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Snowpark in Österreich:Kitzsteinhorn: Sie wollen nur spielen

In der Serie "Winterberge" stellen wir die schönsten Hänge für jede Sportart vor. Diesmal: In Österreich gibt es einen der besten Snowparks der Alpen. Sein Erbauer war sogar in Pyeongchang aktiv.

Von Hans Gasser

Was war das, ein Außerirdischer? Es sah zumindest kamikazehaft aus, wie der Junge auf Skiern die Rampe runterfuhr, sich nach etwa zehn Metern drehte, sodass er rückwärts über die große Schanze aus Schnee schoss, sich in der Luft mehrmals drehte, um wieder mit den Skienden nach vorne zu landen. "Das war ein Switch Double Cork 1080", erklärt Alfred Zehetner, den hier oben am Kitzsteinhorn alle nur Alli nennen. Übersetzt bedeutet das: ein doppelter Salto mit dreifacher Schraube (Korkenzieher), rückwärts ausgeführt.

Zehetner, ein Mann Anfang 40, trägt entscheidenden Anteil daran, dass solch akrobatische Kunststücke auf Skiern oder dem Snowboard überhaupt möglich sind. Der gelernte Zimmermann ist einer der besten Schanzenbauer der Welt, noch besser kann er nur Halfpipes, weshalb er die große Halfpipe bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang bauen durfte. Mit dem umstrittenen, unfallträchtigen Skicross-Kurs dort hatte er nichts zu tun. Ein ähnliches Pipe-Monster steht hier auf 2600 Höhenmetern im Gletscherskigebiet Kitzsteinhorn: Ein Kanal aus Schnee und Eis, 160 Meter lang, 22 Meter breit, mit sieben Meter hohen Seitenwänden. Zehetner, ein Snowboarder der ersten Stunde, fährt nun mit seinem Brett hinein, springt links und rechts über die Kanten hinaus und kommt nach kurzer Zeit am Ausgang der Halfpipe zu stehen. Wer es ihm nachtut und noch nie in so einem Kanal gefahren ist, merkt schnell: Die Wände sind haushoch und fast senkrecht, dazu vereist. Ohne scharfe Kanten und die entsprechende Technik hat man hier drinnen nichts zu suchen.

Im vergangenen Herbst, so erzählt Zehetner stolz, hat in dieser Halfpipe die gesamte Elite des internationalen Freestyle-Profisports trainiert. "Shaun White hat hier erstmals seine Sprünge geübt, mit denen er in Olympia dann Gold geholt hat." Tatsächlich hat sich das Kitzsteinhorn über viele Jahre hinweg zu einem der besten Freestyle-Gebiete der Alpen entwickelt. Zehetner und sein Team aus zwölf sogenannten Shapern betreiben einen enormen Aufwand, um jedes Jahr aufs Neue vier hintereinander angeordnete Snowparks verschiedenster Schwierigkeitsstufen zu erschaffen. "Wir bewegen dafür geschätzt etwa 150 000 Kubikmeter Schnee", so Zehetner, der sich das alles selbst beigebracht hat. 50 verschiedene Hindernisse, im Fach-Slang Obstacles genannt, auf einem Kurs von 1,2 Kilometern. Dabei geht es nicht nur um Schanzen, sondern auch um das Entlanggleiten auf künstlichen Geländern oder das kunstvolle Antippen von Metalltonnen mit den Skiern oder dem Snowboard - im Flug.

Man will aber nicht nur den Profis, sondern auch den Gästen etwas bieten, die von weither anreisen, um hier im Schnee Spaß zu haben. Es gibt deshalb auch kleine Schanzen und Hindernisse, über die man selbst als Anfänger ohne akutes Risiko eines Schlüsselbeinbruchs springen kann.

Junge Skifahrer und Snowboarder sind für die Gletscherbahnen Kaprun eine wichtige Zielgruppe, laut eigenen Umfragen kommen etwa 20 Prozent der Gäste vor allem wegen der Snowparks und der vielfältigen Freeride-Möglichkeiten im weitläufigen Gelände unter der gut 3200 Meter hohen Pyramide des Kitzsteinhorns. Angesichts alpenweit stagnierender Skifahrerzahlen müssen sich die Bahnen etwas einfallen lassen, um die hohen Investitionen in Lifte und Pisten zu amortisieren. "Hätte mich zwei Jahre nach dem Unglück jemand gefragt, ob und wie es weitergeht bei uns, ich hätte keine Antwort gewusst", sagt Norbert Karlsböck, Vorstandsdirektor der Gletscherbahnen Kaprun. "Aber wir haben es mit großer Anstrengung geschafft."

Das Unglück. Für Karlsböck, der damals Bürgermeister von Kaprun war, teilt sich das Leben in eine Zeit vor und in eine Zeit nach dem Unglück. Am 11. November 2000 war eine voll besetzte Standseilbahn in einem Tunnel in Flammen aufgegangen. 155 Menschen starben, darunter viele Kinder und Jugendliche. Es war die größte Katastrophe im Nachkriegsösterreich. Ein sich über Jahre ziehendes Gerichtsverfahren, in dem auch leitende Mitarbeiter der Gletscherbahnen angeklagt waren, ging mit lauter Freisprüchen zu Ende. Viele Familien haderten jahrelang damit, dass es keinen Schuldigen gegeben haben soll für den Tod ihrer Angehörigen. "Heute haben wir zu den meisten Familien ein gutes Verhältnis", sagt Karlsböck. Die Tunnelbahn gibt es nicht mehr, eine Gedenkstätte am Rand eines Parkplatzes erinnert an die Opfer: In einem von außen unscheinbaren Betonbau gibt es für jedes von ihnen eine farbige Glasnische, in der Fotos, Botschaften und Erinnerungsstücke stehen.

Die Menschen werden heute mit modernsten Umlaufbahnen bis auf 3029 Meter transportiert, wo es neben einem Restaurant eine Ausstellung zum angrenzenden Nationalpark Hohe Tauern sowie eine Aussichtsplattform gibt. Man hat an einem schönen Wintertag einen fantastischen Blick auf den nahen Großglockner, den Großvenediger und eine Reihe von anderen, tief eingeschneiten Dreitausendern.

Auf der Piste, in der Loipe

Die aktuellen Schneehöhen in den Alpen bei Schneehoehen.de.

"Wir wollten nach dem Unglück eher die Bergnatur in den Vordergrund rücken", so Karlsböck. Die Technik will und kann man aber auch nicht verstecken, denn der Berg ist mit Bahnen kreuz und quer bebaut. Der Gletscher macht allerdings nicht immer mit. Er schmilzt und der Permafrost taut auf, weshalb man die Lifttrassen immer wieder verschieben musste. Das neueste Projekt soll in den kommenden zwei Jahren verwirklicht werden: eine Seilbahnverbindung zwischen dem kleinen Ortsskigebiet Maiskogel und dem Gletscherskigebiet. So könnten die Gäste von Kaprun, wo die Hotels sind, mit mehreren Seilbahnen zum höchsten Punkt schweben. Heute muss man mit dem Auto noch sechs Kilometer zur Talstation fahren.

Matthias Leitner stellt jetzt schon eine Aufbruchsstimmung im Dorf fest wegen des geplanten Projekts. Der 28-Jährige hat vor kurzem das Hotel seiner Eltern übernommen. Und weil er selbst ein guter Freestyle-Skifahrer ist und die entsprechenden Kontakte hat, übernachten die Profiteams häufig bei ihm. Mit 28 sei man bereits zu alt für diesen Sport, so Leitner. Zwar springe er noch, aber nur noch an 30 Tagen im Jahr und nicht wie früher an 200. "Ich hatte fünf Schlüsselbeinbrüche und einen doppelten Kieferbruch, aber die Beine sind immer heil geblieben."

Insgesamt, so sagt Schanzenbauer Zehetner, passiere aber im Snowpark nicht mehr als auf der Piste. Die meisten Jungs und Mädchen wissen, was sie tun. Jetzt im Frühling kommen sie am liebsten auf den Gletscher, der Schnee wird weicher, was auch heißt, dass man weicher fällt. Für gemeine Skitouristen gibt es dann viel zu sehen: Nicht nur die spektakulären Sprünge im Park, sondern auch Freeride-Wettbewerbe, bei denen die Teilnehmer steile Bergflanken im Tiefschnee runterfahren und über Felsen springen, wie beim "X-Over-Ride" am letzten Wochenende.

Die Verbindung zwischen dem Freestyle-und dem Freeride-Sport sei eine natürliche, erklärt Alfred Zehetner: "Zwischen 16 und 24 fährst du im Snowpark und machst die schwierigen Tricks und Sprünge. Und wenn du dafür zu alt bist, gehst du ins Gelände." Was an Sprüngen über acht Meter hohe Felsen allerdings altersgerechter sein soll, das kann einem hier oben niemand so recht erklären.

Reiseinformationen

Anreise: Mit der Bahn bis Zell am See, weiter mit dem Bus nach Kaprun und zur Talstation der Seilbahn.

Unterkunft: Z.B. Hotel Active by Leitner's in Kaprun, Übernachtung im Doppelzimmer mit Dreiviertelpension für ca. 100 Euro pro Person, www.active-kaprun.at

Skigebiet: Das Gletscherskigebiet unter dem Kitzsteinhorn hat noch bis 22. Juli geöffnet. Der Snowpark bieten alle Schwierigkeitsstufen für Anfänger bis zu den Profis und kann frei genutzt werden. Es gibt auch Freestyle-Kurse. Bei der World Rookie Tour vom 10.-15. April kann man den weltbesten jungen Freestyle-Snowboardern zusehen. Der Tagesskipass kostet 51 Euro, Jugendliche bis 19 zahlen an Samstagen jeweils nur zehn Euro, www.kitzsteinhorn.at Allgemeine Auskünfte: zellamsee-kaprun.com

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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SZ vom 29.03.2018/ihe
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