Hintertuxer Gletscher in Tirol:Eiskalt abgetaucht

Eisschwimmer Josef Köberl steht am Gletschersee im Hintertuxer Gletscher.

Rein oder nicht rein? Das ist keine Frage für Josef Köberl, der nichts lieber tut, als im Eiswasser zu schwimmen, hier im Hintertuxer Gletscher.

(Foto: Nadine Regel)

Ruhig atmen, Schmerz ignorieren, aufs wohlige Gefühl warten: So geht Eisbaden bei null Grad.

Von Nadine Regel

Ob der Sommer ausgebrochen sei, fragt ein Mann in der Gondel. Ihn irritiert der Blick auf Josef Köberls nackte Beine. Der 42-Jährige sitzt ohne Mütze und Handschuhe in kurzer Hose zwischen dick eingepackten Skifahrern. Es hat heute minus zwölf Grad, die Sonne versteckt sich hinter dicken Wolken. "Das ist Training", sagt Köberl und lächelt den Mann an. Er bereite sich auf das Eisschwimmen oben an der Bergstation im Hintertuxer Gletscher vor. Ungläubiges Kopfschütteln. Köberl holt einen Flyer aus seinem blauen Rucksack hervor. Da oben im "Eispalast" auf 3250 Meter könne man nicht nur schwimmen, sondern auch mit Stand-up-Paddling-Board und Kajak fahren, erklärt er - und durch eine wunderliche Eislandschaft spazieren.

Josef Köberl ist Eisschwimmer und trainiert am liebsten in Wasser, das kurz vor dem Gefrieren ist. So wie jenes oben im Gletscher, das null Grad kalt ist. "Streng genommen misst die Wassertemperatur sogar minus 0,3 Grad", sagt Köberl, das zeige sein Industriemessgerät an. Der Österreicher geht im Winter täglich in der Donau schwimmen, hat nach eigenen Angaben 2800 Menschen zum Eisschwimmen gebracht, ist Präsident der Internationalen Eisschwimmer-Vereinigung in Österreich, war Fallschirmjäger und hat den Ärmelkanal durchschwommen. Der zweifache Vater wirkt nicht angeberisch, wenngleich er gerne im Mittelpunkt steht und stolz von seinem ungewöhnlichen Sport erzählt. Kürzlich wurde sein Eisschwimmkurs im Gletscher von der World Open Water Swimming Association zum besten Angebot für Freischwimmer gekürt.

Köberl bereitet extreme Menschen auf extreme Situationen vor. Das können Manager sein, aber auch Expeditionsbergsteiger oder Langstreckenschwimmer. Sein Kurs dauert drei Tage und beginnt mit einem Ausflug zum Wasserfall. "Anbaden bei vier Grad", sagt Köberl und grinst. Für ihn ist das Eisschwimmen eine Selbsterfahrung. Im Mittelpunkt stehe die Frage: "Wie weit bringe ich meinen Körper, das zu tun, was ich will?"

Eigentlich widerspricht das der menschlichen Natur. Man begibt sich bewusst in eine lebensbedrohliche Situation. Köberl beruhigt in den Kursen seine Kunden und bereitet sie auf den Gang ins Wasser vor. "Wichtig ist das Atmen in den Bauch, sonst hyperventiliert man", sagt er. Eisbaden versetze den Körper in Alarmbereitschaft. Man kühle zuerst an den Extremitäten aus. Alle Energie konzentriere sich auf die lebenswichtigen Körperfunktionen. "Aber grundsätzlich schafft das jeder, der halbwegs fit ist - und mutig", sagt Köberl. Vor Beginn seines Kurses checkt er stets die Vitalfunktionen der Teilnehmer: Blutdruck und Sauerstoffsättigung.

"Eisschwimmen ist beliebt bei uns", sagt Roman Erler, der Manager des "Eispalastes", einer begehbaren Gletscherspalte, die er 2007 entdeckt hat. Erler steht in einem beheizten Container, der neben der Bergstation aufgebaut ist - sein Büro und Anmeldeort für Eisbader und Besucher. Insgesamt kämen gut 50 000 Menschen im Jahr zu Rundgängen durch die Gletscherlandschaft, darunter auch viele Familien. Im Winter sind es vor allem Skifahrer. Jeder Besucher trägt einen Schutzhelm. Vom Container aus geht man einige Meter zu Fuß einen kleinen Hang hinunter. Der Eingang zum Palast ist unscheinbar, blendend weiß. Man schreckt kurz zurück. Ein menschenhoher Spalt, keine zwei Meter breit, 25 Meter unterhalb der Skipiste. Dahinter eröffnet sich ein Labyrinth aus Eis. Besucher bewegen sich auf Eisstufen durch schmale Gänge, die mit schwarzen Gummimatten ausgelegt sind. Auf Hüfthöhe sind Seile angebracht. Es ist glatt. Aber mit null Grad ist es fast angenehm im Vergleich zu draußen. Nur die Füße werden irgendwann kalt.

Roman Erler ist Geowissenschaftler und kennt sich mit Gletschern aus. "Der Gletscher ist an dieser Stelle am Fels festgefroren", sagt er. Deswegen bewege er sich hier nicht. Ganz untypisch für einen Gletscher, der eigentlich immer im Fluss ist. Erst kürzlich habe er die "Kathedrale" gefunden, einen bizarren Raum aus Eis, der sich im Bergschrund, dem Spalt zwischen Fels und Gletscher, gebildet hat. Die Szenerie wirkt surreal. Mal wächst das Eis wie Blumenkohl, dann kaskadenartig und in spitzen, meterlangen Eiszacken von der Decke. Einmal fand Roman Erler einen Liebesbrief, verfasst vor sieben Jahren von einer Frau an ihre Liebste. Als ewigen Liebesbeweis überließ sie den Brief wohl dem Gletscher, der ihn konservierte und wieder freigab. Erler bleibt stehen, blickt auf Köberls Fleecejacke. Auf der rechten Brust steht: Fides - audere est facere. "Glaube an deine innere Stimme", übersetzt Erler recht frei. "Das passt gut zu dir", sagt er.

Aufgewachsen ist Köberl auf einem Bauernhof. Als kleiner Junge sprang er über Kuhzäune. Die Leichtathletik war seine Disziplin, 3000 Meter Hindernislauf. Für die weiterführende Sportschule reichte bei sechs Geschwistern das Geld nicht. Sein Vater starb, als er noch ein Kind war. Köberl begann mit dem Laufen. Irgendwann aber entschied er: "Nun reicht es mit dem Davonlaufen." Das Eisschwimmen ist nun seine ganz eigene Therapie. Er begann damit als Abhärtungstraining fürs Langstreckenschwimmen. Heute baut er den Sport auf, engagiert sich für die Austragung eines Europacups. Die Schwimmwettbewerbe gleichen denen im Hallenschwimmen, nur finden sie eben in Finnland oder Russland im Eiswasser statt.

Endlich kommen Köberl und Erler an - am unscheinbaren Gletschersee auf 3214 Metern Höhe: mit etwa vier Meter im Durchmesser ist es eher ein Tümpel. Am eisigen Grund liegen Geldmünzen, drei Meter weiter hinten fällt die Gletscherspalte mehr als 30 Meter ab. An den See schließt ein Kanal an, der in seiner gesamten Länge etwa 70 Meter misst - hier bietet Erler Stand-up-Paddling und Kajakfahren an. Das Wasser ist hell erleuchtet. Überall sind Lampen angebracht. Man steigt auf einer Leiter ins Wasser. "Bewusste Selbstkonfrontation" nennt Köberl das. Bei null Grad kaltem Wasser ist ein Sprung keine gute Idee. Eine Gruppe kommt just in diesem Moment auf ihrer Tour durch den Gletscher am See vorbei. Das haben sie nicht erwartet: Da steht ein Mann in Badehose, neongelbe Schwimmbrille auf dem Kopf und Neoprenschuhe an den Füßen. Eine junge Frau tippt sich an die Stirn.

Josef Köberl demonstriert seine Kälteresistenz. Auf der Wasseroberfläche hat sich eine dünne Eisschicht gebildet. Bevor er ein paar Züge schwimmt, zerstößt er das Eis, indem er im Wasser mit den Beinen strampelt. Er geht kurz raus und dann ein zweites Mal ins Wasser. Ruhig steigt er die Leiter hinab. Er atmet zweimal tief in den Bauch und plaudert dann locker mit den Zuschauern weiter. Mit einem Mal taucht Köberl im Eiswasser unter, verschwindet. Plötzlich ist es unter den Zusehern sehr still. Als Erstes stoßen seine Hände wieder aus dem Wasser. "Das Schlimmste ist der stechende Schmerz in Händen und Füßen", sagt er mit Blick zu seinem Publikum. Aber wenn der erst mal überwunden sei, stelle sich ein wohliges Gefühl ein. Es fällt schwer, das zu glauben.

Am anderen Ende des kleinen Kanals befindet sich ein Schlauchboot, auf dem Besucher des "Eispalastes" durch das Eiswasser fahren. Einmal sei da eine belgische Gruppe gewesen, die mit dem Boot nah an ihn heranfuhr, erzählt Köberl. Ein kleiner Junge gab ihm die Hand und erschrak, weil sie so kalt war. Als die Gruppe später an Köberl vorbeiging, lief der Junge zu ihm hin und umarmte ihn, um ihn zu wärmen. "In solchen Momenten weiß ich, warum ich das Eisschwimmen so liebe", sagt Köberl. Wegen des Gemeinschaftsgefühls im Extremen.

Reiseinformationen

Anreise: mit dem Zug über Jenbach nach Mayrhofen im Zillertal, von dort mit dem Bus in etwa einer halben Stunde nach Hintertux.

Skigebiet: Der Tagesskipass kostet 53,50 Euro. Ein "Panoramaticket Faszination Eis" (Berg- und Talfahrt) kostet 36 Euro; der Eintritt in den "Eispalast" kostet inkl. Bootsfahrt für Erwachsene 21 Euro, für Kinder 13 Euro, www.hintertuxergletscher.at

Unterkunft: Z. B. Familienhotel Hintertuxerhof, DZ mit HP ab 129 Euro/Person, www.hintertuxerhof.at

Eisschwimmen: Dreitägige Kurse 295 Euro pro Person, mehrere Angebote im August, Informationen via Facebook auf der Seite IISA Austria und auf Josef Köberls Website www.josefkoeberl.at

Weitere Auskünfte: www.tux.at/natur-eis-palast

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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