grinst - wie jemand, der gegen alles gefeit ist, weil der sich im Besitz eines Zaubermittels weiß.

Informationen:

Anreise: zum Beispiel mit Lufthansa, die zwei Mal pro Woche nonstop von München nach Catania fliegt, hin und zurück etwa 300 Euro; www.lufthansa.com

Unterkunft: In Caltagirone: Hotel Pomara, DZ mit Frühstück ab 50 Euro pro Person, Tel.: 0039/093/3976976, www.hotelpomara.com In Grammichele: Contrada Margi, Agriturismo, DZ 40 Euro pro Person, Tel.: 0039/ 093/3941818, www.valledeimargi.com

Weitere Auskünfte: Tourismusinformation Grammichele, Tel.: 0039/093/3944855, Provinz Catania, Tel.: 0039/095/0937023; www.apt.catania.it; Orangenstraße: www.viadellaranciarossa.it; Tel.: 0039/095/341006

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