Olympia-Abfahrten im Vergleich:Pisten für Profis

Olympia-Abfahrten im Vergleich: Rennfahrer am Start der Kandahar-Abfahrt in Garmisch-Partenkirchen: Die ursprüngliche Standardstrecke galt als zu leicht und wurde für Olympia 1936 verschärft.

Rennfahrer am Start der Kandahar-Abfahrt in Garmisch-Partenkirchen: Die ursprüngliche Standardstrecke galt als zu leicht und wurde für Olympia 1936 verschärft.

(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Vor knapp 80 Jahren stürzten sich Athleten der Winterspiele die Kandahar in Garmisch-Partenkirchen hinunter. Wer die frühere Olympia-Abfahrt heute ausprobiert, muss schon mal aufs Luftholen verzichten. Ein Selbstversuch.

Von Thomas Becker

Guter, führiger Schnee, einige verharschte Stellen; halbbedeckt, Windstärke eins, Temperatur: minus fünf bis minus vier Grad: Die Bedingungen waren nicht übel, als sich die Britin Evelyn Pinching am 7. Februar 1936 um elf Uhr am Seele oberhalb des Tröglhangs auf den Weg ins Tal machte. Fünf Minuten und 27 Sekunden später hatte sie Historisches geschafft: das erste Alpin-Rennen der olympischen Geschichte absolviert, die Abfahrt von Garmisch-Partenkirchen.

Bis auf eine kleine Variante kann man diese Strecke noch heute unter die Ski nehmen: mit dem Kandahar-Express zum Kreuzjoch lifteln und nach dem Tröglhang der roten Piste mit der Nummer vier und dem schönen Namen Olympia folgen.

Olympische Winterspiele ohne Abfahrtslauf? Kann man sich nicht mehr vorstellen. Die Höchstgeschwindigkeitsritte zählen längst zu den größten Spektakeln der Spiele. Die waren schon immer lebensgefährlich: 1964 raste der Australier Ross Milne am Innsbrucker Hausberg Patscherkofel gegen einen Baum und starb wenig später. Die Gestaltung der Abfahrtspisten wurde immer wichtiger, und so basteln nun schon seit Jahrzehnten Pistenplaner wie Bernhard Russi, Abfahrts-Olympiasieger von 1972, an möglichst spektakulären und dennoch sicheren Streckenverläufen.

Luftholen im Steilstück? Keine Zeit

1988 entwarf der Schweizer die Olympiaabfahrt in Nakiska bei Calgary, vier Jahre später die höchst anspruchsvolle Face de Bellevarde in Val d'Isère, die viele für unfahrbar hielten. Auch der Olympiabakken in Kvitfjell für die Spiele 1994 geht auf sein Konto, ebenso die Piste für Olympia 1998 in Nagano. Logisch, dass der mittlerweile 65-Jährige auch für die Abfahrtsstrecke Rosa Chutor in Krasnaja Poljana bei Sotschi zuständig ist. Auch dort waren gewaltige Erdbewegungen nötig, um eine olympiawürdige Piste in den Wald zu fräsen.

Von solchem Gigantismus war man in Garmisch 1936 noch weit entfernt. Obwohl: Die Strecke sollte schon etwas hermachen, wie man dem 463 Seiten starken Bericht des Olympischen Komitees entnehmen kann. Die als Abfahrtspiste gedachte Standardstrecke (die es abschnittsweise immer noch gibt) galt als zu leicht. So entstanden zwei neue Pisten: die Krembs-Strecke, die in etwa der heutigen Kandahar entspricht, und die Neuner-Strecke, die heutige Olympia, benannt nach den Streckenplanern.

Beide Routen beginnen am Kreuzjoch, auf 1719 Metern. Mit der Alpspitze im Rücken wandert der Blick vom Starthaus des örtlichen Skiklubs hinüber Richtung Kramer, nach rechts zum Wank und bei guter Sicht bis zum Starnberger See. Sehr zügig gehen dann die ersten steilen Meter dahin; die fröhlichen Rutscher haben sich längst für den deutlich adrenalinärmeren Ziehweg entschieden. Schwer vorstellbar, dass die Profis bis zur ersten langen Rechtskurve gerade mal zwei Schwünge brauchen dürfen. Die erste Rast am Seele. Zeit, noch mal durchzuatmen, denn das Luftholen kann man in diesem extremen Steilstück schon mal vergessen.

Grafik Olympia-Abfahrten

Von Garmisch-Partenkirchen bis Vancouver: Olympia-Abfahrten im Vergleich.

(Foto: SZ Grafik)

Unten, wo rechter Hand der Schornstein der Tröglhütte vor sich hin pafft, teilt sich die Piste: Nach links wird sie zur Kandahar, der heutigen Weltcup-Abfahrt, geradeaus bleibt sie die gute alte Olympia. Wer während der Kandahar-Rennen hier Posten bezieht, bekommt einen guten Eindruck von der Rasanz und Athletik des modernen Rennsports - wie die Skisportler anno '36 in Lederschuhen und mit stahlkantenfreien Holzlatten hier runterkrachten, mag man sich lieber nicht vorstellen.

Wer den Streckenverlauf von damals rekonstruieren will, wird im Archiv der Gemeinde fündig oder beim 90-jährigen Ex-Rennläufer Adi Echter. Der bestätigt, dass man der heutigen Piste Nummer vier folgte - bis auf die Passage oberhalb der Talstation des Kandahar-Expresses. Dort führte ein schmales, heute nicht präpariertes Stück durch den Wald und im Krottental wieder auf die jetzige Olympiapiste. Noch so ein klassischer Rastplatz, bevor es kurzzeitig wieder steil und oft auch tückisch glatt wird. Wenige Tage vor dem Rennen von 1936 wurden hier noch ein paar Fichten gefällt, um eine Umleitung in die Einfahrt zum Eishang zu ermöglichen. Danach ist das Schlimmste geschafft: Nach einem harmlosen Schussstück und vergleichsweise flachem Geläuf taucht bald die Talstation in 760 Meter Höhe auf.

Vier Minuten und 47 Sekunden für 3800 Meter: Der Norweger Birger Ruud war der schnellste Abfahrer, in der Kombination geschlagen vom Berchtesgadener Franz Pfnür, der nach zwei tollen Slalomfahrten am Gudiberg der erste Olympiasieger im alpinen Skisport wurde. Pfnür profitierte vom Boykott der Schweizer und Österreicher. Die durften ihre Besten, darunter Heinrich Harrer, nicht einsetzen, da sie als Skilehrer als Profis galten. Bei den Damen gewann Christl Cranz, die überragende Skifahrerin ihrer Zeit. Auf der Neuner-Strecke lag sie nach einem Sturz hinter der Norwegerin Laila Schou Nilsen. Die war in fünf Minuten und vier Sekunden ins Tal geschossen - beachtlich. Wenn in der Früh auf der Olympia noch nichts los ist, könnte man ja mal auf die Stoppuhr drücken . . .

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