Süddeutsche Zeitung

Kleine Skigebiete: Kappl:Geheimtipp - das reicht nicht mehr

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Schöne Pisten, viel Tiefschnee, gute Hütten: Eigentlich ist alles da, was Skifahrer brauchen. Doch der Tiroler Skiort Kappl neben Ischgl wollte mehr.

Von Dominik Prantl

Das Skigebiet von Kappl, dies gleich einmal vorweg, hat im Grunde alles, was ein gutes Skigebiet braucht. Es ist nicht zu groß, um sich zwischen Tälern und Kuppen zu verlieren, und bei Weitem nicht so klein, dass man den ganzen Tag nur eine einzige Piste hinabpreschen müsste. Es gibt Förderbänder für Kinder und Restaurants wie die Huisleralm, die trotz Selbstbedienung noch an eine Hütte und nicht an eine Mensa erinnert. Vom höchsten Punkt auf knapp 2700 Metern geht es 13 Kilometer und gut 1500 Höhenmeter am Stück hinab, erst über die Latten-, später über die Talabfahrt. Im oberen Bereich hält die Topografie jede Menge Tiefschneeareale bereit, mal gemäßigt, mal extrem. Letztlich ist Kappl damit genau das, was man einen Geheimtipp nennt.

Nur: Vieles bieten zu können, reicht als Skigebiet mit 42 Pistenkilometern offenbar nicht mehr, zumindest nicht in Tirol.

Dazu muss man sich die Lage von Kappl im Paznauntal vergegenwärtigen. Gerade einmal zehn Kilometer weiter taleinwärts liegt Ischgl, der wohl bekannteste Après-Ski-Treff der Alpen - der noch dazu mit dem Schweizer Ort Samnaun eine grenzübergreifende Skischaukel bildet. Dass sich die Wintersportler hier anders als in Kappl öfter mal beim Anstehen auf den Skispitzen herumsteigen und im unteren Teil der Talabfahrt beinahe über den Haufen rasen, gehört offenbar dazu. Ein Tal weiter im Osten macht sich wiederum die für Familien perfektionierte Liftwelt von Serfaus-Fiss-Ladis breit. Und nur wenige Kilometer Luftlinie nordwestlich liegt der Skiberg Rendl oberhalb von St. Anton in greifbarer Nähe - und damit das Arlberger Monsterskigebiet mit mehr als 300 Pistenkilometern. Kappl wirkt da wie ein Hexenhäuslein zwischen Wolkenkratzern. Entweder man ergibt sich dem Druck der umstehenden Riesen. Oder man läuft Gefahr, zerquetscht zu werden.

Kappl hätte sein Hexenhäusl-Dasein daher auch nur zu gerne aufgegeben. Zwei neue Bahnen, einige zusätzliche Pistenkilometer und kolportierte 45 Millionen Euro wären nötig gewesen, um sich dem großen und vor allem unter Freeridern international bekannten Nachbarn vom Arlberg anzuschließen. Ein Klacks, wenn man bedenkt, dass sich der 2600-Einwohner-Ort ans größte zusammenhängende Skigebiet der Ostalpen angedockt und im Konzert der ganz Großen mitgespielt hätte. Vertreter der österreichischen Seilbahnindustrie schwärmten schon von Dimensionen wie in Frankreich, dem Land der Retorten-Skigebiete. Dass die Pläne für die Ehe mit St. Anton vor zwei Monaten ziemlich überraschend vom Wiener Bundesverwaltungsgericht gekippt wurden, weil es das Interesse des Naturschutzes höher einordnete als jenes des Tourismus', nennt Andreas Kleinheinz "einen Schlag mitten ins Gesicht".

Wer mit Kleinheinz spricht, hat den Eindruck, dass er sich von diesem Schlag noch immer nicht erholt hat. Der gebürtige Kappler ist gewissermaßen mit dem Skigebiet aufgewachsen, 1967 geboren, ist er nur wenige Jahre älter als der erste Lift. Er war Betriebsleiter der Bergbahnen Kappl AG, als das Verbindungsprojekt im Juli 2010 zur Umweltverträglichkeitsprüfung eingereicht wurde, und stieg ein Jahr später zum Geschäftsführer auf. Er durfte miterleben, wie das Projekt im Herbst 2015 vom Land Tirol bewilligt wurde. Nun wirkt er wie ein Bräutigam, dem der Brautvater am Tag der Hochzeit nach vielen Jahren Beziehung zu dessen Tochter plötzlich sagt: Bursche, die kriegst du nicht.

Die Seilbahnlobby stört sich vor allem daran, dass die Entscheidung in letzter Instanz nicht von der heimischen - und gerne sehr seilbahnfreundlichen - Politik gefällt wurde, sondern weit weg vom Pistenbetrieb in der Hauptstadt Wien. Franz Hörl, Chef des Seilbahnwirtschaft-Fachverbands, wetterte vom "Hobby-Gutachten" einer "Landschaftsgärtnerin", die Tausenden Tirolern die Lebensgrundlage entziehe; Kleinheinz sagt: "Für Kappl ist damit ein großer touristischer Impuls verloren gegangen."

Dabei ist das Wiener Nein aus Perspektive der Naturschützer nur logisch. Durch die zusätzlichen Lifte wäre das noch weitgehend naturbelassene Malfontal verbaut worden, nachdem die örtliche Seilbahnindustrie in den vergangenen Jahren beispielsweise schon den Piz Val Gronda bei Ischgl und den Albonasattel am Arlberg vereinnahmen durfte. Auch hätte der Zusammenschluss den Erweiterungsdruck auf andere Hexenhäusl-Skigebiete erhöht. Talauswärts hat sich der Ort See bereits bis auf einen Verbindungslift an das Familienparadies Serfaus heranerschlossen.

In Kappl stellt sich die Frage, wie es nun weitergeht. Kleinheinz sagt: "Wir werden in Beschneiung investieren und in unsere Aufstiegshilfen." Aber auch er kennt nur zu gut jene Umfragen, die besagen, dass die Größe des Skigebiets das wichtigste Entscheidungskriterium für Gäste ist - noch weit vor der Pistenqualität und Schneesicherheit.

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Quelle:
SZ vom 31.01.2019
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